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Podiumsdiskussion zum "Forum Expanded": Film/Kunst
Von Ekkehard Knörer
Will der Filmkritiker wissen, wie es um das Verhältnis von Kunst und
Kino steht, dann setzt er sich in die S-Bahn in Richtung Friedrichstraße,
steigt dort um in die S-Bahn zum Hauptbahnhof, nimmt dort den Hinterausgang,
geht über einen leeren sandigen Platz, über eine wenig befahrene
Straße bis zum Hamburger Bahnhof, dem Museum für Gegenwartskunst.
Dort betritt er das rechter Hand liegende Gebäude, durchquert das von
Sarah Wiener betriebene Café, geht durch die rote Tür in einen
Saal mit Stühlen. Kurz gesagt: Wenn der Filmkritiker wissen will, wie
es um das Verhältnis von Kunst und Kino steht, dann muss er den
Hauptschauplatz der Berlinale, den Potsdamer Platz, verlassen. Die Reflexion
übers Kino findet auf dem Boden der Kunst statt. Das ist natürlich
kein Zufall.
Auf dem Panel sitzen Filmgesichter und Kunstgesichter. Alexander Horwath
vom Wiener Filmmuseum, das wohl das weltweit am besten kuratierte Filmprogramm
macht. Daneben sieht man vorne am Tisch unter anderen Gabriele Knapstein,
verantwortlich fürs bewegte Bild beim Hamburger Bahnhof, Ian Cowie von
der Londoner Whitechapel-Galerie und Rike Frank von der diesjährigen
Documenta, die deren Leiter Roger M. Buergel vertritt. Der nämlich ist
erkrankt. Geradezu aberwitzig wäre die Vorstellung, der Berlinale-Leiter
Dieter Kosslick könnte auf diesem Panel sitzen und irgend etwas zur
Frage beizutragen zu haben. Moderiert wird die Diskussion vom Kunstkurator
Anselm Franke und von Stefanie Schulte-Strathaus, einer der Kuratorinnen
beim Berliner Arsenal, das auch ein exzellent kuratiertes Filmprogramm macht.
In Personalunion ist Schulte-Strathaus auch Kuratorin des Berlinale-Programms
"Forum Expanded", das als Ausgliederung ins Forum eingegliedert ist.
Damit ist man schon mitten im Thema. Nach Modellen solcher Aus- und
Eingliederungen, inkorporierten Exkorporationen wird gesucht. Seit einigen
Jahren schon will die Kunst was vom Kino, das Kino was von der Kunst. Nur
wissen sie nicht genau, was. Aber man redet darüber. So wie hier und
heute. Und natürlich begegnet man im Kunstmuseum immer wieder dem Kino,
oder wenigstens: dem bewegten Bild. Denn nicht jedes bewegte Bild ist schon
Kino. Und natürlich begegnet man im Kino immer wieder der Kunst, oder
wenigstens: der nicht-fiktionalen, nicht-dokumentarischen, der aus dem Rahmen
der Kinokonventionen fallenden Form. Aber nicht jeder Experimentalfilm ist
schon Kunst.
"Ist" ist ein Behelfswort. Denn um Ontologie geht es im Grunde nicht dabei.
Es gibt Grenzen, aber es sind eher solche der Institution und des Marktes,
der Erwartungen und der Ignoranz, der geschichtlichen Einordnung und des
Willens und Wunsches von Filmemachern und Künstlern, Filmemachern, die
Künstler sind (wie Matthias Müller) oder Künstlern, die
Filmemacher sind (wie Matthew Barney; nein, setzen wir hier ein Fragezeichen:
wie Matthew Barney?). Der aktuelle Star unter den Künstlern unter den
Filmemachern, der Thailänder Apichatpong Weerasethakul, ist in der Kunst
kein Star. Er macht Installationen, er wird ausgestellt, aber der Kunstbetrieb
interessiert sich im Moment nicht so sehr für ihn, wie es der Filmbetrieb
tut. Das ist nur ein Beispiel.
Aber wofür? Unter den Experten auf dem Podium, Experten fürs Kino,
Experten für die Kunst, Experten fürs Mit- und Gegeneinander von
Kino und Kunst (aber vielleicht setzen wir hier wieder ein Fragezeichen:
?) ist man sich nicht einig. Womöglich nicht einmal darüber, worin
man sich nun einig sein sollte. Alexander Horwath, der Kinomacher, stellt
sein Konzept für die "Documenta" vor. Dorthin nämlich hat ihn der
- hier und heute wie gesagt erkrankte - Kurator Roger M. Buergel eingeladen,
berufen, eingegliedert als Experten von außen. Horwath weigert sich,
das Kino in der Kunst aufgehen zu lassen. Viel eher versteht er sich als
höchst selbstbewusster Schmuggler. Er will der Kunst eine Lektion erteilen,
die Lektion, die einfach "Kino" heißt, oder auch: Filmgeschichte. Die
Kunst, der Betrieb, die Fünfjahres- Selbsthistorisierungs- und
Entwicklungsantizipationsinstitution "Documenta" (wenn alles gut geht somit:
ein regelmäßig tagendes Forum zur Produktion von self fulfilling
prophecies) hat, so Horwaths These, eines immer übersehen: Das Kino,
wie es ist, ist Kunst. Man hat den "Normalfall Kino" (so Horwaths Begriff,
für den er sich, wie er berichtet, vom Filmkritiker Bert Rebhandl hat
inspirieren lassen) aus dem Kontext der Kunst ausgegrenzt. Genauer gesagt:
Man ist gar nicht auf die Idee gekommen, ihn einzugrenzen. Sein Projekt für
die "Documenta" ist also eine Rückeingliederung, die ostentantiv die
Grenzen übersieht, die gezogen sind, von Institutionen, Kontexten, Betrieb
und Markt, Marktbetrieb und Diskursproduzenten.
Aufgekommen ist die Diskussion, die hier und heute auf dem Panel abseits
des Berlinale-Festivalbetriebs fortgesetzt wird, durch die Begegnungen oder
Zusammenstöße im Museum. Anders gesagt: Total viele Künstler
fanden irgendwann in den 90ern David Lynch ganz toll. Und sie begannen, sich
die Hollywood-Bilder anzueignen, etwa Douglas Gordon, dessen "24 Hour Psycho"
- die Streckung von Hitchcocks Film auf 24 Stunden, ohne Ton, als Video -
nebenan, im Hamburger Bahnhof zu sehen ist, in der Ausstellung über
die "Kunst der Projektion". Die angeeigneten Hollywood- und Kinobilder landeten
dann aber als Werke von Pierre Huyghe oder Doug Aitken oder Stan Douglas,
nicht im Kino, sondern im Museum. Und die Museen wussten nicht genau: Was
tun? So kam es zu Black Boxes in White Cubes, also kleinen aus dem Museumsraum
ausgegliederten Kinovorführräumen, mit denen das Kino (jedenfalls:
bewegte Bilder) in die Kunst eingegliedert wurde. Damit war ein neuer Raum
geschaffen. Oder entstanden, denn erst einmal ist das ja eine Frage der Praxis.
Gabriele Knapstein ist eine Verwalterin dieser Praxis, dieser Räume
und damit auch der neuen Grenzverläufe oder Grenzverwischungen,
exkorporierten Inkorporationen. Diesen Raum findet sie spannend. Alexander
Horwath und der ebenfalls auf dem Podium sitzende Lars Henrik Gass, Leiter
der Kurzfilmtage von Oberhausen (somit selbst Verkörperung einer langen,
komplizierten Geschichte des deutschen Nachkriegskinos), scheinen nicht so
sicher, wie spannend sie diese Räume finden. Und was sie mit dem Kino
zu tun haben. Beide beharren jedenfalls, Gass in Oberhausen, und Horwath
auf der Dokumenta auf dem Kinosaal und seinen Eigenheiten. Dem Nacheinander,
das dem Kino traditionell eignet. Horwath wie Gass erweisen sich nicht als
Enthusiasten der neuen Kreuzungsräume. Sie finden, scheint es, dass
das Kino sich Museum genug ist und die Black Boxes in White Cubes nicht braucht.
Sie sinnen vielmehr der Kunst das Kino an, wie es als Gewordenes ist. So
bleibt das hier und heute im Raum stehen.
Wenn der Filmkritiker erfahren hat, wie es um das Verhältnis von Kino
und Kunst steht, dann verlässt er den Saal, durquert das
Sarah-Wiener-Café und die breite Straße und nimmt die Rolltreppen
aufwärts im Hauptbahnhof zur S-Bahn. Bevor er einsteigt, um zum Potsdamer
Platz zurückzukehren, wo er dann im Schreibzimmer der Journalisten diesen
Text schreibt, um dann hinüberzueilen in den Wettbewerbsfilm "Die
Fälscher", der wahrscheinlich komplett irrelevant ist, all die Fragen
betreffend, über die er eben nachzudenken angeregt wurde - bevor das
also passiert, sieht er am Bahnsteig gegenüber am Hauptbahnhof Bernhard
Dotzler stehen, einen der wichtigsten Medienwissenschaftler der Republik.
Der war nicht bei dieser Diskussion der ist nicht zur Berlinale unterwegs,
sondern von anderswo nach anderswo. Wohin muss der Filmkritiker sich wenden,
wenn er etwas über das Verhältnis von Medienwissenschaft und den
bewegten Bildern der Gegenwart erfahren will? Die Frage bleibt offen. Der
Filmkritiker steigt in die S-Bahn, während am anderen Bahnsteig der
Medienwissenschaftler auf den einfahrenden Zug noch wartet. |