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Norman Foster: Rachel and the Stranger (USA 1948)

Von Ekkehard Knörer 

Es gibt einen Ausgangszustand, der auf etwas Vergangenes verweist, das nun anders wiederholt wird. Eine Kleinfamilie, erweitert zum Konkurrenz-Viereck. Wir brechen ein in die radikal veränderte Situation, mit Jim (Robert Mitchum), der zur Gitarre singt. Er begegnet dem Sohn, der ihm widerstrebend vom Tod der Mutter berichtet. Er geht zum Vater (William Holden), der schweigend am Grab der Frau verharrt, von der er zu Jim sagt: "I guess in your own way you loved her, too." Mehr werden wir über das, was geschehen ist, nicht erfahren. Nicht direkt jedenfalls, denn das Kommende ist als Spiegelung des Vergangenen inszeniert unf reflektiert Ahnungen des Gewesenen als wirkmächtig in die Gegenwart hinein.

Davy, der Witwer, gelangt ins Leben zurück. Er lebt, mit dem Sohn, in einer Hütte im Wald. Wir müssen den Schein der Zivilisation aufrechterhalten, sagt er – und hat sehr Recht damit, dass das Aufrechterhalten des Scheins mit dem Bewahren der eigenen Zivilisiertheit in eins fällt. Es muss zu diesem Zweck aber die Stelle der Frau ersetzt werden. Das geht nur notdürftig, da sind der liebende Mann, seiner Ehefrau beraubt, und der liebende Sohn, seiner Mutter beraubt, sich einig. Also sucht man den nächstgelegenen – aber recht fern, jenseits des Flusses gelegenen – Ort auf, und kauft dort für 18 Dollar auf die Hand und 4 Dollar später eine Frau (Loretta Young), die als "barn woman" oder gar "barn slave" Haus und Hof instandhalten soll.

Der Ersatz der geliebten Frau kann nur dadurch gelingen, dass die neue Frau den Platz der alten nicht wirklich einnehmen wird. Sie wird geheiratet, aber nur zum Schein. (Als hätte nicht Davy selbst kurz zuvor die These vertreten, dass im Schein schon das Ganze liege. Zurück im Privaten der Hütte wird dieser Schein allerdings nicht mehr gewahrt. Rachel wird offen verachtet und als bloße Dienstmagd behandelt.) Das der neuen Struktur zugrunde liegende Kalkül ist simpel, aber es geht nicht auf. Es gibt in dieser Gleichung eine Unbekannte – und die ist nicht, wie zu erwarten wäre, in schlicht romantischer Manier, das Herz, das sich der kalkulierten Struktur nicht fügt.

Die Unbekannte ist der Fremde des Titels, Jim, der später als Priester verkleidet auftritt – ohne ersichtlichen Grund, beinahe als Vorahnung eines anderen, schrecklichen Priesters, der nur heiratet, um an das Geld zu kommen, das er bei der Frau vermutet. Hier ist seine Rolle freilich eine andere. Er erkennt Rachel als das, was sie ist: kein beliebiger, sondern ein formidabler Ersatz der verstorbenen Ehefrau. Die Anstrengungen, die sie unternimmt, der anderen zu gleichen, Schießübungen im Keller der Hütte, verkennen Vater und Sohn. Jim, der Fremde, versteht sofort, worum es sich handelt.

So kommt eine andere Ökonomie ins Spiel als die des Kalküls der Ersetzung. Eine Ökonomie des Begehrens, damit eine Ökonomie der Konkurrenz. Es ist geradezu idealtypischer Girard: Das Objekt wird für den, der es für belanglos hält, interessant, sobald ein anderer es begehrt. Ohne jede Prätention findet der Film eine Szene für diese Verlagerung. Jim fragt, was Davy nie interessiert hat – und es stellt sich heraus: Rachel spielt, wie die Verstorbene, das Spinett. Die Musikeinlage wird so zur verkörperten Figuration einer neuen Ökonomie. Jim und Rachel und Davy, der Sohn, musizieren, Davy, der Vater, bleibt außen vor.

Ein weiteres Versatzstück des Westerns wird vom Äußeren ins Innere gewendet, der Überfall der Indianer. Am Punkt des größten Drucks, an dem – dem Tod beinahe anheimgegeben – die beiden Konkurrenten mit dem Objekt ihrer Begierde im Keller eingeschlossen sind, klären sich, ohne große Worte, die Verhältnisse. Das alte Haus ist – abgesehen vom Keller – niedergebrannt. Ein neues Haus kann gebaut werden. Wie selbstverständlich hat die Verwandlung der Ökonomie stattgefunden. Begehren (durch den Vater) und Anerkennung (durch den Sohn) statt des bloßen schlechten Ersatzes. Die Moral von der Geschichte, aus der sich Jim als der Katalysator, der er war, konsequenterweise dann entfernt, ist die, dass es immer nur um die Restitution der Kleinfamilie ging. Und die gehorcht einer anderen Ökonomie als der bloß struktureller Ersetzbarkeiten. (Aber in diesem bürgerlichen Setting doch, möchte man hinzufügen, einer Ökonomie der sehr temperierten Leidenschaften.)

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