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Berlinale 2006

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Thomas Arslan: Aus der Ferne (D 2006)

Von Ekkehard Knörer

Ein wahrer Dokumentarfilm ist eine im Grunde tautologische Sache: Man sieht, was man sieht, so wie es gezeigt wird. Das ist, im besten Fall, kein Mangel, sondern gerade der Reichtum einer Dokumentation. Es ist und wird und bleibt eine Sache des "Da Seins", mit allen Komplexitäten, die in dieser Wendung stecken. Und da das eine Sache des Zeigens und nicht des Erzählens ist, bedarf sie nicht vieler Worte. Thomas Arslans "Aus der Ferne" ist ein großartiger Dokumentarfilm, der uns etwas zu sehen gibt, indem er unserem Blick Richtungen gibt, aber keine Vorschriften macht. Was die Kamera registriert, gibt sie uns, "Aus der Ferne" so nah, auf dass wir es sehen.

Thomas Arslan gehört zu einer Gruppe von deutschen Filmemachern - unter ihnen auch Angela Schanelec und Christian Petzold -, die von der Kritik als "Berliner Schule" bezeichnet wurden. Was sie gemeinsam haben, ist ein ungewöhnliches Maß an ästhetischer Reflexion. Das spürt man - als Abwesenheit von Klischees und Dummheit - in jedem Bild dieses Films, der in Istanbul beginnt und sich dann in die östlichsten Gegenden der Türkei bewegt. Es gibt ein bezeichnendes Bild, das wiederholt auftaucht, bei jedem wichtigen Schritt auf dieser Reise. Es ist eine Einstellung, aus Zimmern ins Freie gefilmt. Was man sieht in diesen Einstellungen, ist ein offenes Fenster und ein Blick, aber auch der Rahmen des Fensters, den es braucht, damit das "Da" zum Kinobild wird. Ein wahrer Dokumentarfilm ist ein Fenster zur Welt, das nie verleugnet, dass es kein Bild gibt ohne Rahmen und ohne Verfahren des Rahmens. Die Stimme des Regisseurs fügt diesen Einstellungen nur die Fakten hinzu und die Position des Erzählers.

Bild zum ArtikelThomas Arslan ist in der Türkei geboren und zur Grundschule gegangen. Er kam nach Deutschland, als sein Vater die Heimat verließ - eine Heimat, in die Arslan zwanzig Jahre lang nicht zurückgekehrt war. So viel erfahren wir über ihn. Die Türkei ist das Land seiner Kindheit und das könnte erklären, warum er vorzugsweise Kinder zeigt in seinem Film. Kinder, die versunken sind in Spiele und Handlungen, aber auch Kinder bei der Arbeit und Kinder im spielerischen Umgang mit der Gegenwart der Kamera, die so deren Abwesenheit spürbar machen, die Abwesenheit dessen, was uns zeigt, was da ist.

Arslans Kamera bewegt sich nicht viel. Sie folgt der Bewegung Richtung Osten, indem sie die Straßen filmt und die Landschaften auf dem Weg. Und ein paar Mal eröffnet sie Plätze in Städten und Räume mit wundervollen Schwenks, die dem Zuschauer einen Eindruck vermitteln nicht nur der Offenheit für das "Da Sein" der Welt, aber auch für die Kraft der Dokumentation, dieses "Da" sichtbar zu machen - in den Grenzen, versteht sich, des tautologisch Möglichen.

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