9/25/2004

Midnight Eye on Anime

Midnighteye.com, die Seite, die sich - nicht ohne Grund - damit rühmt, "the latest and best in Japanese cinema" zu präsentieren, beschäftigt sich in ihrem gerade erfolgten Update ganz mit der Anime-Kunst.

Zu finden sind unter anderem:
- ein Interview mit Mamoru Oshii, dem Schöpfer nicht nur der Ghost in the Shell-Filme
- eine Rezension von Brian Ruhs Buch über Oshii
- der erste Teil eines langen Features: Pioneers of Anime
- ein "round-up" zu vier Filmen "that show the degree of diversity in Japanese animation"
- Filmkritiken zu Steamboy, Journey to the West und Cutie Honey

9/23/2004

Arendt: "Banalität des Bösen": Hitler

Der "Untergang" beschäftigt weiter, diesmal Joseph Früchtl in der fr: "Hitler als einer von uns. Menschsein im 'Untergang'" -

"Daher kann er ihn auch nicht als Helden und den Untergang des "Dritten Reiches" als Tragödie inszenieren. "Für einen Kammerdiener gibt es keinen Helden", wussten bereits Goethe und Hegel. Der Kammerdiener sieht den Helden als Privatperson, er zieht ihm die Stiefel aus und hilft ihm ins Bett. Der Untergang macht uns zu Kammerdienern.

Zum Helden taugt Hitler in diesem Film auch nicht, wenn man ihm zuerkennt, dass er seine fanatische Weltsicht bis zum bitteren Ende durchhält. Sein Fanatismus zeugt vielmehr von neurotischer Unbelehrbarkeit, macht ihn zu einem Fall für die Psychologie, nicht für die Mythologie. Helden und Tragödien vertragen keine Psychologie. Denn sie entlarvt das Pathos, die erhabene Leidenschaft als reine Pose, hinter der sich Menschen verstecken, die sich selbst zu wichtig nehmen."

Shaw-Blog

Weblogs bleiben auch weiterhin das Größte.

Hier beispielsweise ein Shaw-Weblog. Schlicht in der Gestaltung, kein Tinnef. Irgendein guter Geist dokumentiert hier seine Eindrücke von der großartigen "Shaw Brothers"-Reissue (von der ich im übrigen, von einigen halbgaren Versuchen zur Berlinale, wo eine kleine Handvoll der Filme lief, abgesehen, noch nichts Nennenswertes in Feuilleton oder den üblichen Zeitschriften gelesen zu haben meine) und garniert dies mit erstaunlich handfesten Hintergrundinformationen. Die nette Übersicht links ermöglicht den Zugriff über Jahreszahlen oder Genres. Gerade für Leute, die in dem ungemeinen Wust an wiederveröffentlichen Filmen (bislang so ca. 180 bis 200, würde ich sagen, geplant sind insgesamt ca. 750 Filme der legendären Hongkong-Filmschmiede) nicht auskennen oder auf Nummer Sicher gehen wollen, eine ideale Lösung mit erfreulich viel zum Stöbern.

Schön auch der Gestus der Texte, der nicht schulmeisterlich das "immer-schon-so-gewusst-haben" suggeriert, sondern mit dem Leser an der Hand Entdeckungen anstellt und Überlegungen in den Raum stellt, die nicht immer richtig sein müssen, aber eben auch nicht falsch. Zur Not schaut man eben auch, was zu den Filmen an Informationen bereits verfügbar ist und tut dann beispielsweise dieses Gespräch mit Ang Lee aus der New York Times aus dem Jahr 2001 auf, in dem Lee über die Huangmei Opera im Allgemeinen, über den wundervollen Love Eterne im besonderen spricht.

Auch schön, dass sich der Autor des Blogs darum bemüht, Filme chronologisch zu sichten: Torpediert wird das freilich etwas von der Veröffentlichungspolitik des Publishers, die eine solche Vorgehensweise eigentlich kaum gestattet. Deswegen sind die Reviews vielleicht auch nicht immer dicht am Release-Geschehen, dafür können aber, mit etwas Geduld, zusammen Entwicklungen nachvollzogen werden, die nah an den Veröffentlichungsterminen situierte Reviews oft nicht aufdecken können. Und da die meisten der wiederveröffentlichen Filme ohnehin im Westen nicht bekannt, geschweige denn auf Konserve verfügbar waren, ist man mit dem Autor auch fast schon auf Augenhöhe.

Kurzum: Sympathisch bis auf die Knochen. Bookmarken ist Pflicht.

behauptungsnaturalismus

Weil sie hier noch nicht erwähnt, aber äußerst lesenwert sind, der Hinweis auf zwei Texte zu Eichinger/Hirschbiegels "Untergang"film.

Diederich Diederichsen in der "taz" vom 15.9.04 mit u.a. sehr klugen Beschreibungen der Schauspieltechniken der beteiligten Darsteller und deren Herkunft aus dem Geiste der deutschen Fernsehunterhaltung:

"Statt aber andere Fragen zu stellen, belässt es "Der Untergang" bei der Psychologie der Fernsehunterhaltung. Die hat aber längst eine strukturelle Moral. Allerdings eine, die sich an keine historischen Einsichten mehr andocken lässt, sondern nur an Kategorien wie Rabenmutter oder an die Autorität eines SS-Arztes, der die Kräfte des menschlichen Deutschlands da um sich sammelt, wo schon lange das ideologische Zentrum der deutschen Fernsehunterhaltung steht: im Krankenhaus."

Ekkehard Knörer im "perlentaucher" vom 22.9.04 über den "Untergang"film als Prototyp von Behauptungsnaturalismus und "Debatten-Kunstwerk".

"Man müsste als Filmkritiker nicht viel über ihn sagen, wäre er nicht der Anlass zu jenem merkwürdig hohlen Debatten-Kunstwerk, zu dem der sich um ihn rankende Diskurs geworden ist. Es kreißt eine Maus und gebiert Titelbilder, ellenlange Interviews und Feuilleton-Leitartikel. Das Missverhältnis zwischen Qualität des Films und Quantität des Geredes ist so eklatant, dass sogar der Film wieder der Untersuchung wert scheint, und sei es nur als Symptom. In der Analyse wäre womöglich etwas zu lernen darüber, wie ein Film auszusehen hat, um zum Gesprächsstoff für Debatten zu taugen, die wohl Anlässe brauchen, aber keinen vernünftigen Grund. Es wäre festzustellen, dass gerade der - in diesem Fall fast schon gemeingefährliche - ästhetische Biedersinn den "Untergang" zur Diskussion in der Öffentlichkeit prädestiniert. Wenn dieser Film tatsächlich ein "wichtiges Datum unserer Verarbeitungsgeschichte" (Frank Schirrmacher) ist, dann hat "unsere Verarbeitungsgeschichte" von Kino, Kunst und Ästhetik nicht die leiseste Ahnung."

lebenszeit

Sehr hübsch, von Harald Peters, in der taz (zu Resident Evil):

"Warum sagt Milla Jovovich in diesem insgesamt 94-minütigem Film nach rund 70 Minuten den Satz: "Wir haben noch 47 Minuten Zeit"? Der angsterfüllte Kritiker riskierte zur Beantwortung dieser Frage jedenfalls einen Blick auf die Uhr seines Mobiltelefons und wurde daraufhin von einem energischen Sicherheitsmann aus dem Kino befördert. Wovor hatte man Angst? Dass er die Welt vor diesem Machwerk warnt? Dass er den Film mit seinem rund vier Jahre alten Nokiamodell ohne Fotofunktion ins Netz stellen könnte? Darauf gab es keine Antworten. Immerhin: So wurden immerhin fast 20 Minuten seiner Lebenszeit gerettet. Dafür vielen Dank."

Schanelec "Marseille"

Ein kluger Text von Daniel Eschkötter zu Angela Schanelecs heute - mehr oder weniger - anlaufendem Film "Marseille" (Jump Cut-Kritik, englisch) ist bei filmtext erschienen:

"Zweifelsohne gehört Angela Schanelecs Ansatz zum Reflektiertesten, was das zeitgenössische deutsche Kino zu bieten hat. Ihre Filme sind dabei weder intellektualistisch noch spielerisch oder selbstreflexiv; sie versteht es, Bildern ihre Selbstverständlichkeit zu nehmen und ihnen eine andere zu geben. "Marseille" ist tiefernst, ohne pathetisch zu sein, von großer formaler Strenge, aber nicht formalistisch. In seiner handwerklichen Geschlossenheit erscheint der Film trotz seiner Inkommensurabilität fast glatt, weil nichts der Provokation und alles der Sache dient. "Marseille" ist filmästhetisches Lehrmaterial, vielleicht wäre es aber zu viel, hier noch von einem Wagnis zu sprechen."

Außerdem ausführliche Rezensionen in der taz und der ZEIT.

9/22/2004

Seeßlen on Auster

Gehört eigentlich nicht hierher, aber vielleicht wegen des Autors ja eigentlich doch. Schließlich ist man (Sie?) Komplettist. Und wenn was im Freitag steht, dann nimmt man es ja vielleicht nicht unbedingt umgehend wahr ...

Jedenfalls, hier schreibt Seeßlen recht ausführlich und gnädigerweise wohl auch mal vom Diktat der beschränkten Zeilenzahl befreit über den us-amerikanischen Schriftsteller Paul Auster, dessen neuer Roman die Tage erschien. Ist ja auch mal ganz frisch, den Seeßlen nicht immer nur in seinem vorrangigen Terrain arbeiten zu sehen, wo er mittlerweile, seien wir doch mal ehrlich, doch arg zur Vorhersehbarkeit neigt.

Gehört das nun hierher? Was weiß ich, entscheiden Sie doch einfach selbst ...

9/21/2004

John Sayles "Silver City"

Für seinen neuen Film "Silver City" hat John Sayles (Jump Cut) sein ganzes Geld zusammenkratzt, sagt er, bzw. sagt seine Frau und Produzentin Maggi Renzi im Interview mit "Globe and Mail":

"It's all of our money," continues Renzi, who is wearing a ReDefeat Bush button on her sweater. "But everyone was risk-averse last year. Maybe it's the subject matter that turned everyone off," she says with a smirk. "But we'd already invested a couple of million in the project and figured, what the hell? We were so determined to make it, and given the importance of the subject matter, we decided that it wasn't a completely stupid thing to do. We're fortunate John is a very well-paid screenwriter."

Jonathan Rosenbaum mochte den Film im übrigen gar nicht, mit dem in der Sayles-Rezeption oft wiederholten, deswegen aber noch lange nicht richtigen Argument, dass Sayles politisch so korrekt sein möge, wie er wolle, von Filmkunst habe er keine Ahnung:

Despite John Sayles's charm and good intentions as a writer-director, I started avoiding his movies around the time his Men With Guns was released in 1998. The closer his fictions came to reality, the more inadequate they seemed, with their conventional plots and familiar characters. I admire the man's politics, but his films seem misguided, because every new problem has the same old tiresome solution. (A notable exception is his recent anti-Bush campaign ad, which he wrote as well as directed; it can be seen at www.moveonpac.org/10weeks.) Like so much of the American old left, he's an aesthetic reactionary who doesn't trust a plot or character he hasn't shaken hands with many times before. The problem is worse than ever in Silver City, an election-year special that assaults George W. with the tried-and-true plot turns of a Raymond Chandler mystery.



Diesseits der "Dämonischen Leinwand"

Dr. Sigrid Lange bespricht für F.LM - Texte zum Film die von Thomas Koebner herausgegebene Aufsatzsammlung Diesseits der ›Dämonischen Leinwand<: Neue Perspektiven auf das späte Weimarer Kino.

"Bei oft besprochenen Klassikern wie Murnaus Der letzte Mann, Pabsts Die Büchse der Pandora, Jutzis Berlin Alexanderplatz oder auch beim Genre Großstadtfilm liegt der Gewinn der neuen Sichtung manchmal zunächst darin, die gängigen und immer wieder kolportierten Klischees der Beurteilung gegen den Strich zu bürsten mit einem tatsächlich vorurteilsfreien Blick zu beurteilen bzw. in den Kontext gegenwärtiger theoretischer Perspektiven zu stellen."

Thomson on Rivette

In der neuen "Sight&Sound" ein großer Artikel von David Thomson zu Jacques Rivette, besonders zum Frühwerk. Thomason, das merkt man, hat längst alle Zwänge von Logik, Journalismus und Sequiturs hinter sich gelassen, was ja an sich sehr schön sein kann. Hier eher nicht so, das geht von Astruc zu einer Filmidee, die Thomson hatte, dann die Frage: "What has this got to do with Jacques Rivette, you may be wondering?", schließlich kommt er irgendwann zu "Céline und Julie" und Renoir und Rivettes Erstling. Neue Perspektiven, subtile Beobachtungen finden sich aber nicht. Also kein toller Text, aber dass ich einen Essay zu Rivette unverlinkt lasse, das wollen Sie ja wohl nicht im Ernst gemeint haben.

A9.com

Kein konkreter, sondern ein abstrakter Hinweis. Amazon hat seine Suchmaschine A9.com jetzt offiziell freigeschaltet. Da ist einerseits, kalter Kaffee, Google unter der Haube. Wirklich aufregend aber wird es, wenn man in der rechten Leiste den "Books"-Button zuschaltet. Dann nämlich wird eine Suche in der "Search-Inside-The Book"-Database vorgenommen und in einer Extra-Spalte mit den Ergebnissen ausgegeben. Das heißt, man kann jetzt nach Namen z.B. von Regisseuren oder Filmen über das ganze bereits digitalisierte Angebot von Amazon.com hinweg suchen und wird bei Stellen in Büchern fündig. Die Suchergebnisse verweisen dann auf die Seite bei Amazon mit allen Fundstellen im jeweiligen Buch, die dann auch einzeln angeklickt werden können. Das kommt einer vollständig digitalisierten Bibliothek schon sehr nahe. Natürlich nicht nur, aber eben auch, für Filminteressierte ein großer Schatz. Z.B. ergibt die Suche nach "Jacqes Rivette" 225 Bücher als Fundstellen, Abbas Kiarostami 86, Martin Scorsese 1590 (und für jedes einzelne Buch dann noch mal ein Vielfaches).

Außerdem zuschaltbar (Movies-Button): die Suche über die gesamte IMDB-Database.

9/19/2004

Im Namen des Volkes: Olaf Möllers Untergang

Olaf Möller hält die Fahne des allgemein neugierigen, stets aber auch kritischen, vor allem aber nie um klare Worte verlegenen Filmjournalismus auch weiterhin hoch und beweist mit dieser Kritik zu Hirschbiegels aktueller Führerbunkerrevue (filmz.de), dass er noch immer mit zum Besten gehört, was in deutscher Sprache zum gegenwärtigen Kino zu lesen ist.

Selbstverständlich aber noch viel, viel besser sind die Kommentare, die eifrige Leser dort, bei diepresse.com., zum Besten gegeben haben. Es findet sich eine Bratwurstigkeit dokumentiert, die man am besten langsam, Stück für Stück, und mit einem großen Grinsen im Gesicht nachvollziehen sollte. Bemängelt werden "difuse Sätze", "übertriebene Interpretationen" und natürlich "Verbaldurchfall". Natürlich wird auch nicht zu überbietender Schwachsinn attestiert und vorgeschlagen, dass er, wenn er schon der Meinung sei, sich durch niederwerfende Kritiken hervorzutun, doch bitte an Hollywoodfilmen vergreifen möge (wo doch gerade mit Hellboy (filmz.de) ein so ganz und gar wunderbarer Hollywoodfilm deutschen Filmen mit gutem Recht die Säle wegnimmt). Am besten gefällt mir natürlich die Wortschöpfung "Alt-Austro-Freudiano-Neo-Marxist" - auf sowas muss man erstmal kommen. Ein anderer meint, etwas Gutes an dem Film erkannt zu haben: "Es wird Hitler als Wahnsinniger dargestellt. Bleibt zu hoffen dass das Kinopublikum die heutigen politischen Wahnsinnigen dadurch leichter erkennen möge." - hach ja.

Woody Allens "Melinda And Melinda"

Eine Rezension des neuen Woody Allen Films gibt es bei ScreenDaily.com.

...return to form with his most idiosyncratic and substantial film in some time...Its complex structure and speculative seriousness mean that Melinda And Melinda is closest in Allen’s canon to such heavyweight ensemble pieces as Crimes And Misdemeanors and Hannah And Her Sisters...Rich material ...somewhat cerebral ...tour de force...carefully-threaded leitmotifs

Diese Beschreibungsbrocken werfe ich den geneigten LeserInnen erfreut hin. Vielleicht, ja vielleicht, setzt sich Allens künstlerischer Aufwärtstrend nach "Anything Else" weiter fort und der Meister läßt uns die ernüchternden Erfahrungen von "Curse of The Jade Scorpion" und "Hollywood Ending" vergessen. (Wobei auch diese beiden Filme ihre qualitätsmäßig versöhnenden Aspekte hatten, nach denen man allerdings mit einem fanmotivierten Wohlwollen doch intensiver Ausschau halten mußte.)