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Berlinale 2006

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Michel Gondry: Science of Sleep (F 2006)

Von Ekkehard Knörer

Wir werden hineingeworfen in diesen Film, mitten in die ausufernde Fantasieproduktion seines Helden, der gerade ankommt. Michel Gondry ist übermütig genug, erst einmal nichts zu erklären, sondern seinen Film mit uns Sachen machen zu lassen, auf die der Reim sich erst später einstellt, wenn überhaupt. Die Überrumpelung beim Überschreiten der Grenze ist sein Prinzip. Die Grenze, um die es geht, ist die zwischen Realität und Traum, zwischen Tagtraum und Brotjob. Stephane taumelt hin und her, erfindet im Traum ein wahres Leben, das im richtigen Leben das falsche ist, aber nicht ganz. Denn er trifft auf Stephanie, seine Nachbarin hinter der Tür gegenüber. Erst rollt und purzelt das Klavier die Treppe hinunter, dann irgendwann versteht man, dass dadurch zwei fürs Leben Verstimmte einander finden.

"Science of Sleep" entscheidet sich nicht: für die reine Komödie, fürs reine Drama. Er hält, polternd, purzelnd, jäh hin und her schwingend eine eigenartige Form von Balance in steter Bewegung. Die Traumwelten sehen aus wie eines der wunderbaren Musikvideos von Michel Gondry. Alles selber gebastelt, aus Filz und Stoff und Pappe. Die Welt wird neu erfunden, als modellierbar. Weder Räume noch Dinge haben die Stabilität, die wir von ihnen zu erwarten gewohnt sind.

Manches erinnert zunächst an den Künstler Thomas Demand, der für seine Fotos Alltagsszenarien, Zimmer, Büros und so weiter aus Pappe nachbaut. Im Foto sehen sie hinterher täuschend echt aus. Gondry will von seinen Pappwelten nachgerade das Gegenteil: den Do-it-yourself-Aspekt, das Gebastelte und Verhaspelte. Mitunter gefällt sich ein Einfall zu lange in der eigenen Bizarrerie, dann aber geht es, hektisch und verliebt in die Miniatur, ins Spiel um des Spiels willen, weiter. Natürlich denkt man an Gondrys letzten Film, das Charlie-Kaufman-Vehikel "Eternal Sunshine of the Spotless Mind", aber "Science of Sleep" fühlt sich fundamental anders an; als hätte man aus dem Vorgängerfilm sämtliches dramaturgische Gestänge herausgenommen. Der neue Film ist ein Weichtier, ein flinker, sprunghafter, zu allem bereiter Mollusk aus Pappmache und Filz.

Auch ein Gegenentwurf. Die Story kommt, so viel steht fest, kaum vom Fleck. Als wär's ein Traum, in dem man rennt und rennt und doch geht's fast nicht voran. Die pathologischen Aspekte der Tagträumerei leugnet der Film, je länger er dauert, keineswegs. Er schlägt sich trotzdem nicht auf die Seite eines objektiven Außenblicks. Er ist der Lust am Fallen aus dem Realen selbst zu sehr verhaftet, eine wunderbare kleine Traummanufaktur.

Großartig ist das Spiel der beiden Hauptdarsteller, Gabriel Garcia Bernal und Charlotte Gainsbourg. Er ist ganz Überschwang und rasende Betriebsamkeit, einer, der dilettantisch, aber doch mit Bravado, ein paar Bälle zu viel auf einmal jongliert. Linkisch dann auch, verloren zwischen den Welten, gegen Türen rennend, die geschlossen sind und geschlossen bleiben. Gainsbourg als sein Widerpart Stephanie verkörpert mit sehr viel mehr Ruhe eine Art Korrektiv, wenngleich keineswegs das Realitätsprinzip per se. Sie sind zuletzt, im Leben als Traum, im Traum als Leben, füreinander geschaffen. Da bringt die Zeitmaschine, die Stephane erfunden hat, schon die Wahrheit ans Licht. (Wollen wir wenigstens hoffen.)

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