Berlinale 2003: Ausstellung und Katalog zur Murnau-Retrospektive

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Berlinale 2003: Ausstellung und Katalog zur Murnau-Retrospektive
Katalog:

Friedrich Wilhelm Murnau. Ein Melancholiker des Films. Herausgegeben von Hans Helmut Prinzler. Berlin 2002. 25 Euro.

Erwähntes Buch in der Reihe Hanser:

Peter W. Jansen, Wolfram Schütte (Hg.): Friedrich Wilhelm Murnau (Reihe Film 43). Mit Beiträgen von Fritz Göttler, Frieda Grafe, Wolfgang Jacobsen, Enno Patalas, Gerhard Ullmann. München, Wien: Hanser 1990.

 

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Berlinale 2003: Ausstellung und Katalog zur Murnau-Retrospektive
Von Ekkehard Knörer

 

"Faust", schreit Camilla Horn, und noch einmal "Faust", beinahe lippensynchron zu den Bildern des Films. Es ist die fast achtzigjähre Camilla Horn, die da ruft, als sie sich selbst, zwanzigjährig, sieht, in Murnaus Stummfilm. Zu sehen und zu hören ist das in einer Fernsehaufnahme, die das Deutsche Filmmuseum in seiner Murnau-Ausstellung als Endlosschleife laufen lässt. Einiges erfährt man in Horns Auskünften über die Schauspielerführung, jedenfalls im Umgang mit der Anfängerin, die es als Gretchen mit den Profis Gösta Ekman (Faust) und Emil Jannings (Mephisto) zu tun bekam. In der Mittagspause blieb sie angekettet und ohne Gnade ließ Murnau ihr den Schnee aus feinem Sprühwasser ins Gesicht blasen. Camilla Horn erinnert sich schmerzhaft an das Leid - und ist voller Bewunderung zugleich: das hat er schon richtig gemacht.

Lebendiger als in diesen wenigen Erinnerungsmomenten wird Murnau nicht in der Ausstellung. Nicht in den Brief-Exponaten und auch nicht in den frühen Aufnahmen als Theaterschauspieler, beides wenn nicht lieblos, dann doch nicht sehr einfallsreich präsentiert. Gleiches gilt für die Schautafeln zu den wichtigsten Mitarbeitern und Freunden, man wird in wenigen Sätzen informiert, hier und da ein Fotodokument, das war's. Es regiert, wie so oft, die Angst vorm Text, vieles hat der Besucher sich selbst zusammen zu reimen - oder im Katalog nachzulesen. So bleibt auch die Zusammenstellung von Filmausschnitten und Gemälden, zu sehen auf den Multimedia-Blöcken im Mittelgang, bloße Suggestion, man fragt sich nur: was wird hier suggeriert. Ein Glück, dass Frieda Grafe, dazu später, viel Kluges geschrieben hat. An interessanten Schaubobjekten gibt es nachgebaute Modelle, der Landschaft etwa, über die Faust und Mephisto hinweggleiten, dazu die Stachow-Kamera, mit der Karl Freund die Bilder des "Letzten Manns" entfesselt hat.

Weitgehend unkommentiert bleiben Murnaus Fotografien, so verblüffend sie sind. Nackte Männer in freier Natur, stereofotografiert. Wenn man nicht von selber drauf kommt, dass der Mann hinter dieser Linse schwul gewesen sein dürfte, hat man Pech gehabt. Die Macher der Ausstellung verraten es einem jedenfalls nicht. Wie wenig das mit Indiskretion zu tun haben müsste, kann man im besten Buch zu Murnau nachlesen, das es gibt - oder genauer: nicht mehr gibt, dem in der blauen Hanser-Reihe Film erschienenen, dem Regisseur gewidmeten Band. Vergriffen natürlich, wie alle Titel dieser Reihe, die das beste war, was es an Filmbüchern in Deutschland je gab. Darin ein überaus brillanter Aufsatz von Frieda Grafe, der auf die vertrackteste Weise ein biografischer Abriss gerade zu sein vermeidet, dafür aber die Formkunst Murnaus so konzentriert wie prägnant herausarbeitet. Dazu kommen so kluge wie erhellende Kommentare zu den einzelnen Filmen von Fritz Göttler.

Mit diesem Band konkurriert, schon der ähnlichen Anlage wegen, der Katalog zu Ausstellung und Retrospektive. Thomas Koebners Werkanalysen, mit denen das Buch eröffnet,  sind verlässlich und lassen, könnte man sagen, nichts aus - den Vergleich mit Grafes filigraner Lesekunst freilich verträgt der recht umfangreiche und mit manch eher vulgärer Beobachtung belastete Text nicht aus. Interessant, wenn auch nicht mehr als das, sind die Materialien, insbesondere die Informationen, die Daniela Sannwald zur Verschränkung von Leben und Werk mitteilt. Zur Entstehungs- und Nicht-Entstehungsgeschichte der einzelnen Filme ist hier manches Neue zu erfahren. Bleibt der Hauptteil des ganzen, der aus einer Sammlung von Dokumenten zu jedem der Filme besteht, in der Regel zeitgenössischen Kritiken (am interessantesten natürlich da, wo der Film verschollen ist), ergänzt um Essays von heutigen Filmemachern.

Die Lektüre dieser Texte nun ist eine einzige Berg- und Talfahrt, die Kommentare reichen vom Dämlichen (Rosa von Praunheim zu Nosferatu) zum Intelligenten (Hanns Zischler zu Schloss Vogelöd), um Texte, die die Welt gebraucht hat, handelt es sich fast durchweg nicht. Penetrant wie stets Wim Wenders, dessen in arger Länge ausgewalzte Probleme mit der Filmgeschichte uns nicht kümmern müssen. Dominik Graf dagegen setzt, Murnau zum Ausgangspunkt von Glanz und Elend des deutschen Filmschaffens nehmend, seine publizistischen Ausritte der letzten Monate fort, in denen er einen neuen deutschen Film aus dem Geist von Trash und Leidenschaft herbeizuschreiben versucht. Lesenswert allemal, nur vielleicht ein klein wenig deplatziert. Reuen muss der Kauf des Katalogs, der fast allen etwas bietet, den Leser nicht - allein die zahlreichen Reproduktionen von Film-Stills und Privataufnahmen sind das Geld schon wert. Und auch den Coffeetable schmückt der Band ganz ungemein.

Texte zu Murnau-Filmen

Schloss Vogelöd

Berühmt die statische Einstellung - in der fortgesetzten Rückblende -, überwirklich: ein großer langer Saal mit zwei Türen am Ende, links und rechts an der Seite, kaum zu erkennen, die Frau und der Mann, er hat den Mord gestanden, ein Innenraum der Psyche, das wiederholt sich, im kleineren Format, fast am Ende, als alles aufgeklärt, alles vom Überwirklichen ins Wirkliche zurückgekehrt ist: ein kleinerer Saal und zwei Frauen liegen sich tröstend im Arm.

Tartüff

Um fast nichts anderes geht es in Tartüff als um Blicke. Entlarvung im Off der Beteiligten. Die Haushälterin und ihr diebisches Lachen, sobald der Großvater anderswohin sieht. Rechts und links gekascht der erste verstohlene Blick durch eine Tür, der Enkel beobachtet die Haushälterin, wie sie Gift ins Glas mischt. Dadurch präfiguriert: die Entdeckungsszene des Films im Film, inszeniert recht eigentlich als Film im Film im Film. Der Blick des Zuschauers geht durchs Schlüsselloch; ohne Kasch interessanterweise. Die Wahrheit, wiederum, leinwandfüllend.

Faust

Ein Genuss fürs Auge sind die Doppelbelichtungen, Feuer und Flamme, Pesthauch und brennende Schrift, allein das Auge schweift über die Attraktionen der Leinwand, nicht konzentriert, sondern Zerstreuung suchend in den liebevollen Details. Eigentümlich zuhause fühlt man sich in diesen Bildern, im Abgekapselten des imaginierten Mittelalters, obwohl - oder gerade weil - man sich in ihnen nicht an die Illusion der Darstellung verliert. Was man vielmehr genießt, ist die Darstellung der Illusion.

Tabu

Und längst ist das Meer, Ort zunächst der Symbiose, als solcher in den ersten Bildern inszeniert, tödlich geworden. Murnau findet dafür das Bild vom endlos ablaufenden Seil auf einem Muscheltaucherboot, kündigt damit das Ende Matahis an, der über Riff und Meer und Meer und Riff der auf Hitus Schiff entschwindenden Reri hinterhereilt - eine Flucht, die an die Flüssigkeit der Bewegungen des Beginns anzuschließen scheint -, das Seil zu fassen bekommt. Mit Hitus Schnitt erfüllt sich das Gesetz. Von allen Ordnungen verlassen, stirbt Matahi im Meer, das nun auch noch gegen ihn sich wendet. Nicht "The End" erscheint auf der Leinwand, es erfüllt sich am Ende die Schrift: "Tabu".

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