Theater: Giorgio Agamben: The Man Without Content

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Giorgio Agamben

PHILOSOPHIE

Giorgio Agamben: The Man Without Content (1994)

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Giorgio Agamben ist international bekannt geworden mit seinen Beiträgen zur politischen Philosophie, deren breit, mangels Übersetzung in Deutschland freilich kaum, rezipierter Auftakt der Band Homo Sacer war. Agamben versucht darin, im eigenwillig eklektizistischen Bezug auf Carl Schmitt, Hannah Arendt und Michel Foucault, eine sehr direkte Verbindung zwischen der antiken Figur des Homo Sacer (derjenige, der straflos getötet, aber nicht geopfert werden kann), den Insassen der Konzentrationslager und heutigen Formen der Produktion von Zonen derselben Logik des Einschließens durch Ausschluss zu ziehen. Mit dem Aufkommen einer biopolitischen Verfügungsgewalt in der Moderne (à la Foucault), so Agambens vernichtende Diagnose, wird die Reduktion von Menschen auf das "nackte Leben", oder auch: die Produktion eines Zustandes von Nacktheit, der Rechtlosigkeit bedeutet, so systematisch wie tödlich. Der KZ-Insasse - andernorts als Figur des Muselmanen von Agamben noch genauer analysiert - ist nicht das Andere der modernen Gesellschaft, sondern ihr düsteres Wahrzeichen. Die biopolitische Logik der Moderne produziert - potenziell überall und jederzeit - auf das nackte Leben reduzierte Menschen. Die reihum ausgemachten Beispiele sind für Agamben so lesbar als Symptome einer tödlichen und todbringenden Konstruktion der modernen Gesellschaft. Nur kurz und vage äußert er sich zu möglichen Gegenmaßnahmen. Aus der Anlage seines Entwurfs wird freilich klar - und das bestätigt er auch ausdrücklich -, dass die Rettung nur durch eine radikale Revolution, einen Eingriff von benjaminisch-messianischem Ausmaß gelingen kann. Es liegt in der Natur der Sache, dass Genaueres vor der Zeit nicht zu erfahren ist.

Vielleicht aber, auf Umwegen, doch. Nämlich über die Struktur des Agambenschen Arguments, die ihm zugrunde liegende Denkfigur. Liest man sein 1994 in italienischer Sprache, 1999 in englischer Übersetzung erschienenes, auf den ersten Blick sich auf ganz anderem Gebiet bewegendes Buch L'uomo senza contenuto (The Man Without Content) mit Blick auf Homo Sacer, so wird man einer verblüffenden - und auch entlarvenden - Parallelbewegung ansichtig.

The Man Without Content ist eine Untersuchung über das Verhältnis des modernen Menschen zur Kunst. In direkter Folge der Hegelschen (und also zutiefst romantischen) Analysen zur Ästhetik, zur Endzeit, in die die Kunst eingetreten sei, diagnostiziert Agamben einen fatalen Riss, der durch die Kunst, und das heißt hier aber sehr umstandslos: durch das Weltverhältnis des Menschen geht. Das Symptom dieses Risses ist das Aufkommen jenes philosophischen Zweiges, der Ästhetik heißt. Philosophische Reflexion bedeutet - und Hegel reflektiert das noch einmal - Entzweiung einer ursprünglichen Einheit von Kunst und Kunsterleben. Der Künstler, seine Kunst und der Betrachter waren noch im Mittelalter (das allerdings darin nur noch ein Echo tieferer griechischer Ursprünglichkeit war) zu einer Einheit von Produktion und Rezeption verbunden, im Werk zeigt der Künstler und erkennt der Betrachter sein Verhältnis zur Welt. Dann aber geschieht, aus Produzentenperspektive, das folgende:

"Der fatale Augenblick jedoch wird kommen, in dem diese unmittelbare Einheit der Subjektivität des Künstlers mit seinem Material zerbricht. Der Künstler erfährt dann einen radikalen Riss, ein Aueinanderreißen, das dazu führt, dass die leblose Welt der Inhalte in ihrer gleichgültigen, prosaischen Objektivität auf die eine Seite gerät, und auf die andere die freie Subjektivität des künstlerischen Prinzips, das sich über die Inhalte hinwegschwingt, wie über einen riesigen Bestand von Materialien, die es nach Belieben aufnehmen oder zurückweisen kann."

In diesem Riss entsteht zugleich eine nicht mehr überbrückbare Trennung des Produzenten, der zum Künstler-Genie im emphatischen Sinne wird, vom Rezipienten, der nicht mehr teilhat am ursprünglichen Erlebnis der Kunst, sondern zurückfällt auf die Kriterien, die ihm nun die Ästhetik an die Hand gibt. Kunst wird zum Gegenstand des Geschmacksurteils. Der gute Geschmack aber bedeutet Distanznahme, bedeutet Entfremdung vom Kunstwerk - und damit auch Selbstentfremdung. In (wiederum gläubiger) Übernahme Hegelscher Logik erklärt Agamben das Urteil über Kunst, das Geschmack und Ästhetik erlauben, zur Perversion, zur Darstellung des Risses in seiner Negativität. Eine interessante Funktion kommt in diesem Entwurf dem schlechten Geschmack, dem Kitsch zu. Obgleich Agamben die Offensichtlichkeit des Unterschieds zwischen gutem und schlechtem Geschmack nirgends anzweifelt und darin voll und ganz ein spätromantischer Modernist bleibt, obwohl er von Phänomenen der Popkultur, des Trivialen oder von Camp nicht den leisesten Hauch einer Idee hat (Duchamp und Minimalismus sind für ihn die Endpunkte der Entwicklung), erkennt er im schlechten Geschmack, im eigentlichen Sinne aber nur: in den guilty pleasures, die der Intellektuelle darin findet, einen leisen Nachklang eines ursprünglicheren Verhältnisses.

Die Spur dieses ursprünglichen Verhältnisses ist es, die Agamben recht eigentlich verfolgt. Sehr viel deutlicher als in Homo Sacer, wo das nur gelegentlich als von Foucault-, Schmitt- und Arendt-Lektüren palimpsestisch übermalter Hintergrund durchschimmert, erweist er sich hier als treuer, in aller Unbefangenheit metaphysischen Fragen nachspürender Schüler Martin Heideggers. Die Methode ist immer aufs Neue die eines etymologischen Zurückwendens auf die philosophischen Begriffe, den Ort ihrer Begriffsbildung aus dem Wortmaterial, in der griechischen Antike. Minutiös - und im ganz unbezweifelten Glauben daran, dass hier die Wahrheit (gedacht natürlich als a-letheia, als Entschleierung eines wirklichen Seins) zum Vorschein kommt - wird der Unterschied herausgearbeitet, den Aristoteles zwischen Poiesis und Praxis entwickelt: Poiesis umreißt ein Ganzheitsverhältnis, das - hier folgt dann ein Stück Marx-Lektüre - in dem Auseinanderfall von Arbeit und Zweck der Arbeit verloren gegangen ist. Die Art, wie Agamben rasch zur Deckung bringt, was ihm an Ähnlichkeiten zwischen Theoriestücken in den Kram passt (hier: Ästhetik und Marx), erinnert dann wieder stark an seine flinken Parallelisierungskünste von Homo Sacer.

Zur Beschreibung dieser Ganzheit beruft sich Agamben dann aparterweise auf ein Fragment Hölderlins (der nur einer der üblichen Verdächtigen ist, von Nietzsche und Rimbaud bis Artaud, die herbeizitiert werden) - und zwar eines aus der Zeit seiner Umnachtung, in dem es heißt: "Alles ist Rhythmus". Willkommene Gelegenheit, sich wieder den Griechen zuzuwenden und vom Rhtyhmus zur epoche (als Moment eines Bruchs, einer Stillstellung) durchzuarbeiten, um dann bei der folgenden These zum Wesen der Kunst zu landen:

"Auf dieselbe Weise, erleben wir vor einem Kunstwerk oder einer Landschaft, die ins Licht ihrer eigenen Gegenwart getaucht ist, einen Stillstand der Zeit, als wären wir plötzlich in eine ursprünglichere Zeit geworfen. Einen Stillstand, eine Unterbrechung des nicht endenden Flusses von Momenten, der, aus der Zukunft kommend, in die Vergangenheit hinabsinkt, und diese Unterbrechung, dieser Stillstand, ist genau das, was den besonderen Status, den Modus der Gegenwart, des Kunstwerks oder der Landschaft, die wir vor Augen haben, ausmacht und enthüllt. Es ist, als würden wir vor etwas festgehalten, arretiert, aber dieses Arretiert-Sein ist auch ein Außerhalb-Sein, eine Ek-stasis in eine ursprünglichere Dimension."

Da ist sie dann also, die unverblümteste Präsenzphilosophie Heideggerscher Prägung, die ihren authentischen Moment im Kunsterleben hat. Durch die forcierte Übernahme der romantischen Diagnose vom Auseinanderklaffen von Genie und Kritiker (oder dem Produzenten und Rezipienten von Kunst), damit auch der ideologischen Annahme einer verlorengegangenen Einheit (die Agamben angesichts seiner Griechengläubigkeit nur mit Vorbehalten im Mittelalter verortet), durch die Insistenz auf der Sperrangelweite dieser Kluft - und damit das Ausklammern aller nicht-modernistischen Kulturproduktion (von Fotografie bis Film, von Pulp bis Pop), hofft Agamben, der guten alten Ontologie, der Feier des Kunstwerks als Ort des einzig eigentlichen Weltverhältnisses wieder Tür und Tor öffnen zu können. Diese Entzweiung des Menschen von sich selbst ist der Präzedenzfall der politischen Wendungen von Homo Sacer: Das Übel (das man, säkularisierend, als Biopolitik umbeschreiben kann) ist ein metaphysisches, die Rettung, so sie naht, naht nur in der Rückkehr zu den Ursprüngen. Die freilich ist nicht umstandslos möglich, Agamben, der italienische Benjamin-Herausgeber, schließt The Man Without Content mit einer Relektüre des Benjaminschen Bildes vom Engel der Geschichte, die auf eine wiederum existentialistische Interpretation des, natürlich, Werks von Franz Kafka hinausläuft. Die Zeiten, hatte man, ermutigt durch genaue, auf jeden metaphyischen Gestus verzichtende close readings von Kafkas Texten gehofft, sollten vorbei sein. Aber das ist nur symptomatisch: ein guter Teil des 20. Jahrhunderts ist an Agamben, der noch Ende der sechziger Jahre im kleinen Kreis Seminare bei Martin Heidegger besuchte, einfach vorbei gegangen. Wer aber irgendein Interesse hat an der postmodernen Lektüre der Moderne als Zurücknahme ihrer Ideologiebildungen, als Zerlegung ihrer Ansprüche in Einzelteile, der kann nur wünschen, dass Heideggers Comeback in Gestalt Giorgio Agambens durchschlagend wirkungslos bleibt.

(Übersetzung der Zitate aus dem Englischen: E.K.)

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