Monsoon Wedding

Indien 2001
Regie: Mira Nair

Rezension von Ekkehard Knörer

Hochzeitsvorbereitungen in der Stadt. Der Schauplatz ist Delhi, die Ehe ist arrangiert, die Verhältnisse sind verwickelt. Die Braut nämlich, um damit zu beginnen, liebt einen anderen, einen Fernsehstar, in dessen Sendung vehement ein Streit zwischen indischen Kulturpatrioten und Freunden des Westens (und das heißt, natürlich, Amerikas) ausgetragen wird. Das ist kein Zufall, auch der Bräutigam lebt seit vier Jahren in den USA, Houston, und kommt nun zurück in die Heimat, um die von den Eltern arrangierte Ehe einzugehen. Um, also, seine Braut auch mal kennenzulernen. Diesen Schritt in die Tradition macht er, die Ironie ist nicht zu übersehen, obgleich das nur kurz angedeutet wird, weil eine indische Jungfrau den mit allen sexuellen Wassern gewaschenen Amerikanerinnen vorzuziehen ist. So kann man sich irren.

Die Familie und ihre engere und weitere Verwandtschaft, die Mira Nair in diesem Film vorstellt, lebt an der vordersten Front der Verwestlichung der indischen Gesellschaft, so viel lässt sich auch ohne nähere soziologische Kenntnis der gegenwärtigen Verhältnisse sagen. Handys klingeln, man liest Cosmopolitan, der Vater spielt Golf vor der Stadt, man sieht die Hochhäuser von Delhi im Hintergrund. Auf dem Nachttisch liegt, als kultureller Reimport eines fremden Blicks, V.S. Naipauls Buch India. Noch die Dienstbotin spricht über Email und die Mutter des extra bestellten Hochzeits-Impresarios verfolgt in ihrer kümmerlichen Wohnung die aktuellen Börsennotierungen. Zugleich sind die Wurzeln der indischen Herkunft keineswegs verkümmert, die Hochzeit wird ein rauschendes indisches Fest und gerade die traditionellen Farben und Kleider scheinen (um ein weniges, dessen Härte nicht zu ermessen ist) mehr als nur noch symbolisch. Man geht reflektiert und spielerisch mit den Vorschriften der Tradition um, aber weiß darf das Zelt nicht sein und der Wechsel in die traditionelle Kleidung geschieht wie von selbst. Die Frauen bemalen die Hände der Braut mit typischem Henna-Schmuck, die Männer werden erst am Eindringen gehindert, hier erweist sich diese Trennung, die man sich als einst strikte vorstellt, jedoch nur noch als Zitat. Ohne dass Spannung entsteht, setzen sich die Männer dann einfach dazu.

Kaum etwas an den Geschichten, die der Film erzählt, verweist nicht auf diesen Hybrid- und Mischzustand. Es gibt hier keine Oppositionen mehr, keine klaren Alternativen (wie noch in der so als ideologisch kenntlich werdenden Fernsehdiskussion): alle Beteiligten sind, mehr oder weniger, aber stets schon mit Haut und Haar Inder und Amerikaner zugleich. Mitten im Satz wechselt man vom Englischen zu Hindi und wieder zurück, nicht nur wimmelt es auf dem Fest von NRIs (Non Residential Indians), also Indern, die Indien verlassen haben, auch die Nichte des Familienvaters, der denkbar unpatriarchalisch auftritt, will zum Creative-Writing-Studium in die USA.

Im Film wird dieser Doppelcharakter ohne allen Zwang, ja ohne allen sichtbar werdenden Saum, zur Form. Die Handkamera wieselt durch die Festvorbereitungen und das Fest ganz im neueren Dogma-Stil, die Vielzahl der Geschichten und ihre Verknüpfung in Zeit- und Ortssprüngen, auch in Parallelmontagen, erinnert an Robert Altman.Das realistische Spiel wird, aber meist nur noch kurz und zitathaft, zäsuriert von (intradiegetisch eingefangenen!) An Bollywood gemahnenden Song-and-Dance-Szenen oder ihren Äquivalenten: etwa einer Zeitlupenaufnahme des verliebten Dubey. Wenn es zum Kuss kommt, der im Bollywood-Kino nicht gezeigt werden darf, setzt bezeichnenderweise das einzige Mal in diesem von indischer Musik durchdrungenen Film orchestraler Hollywood-Streicherklang ein. Insbesondere der soziale Realismus, auf den Monsoon Wedding durchaus aus ist - Mira Nair hat als Regisseurin von Dokumentarfilmen begonnen -, hat jedoch keine einzige scharfe Kante mehr. Diese Abrundung geschieht durch den Überzug mit dem Plüsch und Samt von Bollywood. Die Figuren beginnen ihr filmisches Dasein als Klischees aus dem Bollywood-Film, werden - im Rahmen des in der Vielzahl der Geschichten Möglichen - angetieft, wenn man so sagen darf.

Abgründe werden sichtbar: der nette Onkel, erfährt man (und hier steht auf seine so ganz andere Art Vinterbergs Festen fraglos im Hintergrund), hat kinderschänderische Neigungen. Die Tragödie jedoch spuckt der Film unverlogen wieder aus. Er will sehr entschieden die Versöhnung. Wie es in den europäischen Komödien des 17. und 18. Jahrhunderts Tradition ist , erfährt die Semitragödie der hohen Stände ihre semikomödische Spiegelung auf der Dienstbotenebene (über diesen parallelen Umgang mit Herrschaftsverhältnissen sollte man vielleicht einmal länger nachdenken). So werden Standesunterschiede (als Kasten-Rest im aufgeklärten wohlhabenden Delhi-Alltag) markiert und im Zeichen der Versöhnung zu guter Letzt aufgehoben. Der Tanz des Hochzeitsfestes erträumt sich eine utopische Einheit: von oben und unten, von der Tradition mehr oder weniger entfremdeten Mitgliedern der Familie. Und zwar im Song and Dance von Bollywood. Im raffinierten Einsatz der verschiedenen Register, den Monsoon Wedding fast zur eigenen, den Code zur Entzifferung gleich mitliefernden Sprache entwickelt, ist jedoch der utopische Charakter genau dadurch klar markiert: das Register ist nicht die Beschreibung, sondern der phantastische Traum. Und Monsoon Wedding träumt diesen Traum sehr schön.

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