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Das Marthalertheater
 
Christoph Marthaler: Die Fruchtfliege (Volksbühne, 5.1.2007)

Von Ekkehard Knörer

Das Marthalertheater denkt über die Natur der Liebe nach. Aber Moment mal: Kann das Marthalertheater das denn überhaupt: Nachdenken? Ist es nicht vielmehr ein Singen und Summen, ein Ausbrechen und ein Verharren, ein Herumtun mit Gegenständen, ein Verschwinden und Tanzen, ein schüchternes Wesen, das die Figuren auf seiner Bühne, Monaden, die nie recht wissen, wohin mit sich selbst, einander niemals ganz nahe sein lässt? Ja, das ist das Marthalertheater, und weil es das ist, hat es zu den Gegenständen, die es sich gibt, ein wenig das Verhältnis, das die Figuren auf der Bühne zu den Dingen haben, die sie umgeben. Man streichelt sie. Man nähert sich ihnen mit Vorsicht. Man hält sich an ihnen fest, man nuckelt an ihnen. Man zieht sie an, man zieht sie aus, denn auch die Kleidung und auch der eigene Körper sind Dinge, die nicht geheuer sind. Marthalerfiguren sind unbehaust, aber sie machen auch wieder kein metaphysisches Drama draus, oder nur mal kurz, zwischendurch, denn dann wird wieder gesungen und gesummt.

Man imitiert, die Fliege zum Beispiel, mit den Armen, putziges Putzen der Arme, Mimikry der Figur an den Gegenstand als mögliche Umgangsform. Manchmal jedoch ahnt man eine Idee. Eine Struktur, die den Umgang des Marthalertheaters mit seinem Gegenstand beinahe zu einer Auseinandersetzung macht. Hier also, in der Fruchtfliege, scheint eine These von der Inkommensurabilität der Liebe als solcher und ihrer naturwissenschaftlichen Fassung gelegentlich im Raum zu stehen. Ein Fremdkörper, und ein Glück, dass man ihn vor allem als Projektion von chemischen Formeln und mal komischen, mal dämlichen Texten aufs Über-der-Bühne projiziert sieht. Dieser Fremdkörper ist kein Marthalerfremdkörper, sondern fürs Marthalertheater ein Unding, denn analytisch ist das Marthalertheater nicht. Es trennt nicht und es kennt keine Schärfe. Es erhellt die Sachen nicht, und nicht die Worte, die Lieder nicht und nicht die Gedanken, sondern es nutzt sie ab und schleift an ihnen herum, es ist eine unendliche Variation des so sanften wie bestimmten Einsatzes der Vorsilbe "zer". Ein Zersingen und Zersummen, ein Zergehen des Sinns - aber keine Zerstörung. Vor der Zerstörung macht das Marthalertheater Halt, gerade weil es immer schon auf dem Weg zu ihr ist. Es ist voller "Zer" und voller "Störung", aber genau dazwischen findet es statt. Fügte es sich zur "Zerstörung" zusammen, oder auch zum klaren analytischen Verstand, dann wäre es vorbei mit ihm.

Bei sich ist das Marthalertheater etwa im paillettenbesetzten, von Zeit zu Zeit pumpenden, sagen wir: herzförmigen Sack, der an der mittleren Garderobe hängt und glitzert, wenn ein Lichtstrahl auf ihn fällt. Die meiste Zeit freilich hängt er nur so herum, der Sack, und tut nicht so, als habe er da was zu suchen. Er wird auch von den Figuren auf der Bühne völlig ignoriert, er ist nur da entweder für gar niemanden oder für uns, das Publikum. Sonst freilich gibt es so viel Anhalt nicht, dass mit uns gerechnet würde, das Marthalertheater macht auf uns, aber vielleicht doch mit Fleiß, einen eher autistischen Eindruck. Der Mann am Klavier spielt so vor sich hin. Dazu wird gesungen und das Gesungene wird zersungen und manchmal schleicht sich eine Pointe in den Gesang. Überhaupt haben die Pointen immer etwas Schleichendes, so auch hier. Mal bleiben sie aus, mal treffen sie ein. Mal verpasst man sie fast, mal werden sie zu Tode geritten. Das ist gar nicht so sehr eine Frage der Subtilität, eher eine der Strukturferne des Geschehens.

Das Marthalertheater ist ein ewiger Wartesaal, in dem nur manchmal was passiert. Und da gar nicht mal klar ist, was das wäre, das "Was-Passieren", kann man nicht immer sagen, ob jetzt etwas passiert ist. Plötzlich bekommt der Klavierspieler einen Anfall, er wird durch den Raum getragen und spielt dann, zurück am Klavier, einfach weiter, als wäre nichts passiert. Oder das Wartepersonal fügt sich zum Chor und zerfällt dann wieder ins Monadische. Die Gestalt wird zur Figur und verkrümelt sich dann zurück in den Schrank oder in die Sitzbank, Klappe zu, wird wieder, quasi-vorindividuell, Gestalt. Oder nicht mal das. Hängt nur herum im Wartesaal. Ein bisschen auch wie kaputtes Elektrospielzeug, das manchmal noch einen Muckser tut, aber meistens liegt es herum und man findet es noch ganz schön, oder man erinnert sich daran, wie man früher damit gespielt hat, aber jetzt rührt es sich nicht mehr. Und dann, hoppla, doch. Dazu gibt es auch gar nicht viel zu sagen. "Die Fruchtfliege" ist wortarm. Oder jedenfalls arm an gesprochenen Worten, von ein paar Vorträgen abgesehen, von denen der eine sowieso ständig tourettesyndromartig aus dem Ruder läuft, wenn auch nicht ganz. Nie ganz. Nie geht das Marthalertheater ganz kaputt. (Fast ganz kaputt ging es in "Lieber Nicht" und da war es nun ganz bei sich selbst.) Singen ist was anderes. Beim Singen wird das Wort zum Teig, den man modulieren und kneten kann, zur Melodie, die eine selbstverständlich unbestimmte Sehnsucht weckt. Ja, es steckt eine große Sehnsucht im Marthalertheater, aber einen Gegenstand hat sie nicht. Oder nur so, wie eben überhaupt das Verhältnis zwischen Menschen und Dingen ist auf dieser Bühne: Man streichelt sie. Man nähert sich ihnen mit Vorsicht. Man hält sich an ihnen fest, man nuckelt an ihnen. Es ist von keiner Konsequenz. Die Sehnsucht steht für sich. Und einsam pumpt ein paillettenbesetztes Herz an der mittleren Garderobe.

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