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Berlinale 2006

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Forum: Retrospektive Nobuo Nakagawa

Von Ekkehard Knörer

Jahrzehntelang haben die Cinephilen des Westens, ohnehin im wesentlichen auf Europa und Hollywood fixiert, aus Japan vor allem das Dreigestirn der Meister Ozu-Kurosawa-Mizoguchi gekannt. Gelegentlich auf Festivals auftauchende Filme anderer Regisseure, etwa die der 'Art Theatre Guild' – also der japanischen 'Nouvelle Vague' – fanden, mit der zentralen Ausnahme Nagisa Oshimas, wenig Beachtung. In mehreren Retrospektiven der letzten Jahre ist immer deutlicher geworden, dass das im Vergleich der Filmkulturen ungefähr so ist, als kennte man zwar Ford und Lang und Hitchcock und Coppola, aber Robert Aldrich nicht und auch nicht Don Siegel oder Robert Wise. (Von Phänomenen wie Russ Meyer zu schweigen, dem in gewisser – selbstverständlich kaum vergleichbarer - Weise die 'pinku eiga' korrespondieren, die japanischen Softpornos von gelegentlich herausragender Qualität.)

Weithin unbekannt geblieben sind Regisseure, die zwar in Genres arbeiteten, das aber in oft eigenständiger Weise. Hiroshi Shimizu, dem vor drei Jahren eine kleine Werkschau zum großen Oeuvre gewidmet war, von dem freilich weite Teile für immer verloren sind, scheint ein Mann vom Kaliber des viel bekannteren Dreigestirns. Für Tomu Uchida, dessen "The Mad Fox" im letzten Jahr für Aufsehen sorgte, gilt das wohl so wenig wie nun für Nobuo Nakagawa. Beide haben sie eine Unzahl von Filmen gedreht, auf kein Genre festgelegt, flexible Auftragsarbeiter, die aber in ihren besten Filmen den Erwartungen, auf die sie stießen, mit einer deutlich ins Gebiet des Künstlerischen, ja Avantgardistischen reichenden Auffassung ihres Handwerks begegneten.

Nicht weniger als 97 Filme finden sich in Nobuo Nakagawas (1905-1984) fünfzig Jahre umspannender Filmografie, vieles davon, vor allem in den sechziger Jahren, wie am Fließband produziert, mit einer Handvoll Filme im Jahr. Das meiste, darf man mutmaßen, ist von nur mehr historischem Interesse. Acht Filme wurden für die Werkschau des Forums ausgewählt, zu sehen sind sie in der nach dem Ausfall des letzten Jahrs reaktivierten Mitternachts-Schiene des Programms.

Der chronologisch erste der gezeigten Filme, "Lynch" (1949), zerfällt in zwei Teile, zwischen denen fast zwanzig Jahre liegen. Handelt es sich im ersten Teil um eine Art Film Noir im Yakuza-Milieu, so kippt die Geschichte nach dem Bruch in gelegentlich fast neorealistische Beschreibung des Nachkriegsjapan. Unversehens wird "Lynch" so zum Porträt eines radikalen Umbruchs, von dem sogar das eigene Erzählen infiziert scheint. Was am meisten verblüfft, sind nämlich weniger die Elemente der Handlung, die man zu sehen bekommt, als ihre Auslassungen. Der Plot wird immerzu in Einzelteile und aus dem Strom der Erzählung jäh herausschnellende Fragmente zerlegt. Eine lange Kamerafahrt, die in ein Haus dringt wie in einen transparenten Körper, durch ihn hindurch und wieder zurück (etwas ganz Ähnliches gibt es übrigens in Shimizus "Mr. Shosuke San" aus demselben Jahr). Eine lebensgefährliche Autofahrt einen Berg hinunter. Eine Flucht durch dunkle Straßen, über schwankende Brücken, in atemberaubendem Tempo montiert.

Der Kriminalplot dreht sich um eine geraubte Statue, Erpressung des Helden Seikichi durch die Mafia, einen Mord und eine lange Haftstrafe. Mittendrin aber kommt es zum zunächst wenig markierten Zeitsprung ins zeitgenössische Nachkriegsjapan. Eine strahlend schöne junge Frau singt zur Musik ihrer Band in den Straßen von Tokio. Die Kamera verliebt sich, Großaufnahme um Großaufnahme, in ihr Gesicht. Ein junger Mann, der als Schuster arbeitet, tut es – und der Zuschauer auch – der Kamera nach. Ihre Vergangenheiten, der Konflikt der Väter, stehen im Wege, aber von seinem Plot lässt sich der Film nicht allzu sehr beeindrucken. Er will vor allem Tempo und Sprünge und Atmosphäre und das Gesicht der jungen Frau.

Als die beiden Meisterwerke Nakagawas gelten "Ghost Story of Yotsuya" (1959) und "Jigoku" (1960). Sie sind ganz anderer Art und Machart als der schnelle, schwarz-weiße, zu nicht geringen außerhalb des Studios gedrehte "Lynch". Was heute als J-Horror Schule macht, hat hier seine Wurzeln – freilich ist in den Farb- und Bildkompositionen wie im Schauspielstil bei Nakagawa und seiner Generation (etwa auch in Uchidas "Mad Fox") der mächtige Einfluss des streng stilisierten japanischen Kabuki- und No-Theaters noch unübersehbar.

Schon die erste Szene in "Ghost Story of Yotsuya", die mit einem Mord endet, der eine Menge Blut und dann den Horror der Geister nach sich ziehen wird, ist atemberaubend artifiziell. Wie auf einer Bühne inszeniert Nakagawa den Kampf zwischen dem herrenlosen Samurai Iemon und dem Mann, dessen Tochter er heiraten will. Der weigert sich, Iemon tötet ihn und gehorcht fortan den Einflüsterungen einer finsteren Jago-Figur. Er lässt sich treiben zu Mord und Mord. In sorgfältig komponierten Bildern und effektbewusster Farbdramaturgie zwischen blutrot und verwesungsgrün treten dann die Geister auf und spuken als entstellte Körper durch Iemons Geist und durch die Einstellungen des Films. Genauer gesagt ragen sie und fallen sie aus Ecken und Winkeln des Bildes, sie tauchen aus Sümpfen und verfolgen den Helden, der seines Lebens nicht mehr froh wird, überallhin.

In "Jigoku" findet sich, nach gelegentlich etwas mühsam grotesker Exposition in der ersten Hälfte, der Held Shiro (Amachi Shigeru) in einer Hölle wieder, deren Darstellung angemessen surreal ist. Das ist von Dante nicht weit entfernt, exquisit sind die Martern der Verdammten, delirant ist der satte Farbauftrag. Es geht hier, anders als im neueren japanischen Horrorfilm, nicht so sehr um Effekte der Latenz, aus der der Grusel kommt, sondern eher um eine stete Präsenz, ja um Darstellung des Schreckens. Das macht Staunen eher als Fürchten. Die Nakagawa-Werkschau ist dennoch ein Gewinn für jeden, der auszieht, das japanische Kino kennenzulernen.

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