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Berlinale 2006

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Romuald Karmakar: Hamburger Lektionen (D 2006)

Von Ekkehard Knörer

Wir haben Manfred Zapatka nicht mit Heinrich Himmler verwechselt, wir verwechseln ihn nun auch nicht mit dem islamischen Prediger Fazazi. Aus Zapatkas Mund kommen fremde Worte, die er sich nicht aneignet. Er stellt sie nicht dar, er spricht sie nur aus.

Die "Hamburger Lektionen" sind die Karmakarisierung – da es nun, beim zweiten Mal nach dem "Himmler-Projekt", Methode wird, ist die Wortprägung fällig – zweier Frage-und-Antwort-Veranstaltungen in der Hamburger Moschee, die drei der Attentäter vom 11. September besuchten. Ob sie bei diesen beiden Terminen im Jahr 2000 zugegen waren, werden die, die es wissen, keinem verraten. Fazazi, der hier den Koran auslegt, sitzt inzwischen im Gefängnis, in Marokko, des prägenden Einflusses auf andere Untaten wegen.

Manfred Zapatka sitzt auf einem Stuhl, zwei Schemeltischchen neben sich, einer links, einer rechts. Der Hintergrund ist neutral, eine Wand wie im Museum, die nicht sich, sondern, das, was zu ihr kontrastiert, zur Geltung bringt. Vom Schemel linker Hand nimmt Zapatka den Text, den er liest, auf dem Schemel rechter Hand legt er ihn wieder ab. Drei oder vier unterschiedliche Einstellung kennt die Kamera, eine von halbrechts halbnah, zwei Frontale, eine davon ein Close-Up aufs Gesicht des Darstellers, der nichts darstellt außer dem Vorlesenden, der er ist. Nur wenige Male nimmt eine Einstellung das Gesamtarrangement in den Blick: den Mann auf seinem Stuhl, die Schemel, den Raum. Kaum Ablenkungsmanöver, nur gelegentlich wird ein Zettel reingereicht, nur gelegentlich fällt der Schatten des Körpers des Regisseurs (oder eines Helfers) auf die Wand hinter Zapatka.

Volle Konzentration auf den Text. Der Prediger Fazazi widmet sich theologischen Fragen, in einiger, für den vielleicht nicht so am Detail Interessierten, doch etwas enervierender Ausführlichkeit. Verhandelt wird etwa der genau Termin des Beginns des Ramadan. Sorgfältig ist der vorgelesene Text dabei übersetzt, zwischendurch immer wieder unterbrochen durch Erläuterungen von Begriffen, die termini technici sind und auch im arabischen Original genannt werden. "Bidaa" etwa, was Reform heißt und als Abweichung vom Koran und der Sunna grundsätzlich von übel ist.

Oder "halal", das heißt "erlaubt". In den, aus terrorismustheoretischer Sicht jedenfalls, interessantesten Passagen wird es darum gehen, ob es erlaubt ist, sich am Eigentum der Ungläubigen zu vergreifen. Ja, wird der Prediger sagen, es ist "halal", denn die Ungläubigen haben es den Muslims immer schon gestohlen. Da wird wenig verklausuliert. Weil man – auch immer schon – im Krieg ist mit den Ungläubigen, ist es auch erlaubt, sie zu töten, um nicht getötet zu werden.

Wie Fazazi diesen Sprengstoff in theologische Haarspaltereien hineinfaltet und in rituell wiederkehrende Formen wickelt, das gibt einen guten Eindruck, denkt man, vom Denk- und Empfindungsmilieu des Fundamentalismus. Eingeblendet werden auch immer wieder die Reaktionen des in der Zapatka-Lektion natürlich nicht nachgestellten Publikums: lautes Lachen, unterdrücktes Kichern. Das Einverständnis zeigt sich so, nachvollziehbar, auch und erst recht im nicht Ausgesprochenen. Der Humor der Fundamentalisten ist die Freiheit zur Tötung des Andersdenkenden.

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