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Berlinale 2006

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Michael Glawogger: Slumming (Österreich 2006)

Von Ekkehard Knörer

Michael Glawoggers Film “Slumming” ist außen hart und innen ganz weich, mit gar nicht wenig Humor zwischendrin. Vier mögliche Gründe also, ihn nicht zu mögen, der Härte wegen oder des Zarten, des Humors oder der Mischung des Unverträglichen. Wollte man ihm böse sein, er wäre wohl schutzlos wie ein Rehkitz auf den verschneiten Straßen Wiens. Ich mochte ihn gern, auch deshalb.

Auf die im ganzen realistische, von Surrealem leise durchzogene Welt dieses Films losgelassen wird der Trinker Kallmann (furios, aber mit Disziplin: Paulus Manker), „Fahrscheine bitte“, „in Oarsch eini bitte“, pöbelt er sich durch die U-Bahn und die Mariahilfer Straße hinauf in Wien. Er ist ein Dichter, ein herunter- und wahrscheinlich sowieso nie hinaufgekommener, er trinkt und ist betrunken, schimpft, schnorrt, stiehlt, tut nichts Gutes, bzw. für ein Bier oder einen Schnaps einfach alles.

Auf die Welt losgelassen auch Sebastian aus Berlin (nicht ohne diabolische Züge: August Diehl), ein Junge aus reichem Haus, der tut, wonach ihm der Sinn steht und der so mit grausamer Gleichgültigkeit Taten verübt, die aus der Welt keinen besseren Ort machen. Er trifft Frauen, die er beim Chatten kennenlernt und fotografiert unterm Tisch unterm Rock ihre Höschen. Pia ist eine der Frauen, eine Volksschullehrerin, an der er hängen bleibt, weiß der Teufel warum. Sein Spießgeselle heißt Alex (Michael Ostrowski), gemeinsam unternehmen sie Streifzüge durch die Wiener Unterwelt und nennen, diese Art, Welten kennezulernen, in die sie nicht gehören, wie der Titel schon sagt „Slumming“.

Das jüngere österreichische Kino treibt gern Spielchen mit dem Zufall (man denke an Barbara Albert, die hier dramaturgisch beraten hat, und ihre „Bösen Zellen“) – und also will es der Zufall, dass sich der Trinker und die Slummer begegnen, eines Nachts. Sebastian und Alex machen sich einen Spaß und verfrachten den vom Rum Gefällten über die Grenze in einen kleinen Ort in Tschechien. Da wacht er dann auf am nächsten Morgen und fragt sich und die Welt: „Was ist hier los?“ Diese Tat, die eine Untat ist, wird erstaunliche Folgen haben. Kallmann wird Bambi begegnen im Wald und den sieben (oder so) Zwergen im Eis, denn nun nimmt eine Art Märchen (und jedenfalls das Zarte im Film) seinen Lauf.

Oder ein Wunder. Da hat einer, der eher Böses wollte, Gutes geschaffen. Ansichtssache vielleicht, denn nun schaufelt Kallmann nüchtern Schnee für ein bisschen Geld. Sebastian macht sich davon, Slumming nun in richtigen, indonesischen Slums, ein wenig wie sein Schöpfer Michael Glawogger, der für seine Dokumentarfilme, „Workingman’s Death“ zuletzt, auch immer in die Welt hinaus geht. Glawogger bringt regelmäßig arg schöne Bilder von schrecklichen Verhältnissen mit. Sebastian wird eventuell nur bekehrt. Ein besserer Mensch. Daran glaubt der Film mit gewisser Arglosigkeit schon. Es will mir nur nicht so recht gelingen, es ihm übelzunehmen.

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