Rezensionen: Neal Stephenson: Cryptonomicon

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Neal Stephenson
Neal Stephenson
wird 1959 in Forte Meade, Maryland geboren und wächst in Illinois und Iowa auf. Eltern und weitere Vorfahren in technischen und naturwissenchaftlichen Berufen. Er studiert Physik in Boston und debütiert mit der Universitäts-Satire The Big U (gerade als Taschenbuch neu aufgelegt) und gelangt, nach dem Thriller Zodiac, mit dem Sci-Fi/Cyberpunk-Roman Snow Crash zu Ruhm (vorzugsweise im Hacker-/Internetmilieu). Diamond Age, der Nachfolger, irritiert die neu gewonnene Anhängerschaft, Cryptonomicon aber wird zum ersten großen historischen Roman des Cyberpunk. Sein nächster Roman Quicksilver wird gar eine weitere Rückverlängerung der Cryptonomicon-Themen ins 17. Jahrhundert werden. Stephenson lebt mit seiner Familie in Seattle.
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REZENSION

Neal Stephenson: Cryptonomicon


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Neal Stephensons "Cryptonomicon" verteilt das sich durch das Buch ziehende Leitmotiv der Verschlüsselungstechnik über zwei Epochen, zwei Kontinente und mehrere, über die Zeiten verwandtschaftlich verknüpfte Hauptfiguren. Das Buch wird so neben einer Hommage an frühe und zeitgenössische Computerfreaks, einem Crash-Kurs in Kryptografie, dem Abenteuerroman einer Suche nach dem sagenhaften Goldschatz der Philippinen und manch anderem auf Seitenzweige ausgelagerten Plotmoment und Nebenmotiv (so findet sich etwa eine ausgewachsene Theogonie der modernen technischen Welt) zur Familiensaga. Lawrence Waterhouse, Mathematikgenie, gut befreundet mit Alan Turing, wird als Kryptologieexperte über die Kontinente geschickt, um Codes zu knacken und geheime Botschaften zu entschlüsseln. Dabei erfindet er, in Form einer umgebauten Orgel, eher nebenbei den Computer und findet im fernen Brisbane die Frau fürs Leben - angesichts des eher traurigen Verhältnisses von Lawrence Waterhouse zu den sozialen und kommunikativen Gegebenheiten des Alltags ein wahres Wunder.

Waterhouses Enkel Randy ist in mancherlei Hinsicht die abgeschwächte Version seines Großvaters. Nicht schlecht in mathematischen Dingen, Unix-Experte und kalifornischer Nerd, aber weder genial noch, auf der anderen Seite, so sozial inkompetent wie sein Vorfahr. Das Verhältnis zu Frauen ist dennoch problematisch. Soeben getrennt von seiner mit viel Bösartigkeit gezeichneten, dem links-intellektuellen cultural-studies-Milieu entstammenden Freundin, trifft er auf den Philippinen ebenfalls die Frau fürs Leben, von anderem Kaliber freilich als die arg fromme Mary, die sein Großvater einst heimführte. Amy Shaftoe, deren Großvater in der Zweiter-Weltkriegs-Handlung manche Heldentat vollbringt, ist eher die Lara-Croft-Ausführung und verkörpert in der Männerwelt des Romans die emanzipierte Variante einer Nerd-(Männer)-Fantasie. Sehr ungeschminkt und ungescheut (und gewiss auch historisch zutreffend) inszeniert Stephenson seine beiden Parallelwelten - die der Krieger und der Hacker - als männliche, nicht ohne sich gebührend über seine Figuren lustig zu machen. Natürlich aber liebt er sie und die Sympathie, die er ihnen entgegenbringt, liegt in der Weltsicht, die der Roman im wesentlichen mit ihnen teilt.

Es geht, im großen wie im kleinen, um Entschlüsselbarkeit. Die Welt als weißes Rauschen, dem es durch Einsatz der Vernunft ihren Sinn abzuringen gilt. Jeder Erfolg ist begrenzt und die Grenzen dieses Modells im Ungang mit der Welt werden schmerzlich deutlich: in jedem Sozialkontakt. Es ist die vergleichsweise so herrlich einfache (wenngleich natürlich komplett irrsinnige, als Catch-22-Farce beschriebene) Welt des Krieges, in der sich Männer am leichtesten zurechtfinden. Heldentum ist die leichteste Übung, etwa für Bobby Shaftoe, den Marine und Großvater von Amy. Avi, Randys ihm strategisch weit überlegener Freund und Geschäftspartner, inszeniert die Welt einfach um oder eher: versteht die Geschäftswelt als permanenten Kriegszustand, in der - juristische - Attacken, Kryptografie und geheime Schachzüge zum Alltag gehören, man sich aus taktischen Gründen mit dem größten Feind verbündet und zuletzt doch aufs irreduzible Böse trifft, das einer etwas altmodischen Carl-Schmittschen Auffassung vom (Geschäftskriegs-)Politischen anhängt.

Verhandelt werden auf diesen auf den zweiten Blick gar nicht so diversen Schauplätzen sehr heutige Fragen. Kryptografie zuallererst und ihre politischen Implikationen, als deren eine die Einrichtung eines Datenhafens auf den Philippinen figuriert. Geschaffen werden soll ein Territorium staatlicher Exterritorialität - und dazu braucht man natürlich die Zustimmung desjenigen, dem Grund und Boden gehören, auf denen man die Server aufstellen will. Zugleich bleibt die durch undurchdringlichste Kryptografie für Hacker unerreichbare virtuelle Welt physisch alles andere als bombensicher: die Datenkabel als Informationslebensadern sind die Achillesferse der Konstruktion. Hier wiederholt sich die Grundthese des Romans, dass das Digitale und Virtuelle gut und schön, übersichtlich, vernünftig und effizient ist. Solange es nicht in die Hände von Menschen gerät, die damit unsachgemäß umgehen, also menschlich.

Einen weiteren Schritt zur Demystifikation des Mysteriums der Verschlüsselung aber will Stephenson nicht gehen. Die Bedeutsamkeit der verschlüsselten Information soll durch die denkbar sicherste Währung abgesichert bleiben. Wer dekodiert, wird überreich belohnt. Das Geheimnis ist Gold wert, und zwar tonnenweise. Ohnehin ist Cryptonomicon ein erstaunlich optimistisches, beinahe könnte man sagen: an die Werte der Aufklärung glaubendes Werk. Materialreichtum, ingeniöse Einfälle, Faszination durch Technik und Krieg erinnern einen bei der Lektüre unweigerlich an Thomas Pynchon - was aber gänzlich fehlt, sind dessen surreale Exzesse (Cryptonomicon ist ein cum grano salis realistischer Roman), Paranoia, wuchernde Figuren- und Handlungskonstellationen und - natürlich - sprachliche Meisterschaft. Cryptonomicon - und davon ganz untrennbar das ästhetische wie weltanschauliche Programm - erscheint im Vergleich geradezu transparent, überschaubar und eben auch gut lesbar, erschöpft einen über seine fast tausend Seiten hinweg so gut wie nie. Die Handlungsstränge werden in recht kurzen, alternierend angeordneten Kapiteln präsentiert, mal wird der eine, mal der andere genauer fokussiert, nie jedoch verliert man den Überblick. Die Welt, die Cryptonomicon entwirft, mag mitunter unbegreiflich sein, rätselhaft und voller bösartiger Ironien, Inhalt wie Form des Romans kommen aber darin überein, dass schon alles irgendwie gutgehen wird, dass die Ausstellung von Überforderung keine Option ist, weder auf der Ebene der Darstellung noch für das Individuum. Es handelt sich, mit einem Begriff etwas betagter Ästhetikprogramme, bei Cryptonomicon allen Ernstes um einen humoristischen Roman - und vielleicht ist der Verdacht berechtigt, dass dies ein vorläufiger, posteuphorischer (und es gibt auch eine Euphorie des Katastrophischen), prämelancholischer Reflexionsschritt der Cyberkultur ist, die ihre Teenager-Phase hinter sich zu lassen beginnt.

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