Tim Blake Nelson: O

(USA 2001)

Rezension von Ekkehard Knörer

Shakespeares Othello ist ein Stück übers Gift, das sich Menschen ins Ohr träufeln und seine Wirkungen. Das Gift sind Worte, die mehr sind als nur Worte, nämlich - was die Rhetorik immer wusste und die neuere philosophische Sprechakttheorie mühsam wieder entdecken musste - Taten. Jago, der in der Transposition in Film und Jetztzeit, die Tim Blake Nelson vorgenommen hat, Hugo heißt, ist ein raffinierter Sprengmeister, der - wenngleich nicht bis zum Schluss - genau weiß, wo und wann er welche Wort-Sprengsätze zünden muss, um die erwünschte Wirkung zu erzielen. Die besondere Schwierigkeit jeder das Geschehen ins Zeitgenössische verlegenden Umsetzung des Stücks liegt in einer im Vergleich zum Üblichen noch einmal verstärkten Historizität der Geschehnisse: Was unter den Bedingungen der Sitten und Gebräuche, der zwischenmenschlichen Erwartungsverhältnisse des elisabethanischen Zeitalters Wort-Usus und Reaktionsmuster gewesen ist und von daher im historischen Stück insbesondere psychologisch plausibel, wird es heutig vielleicht nicht sein. Schon weil, unter den anderen Rezeptions- und Traditionskonventionen filmischer Darstellung, bereits der Begriff von psychologischer Plausibilität ein gänzlich anderer sein dürfte. (Dass die Rahmung mit Tauben-Großaufnahmen, sakraler Musik und besinnlichem Text so geschmäcklerisch wie überflüssig ist, wird man dennoch anmerken können.)

Zwischen Treue gegenüber der "Vorlage" und eigenmächtiger Umarbeitung, die Treue womöglich gerade durch Verfremdung und Verschiebung herstellt, liegt also ein denkbar schmaler Grat (Baz Luhrmans "Romeo-und-Julia"-Verfilmung etwa macht sich da, trotz Beibehaltung des Originaltexts, kaum Gedanken. Ja, recht eigentlich ist gerade die Beibehaltung der Beweis für diese fröhliche Bedenkenlosigkeit). Dass dieser schmale Grat jedoch gangbar ist, belegt Tim Blake Nelsons insgesamt erstaunlich schlüssiger Versuch, die Geschehnisse von Venedig in die USA, von der Politik ins Highschool-Milieu und vom 16. ins 21. Jahrhundert zu verlegen. Othello ist nun Odin, nicht mehr der erfolgreiche General, sondern der Star des Basketball-Teams einer fast ausschließlich weißen all American Highschool. Hugos Motiv, und es wird klar herausgearbeitet, ist die Eifersucht des Sohns, dessen Vater als Basketballtrainer ("The Duke") Odin vorzuziehen scheint. Das ist natürlich eine problematische, vereinfachende Psychologisierung - aber, auf gewiss nicht sehr reflektierte Weise, typisch für die Art, wie sich Hollywood Menschen denkt und so Symptom der sehr richtigen Idee, dass es mehr als nur die Schauplätze zu verändern gilt.

In viel stärkerer Weise noch als in Othello wird die Geschichte auf die Tatsache zugespitzt, dass Odin ein Schwarzer unter Weißen ist. Der Umgang mit Worten, der einerseits als politisch korrekter thematisiert, andererseits im Black English von O, aber auch den zitierenden Übernahmen der anderen vorgeführt wird, hat zur Kehrseite den blanken - selbst wortlosen - Hass Jagos, der sich auch an das Schwarz-Sein heftet. Ausgesprochen und unausgesprochen ist Odins Hautfarbe immer Thema. So ist Jagos intrigantes Publikmachen der Tatsache, dass der Schwarze die Weiße vögelt, der erste, genau platzierte Keil zwischen Vater und Tochter, damit aber auch schon zwischen Desi und Odin. Die Insinuation des Unbeherrschten und Gewalttätigen sitzt, da sie allen Vorurteilen gerecht wird, tief und wird, hier gehen Hugos vertrackte Psycho-Berechnungen restlos auf, zur self fulfilling prophecy. So mutig wie klug ist es von Drehbuch und Regie, den ersten Höhepunkt der Eifersucht Odins punktgenau ins Bett zu verlegen, die Zivilisiertheit der Verhältnisse also in genau jenen sexuellen Gewaltakt umschlagen zu lassen, der von Hugo zu Beginn unterstellt wurde.

Hugos Meisterschaft im Umgang mit Worten als unmittelbare Wirkungen zeitigenden Taten ist indes vor allem deshalb so effektiv, weil erüber lange Zeit die Kontrolle über das, was die Sprechakttheorie Perlokution nennt, behält: die gerade nicht unmittelbaren Wirkungen der Worte. Der nächste und der übernächste Zug ist in dieser Form von Schach mit einer ganzen Reihe von Figuren stets mit einberechnet, die Ereignisse rasen, auch durch den geschickten Einsatz von Schein-Evidenzen wie etwa dem geschickt von hier nach da verschobenen Tuch, auf das von Hugo voraus geplante Ende zu. Erst als er genötigt wird, statt weiter das Gift, das seine Worte sind, in die Ohren der Betrogenen zu träufeln, sich selbst die Hände schmutzig zu machen, läuft alles aus dem Ruder: die in Gang gesetzten Reaktionen, an denen Hugo bei laufender Entwicklung stets noch verbal vermittelte Feineinstellungen vorgenommen hat, laufen auf vielfachen Tod hinaus. O, der sich zur Schuld hat verführen lassen, mobilisiert alles Pathos, um als Gegengift zu den Ereignissen eine Rede zu halten, die alles an den rechten Platz rückt: diese Rede richtet sich an die Mitwelt wie die Nachwelt und pocht, im geraden Gegensatz zu Hugos strategischem Einsatz von Worten, darauf, dass, was sie sagt, als Wahrheit und bare Münze zu nehmen ist. Sie wird so zur Apotheose genau der Naivität, die O erst zum Opfer werden ließ. Dass darauf noch einmal Hugo das Wort bekommt, ist leider eine der wenigen Dummheiten des Films.

Startseite