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Barbara Loden: Wanda (USA 1971)

Von Ekkehard Knörer 

Ein Film, der sich von Implosion zu Implosion bewegt. Die Bewegung ist dabei so wichtig wie das Implodieren. Die Bewegung ist ziellos, aber so, dass der Eindruck gar nicht erst entsteht, es gebe überhaupt etwas wie Ziele. Wanda, die Titelheldin, ist, sollte man vielleicht genauer sagen, nicht nur ziel-, sie ist überhaupt antriebs- und steuerlos. Sie schläft zu Beginn, eigentlich erwacht sie nie. Die Bewegung ist ein Treiben, ein Geraten, sie ist, mit einem Wort, ganz und gar infinitivisch. Eine Reihung ohne Ziel, ein Driften ohne Steuer, beendbar nur als ein Stoppen, kein Abschließen, im freeze frame.

Aus der Reihung ergibt sich ganz konsequent keine Verdichtung. Wanda bleibt rätselhaft ohne Rätsel. Durch reinen Zufall gerät sie an Männer, den einen vor allem, Mr. Dennis, und der Film so, wie gesagt, reiner Zufall, an eine Geschichte, einen Krimi-Plot sogar. Alle Bezüge aber bleiben lose. Unterwegssein ist hier kein Lebensgefühl, jedenfalls kein positiv benennbares. Unterwegssein ist das Gegenstück zum Seinen-Platz-Finden, Einen-Ort-Haben, Angekommen-Sein. Wanda aber ist zu keiner Ankunft unterwegs, sie haftet nur, für die Momente, die ihr gegönnt sind, an einem Mann, der sie wie Dreck behandelt. Es flammt kurz ein Wille auf, ein Widerstand, wenn sie das Kissen aus dem Bauch zieht. Gleich darauf aber liegt sie in der Wanne, im Hintergrund, im dunklen Vordergrund der Mann, der die Anweisungen gibt, sie wiederholt sie, gehorsam.

Der Film behandelt Wanda in ihrem Verhältnis zum Raum. Schon zu Beginn ist sie draußen, in der Nähe einer Müllkippe, der Kamera kommt sie, nach Einstellungen, die Personen zeigen, die wir nicht mehr sehen werden, wie zufällig in den Blick. Dann wird sie zur Figur, weiß auf schwarz, kommt, zwischen Schnitten, als Fleck ins Bild. Keineswegs gewinnt sie vor Gericht Individualität. Es wird über sie gesprochen, sie widerspricht nicht. Im Kino schläft sie ein, unfähig auch zur Identifikation mit den Figuren auf der Leinwand. Wanda kennt kein Begehren, es ist dekomponiert in eine Verlorenheit im Raum, der sie nicht hält, in ein Haften an Personen, die sie nicht wählt.

Wandas Existenzweise ist die eines Verschwindens, das nicht gelingen kann. Sie ist verloren in einer Welt, in der sie nicht einmal den Tod suchen kann. Der Blick Wandas geht in aller Regel ins nichts. Sie sieht kaum, was sie sieht, wie willenlos. Von jeder Erkentnis ist sie weit entfernt: Erkenntnis des anderen, Erkenntnis ihrer selbst. Ihre Reaktionen scheinen rein kreatürlich: der Hut auf dem Kopf, das Kleid, das Glück, mit dem sie sich, die Hände seltsam abgespreizt (fast die einzige Ausdrucksgeste des ganzen Films), im Blick des Mannes sonnt, dem sie, hier flackert etwas auf, gefallen will.

Der Film selbst sucht die Korrespondenz zu dieser Ausdruckslosigkeit, kunstvoll kunstlos. Die Kamera folgt, sucht, reagiert, verharrt. Es ist, als geriete sie an das Geraten, als treibe sie dem Getriebensein hinterher. Man kann das dokumentarisch nennen, aber hier wird das Dokumentarische zur Form, die sich weder durchstreicht noch ausstellt. Es gibt keine Position des Films zum Geraten der Figuren und Dinge. Genau das ist seine Position. Keine Zustimmung, kein Widerspruch, nicht einmal Beobachtung. Nur Dabeisein, Infinitivsein, ein Lassen, kein Tun.

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