Eyes Wide Shut

GB 1999
Regie: Stanley Kubrick

Rezension von Ekkehard Knörer

Das produktive Zentrum von Stanley Kubricks Film 'Eyes Wide Shut' ist die eigenwillige Überblendung, die er darin vornimmt. Es ist die Überblendung von Schnitzlers Traumnovelle und deren Substrat an psychoanalytischen Motiven, die alle um das Thema Eros kreisen - und dem New York der Gegenwart, dem banalen Eheleben eines jungen Paares. Auf eklatante Weise passt das eine nicht zum anderen und statt zum Ort der Entdeckung heute noch gültiger Wahrheiten wird der Film zum Schauplatz nicht aufzulösender Irritationen. Als historisch genaue Verfilmung der 'Traumnovelle' hätte 'Eyes Wide Shut' stimmig, elegant, erotisch und ästhetizistisch werden können, als Gegenwartsfilm ist er verstörend, eine Herausforderung und so irritierend wie  faszinierend.

Nicole Kidman und Tom Cruise versagen als Schauspieler vor den Dialogen, vor der Psychologie ihrer Figuren, vor den Schritten, die diese unternehmen - und sie müssten es, selbst wenn sie bessere Darsteller wären als sie sind. Ihre Beziehung, ihre Liebe, die Szenen des Verführtwerdens, all das ist horrend unglaubwürdig. Wie fast alles andere an diesem Film, der aber genau von der Sorte ist, die einen irritiert fragen lässt, welche dies- oder jenseits des üblichen Realismus liegende Ebene es sein könnte, die hier eine bestimmte Form von Schlüssigkeit herstellt.

Zunächst einmal sind alle Beziehungen innerhalb dieses Films, die der Arzt Bill Harford und seine Frau eingehen, von einem einzigen, durchgehenden Motiv bestimmt: Sex (zumeist in Verbindung mit Tod), Eros und Thanatos. Alle Frauen erweisen sich bei näherem Hinsehen als Huren, alle Männer als Freier oder Zuhälter. Der Binnenraum der Kleinfamilie des Paars wird unaufhörlich von Verführung, Begehren nichtehelicher Art umlagert, attackiert, bedrängt - bis in die Träume und Vorstellungen der Frau und, indirekt, als Kombination von Eifersucht und Voyeurismus, auch des Mannes. Dies bedeutet umgekehrt aber auch die Aufladung des banalen Beziehungsalltags mit den Mysterien von Sex und Tod. Die aber verläuft nicht ohne Widerstand der realistischen Oberfläche, der diese historische und psychologische Tiefenschicht introjiziert wird. Man findet sie genauer gesagt dort nicht wieder, oder nur ex negativo: in der Leere der Gesichter und Gesten von Cruise und Kidman. In ebenso leeren Gesten der Kamera, die etwa durch die verlassene Praxis von Harford streift, durch die Wohung des Paares fährt, die von allem psycho-symbolisch Labyrinthischen (das Kubrick in Shining meisterhaft evozierte) weit entfernt ist. Das aber bedeutet umgekehrt die Entwertung des Mysteriösen zum Maskenspiel, zur Schmierentragödie am Rande zur Lächerlichkeit.

Die Semiotik des Films ist also nicht symbolisch, sondern  (wie es sich Kino-Bildern auch geziemt) ganz oberflächlich - dies aber doppelt. Die andere, zweite, nicht zur ersten passende Oberfläche ist die der Darstellung von Sex, die in der langen Szene der Orgie in dem schlossartigen Gebäude gewissermaßen kulminiert. Auch hier aber ist nichts zu sehen als das, was gezeigt wird. Die Masken sind nichts als Mummenschanz, als solcher aber bloß der ironische Verweis auf eine Opposition von Oberfläche und Tiefe, die der Film gar nicht zu bieten hat. Die Verhältnisse sind im Gegenteil von atemberaubender Literalität. Durchgängig herrscht der Imperativ der Sichtbarkeit: daher die penetrante Bebilderung noch des gar nicht stattgefundenen Ehebruchs. Im Zuge des Geständniszwangs bleibt  nicht nur nichts verborgen, es siegt auch der Prunk des Sichtbaren über die Idee von Verborgenheit überhaupt. Wenn nichts als das Sichtbare bleibt, wird dieses eben orgiastisch: Eyes Wide Shut ist eine Ausstattungsorgie, eine Folge von ausgeklügelten und in schwelgerischer Strenge durchkomponierten Farbteppichen. Was könnte offensichtlicher sein, als Eros und Thanatos in den roten und dunkelblauen Tönen, die den Film dominieren, eben nicht zu symbolisieren (sie sind und bleiben stets präsent), sondern zu bebildern, verdoppeln und auch auf dieser Ebene an den (zugleich) banalen Interieurs und Außenszenen New Yorks abprallen zu lassen.

Das Ende des Films ist nach den Regeln üblicher Psychologie wiederum höchst unglaubhaft, die Restitution der Kleinfamilie - aber es kann keine andere (Er)Lösung geben als eine wiederum handfest literale: Let's have a good fuck heißt genau das und nichts anderes. Eros kollabiert auf der Oberfläche der Sichtbarkeit, die der Film ausbreitet, zu nicht mehr und nicht weniger als banalem Sex. Das ist ein banales Ende, kein anderes wäre möglich.

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