The Matrix

USA 1999
Regie: Larry und Andy Wachowski

Rezension von Ekkehard Knörer

Der zitierende, variierende, anspielungsreiche Umgang mit den Traditionen von Genres hat seine inhärenten Schwierigkeiten. Daß er sich kaum vermeiden läßt, nur mehr oder weniger bewußt, reflexiv und originell im Umgang mit dem Material vorgehen kann, ist bloße Voraussetzung, noch nicht das eigentliche Problem. Längst findet eine große, wenn nicht die Mehrzahl der Anspielungen nur im Kopf des Zuschauers statt, als nicht mehr kontrollierbarer Kenntnis- und Assoziationsüberschuß, auch damit gilt es umzugehen. Die Gefahr, der es zu begegnen gilt, mit der umgegangen werden muß, ist, daß die Rezeption eines Films aus Filmen/Büchern, die vorangingen, auf die zitierend oder kopierend oder blind repetierend angespielt wird, droht, vom Funktionieren der Narration abgelenkt zu werden - ins Auskennerische, ins Vergleichen, in die Reflexion. Anders als für alle Ecken der Kunst, in denen eine naive Rezeptionshaltung a priori perdu und nicht angestrebt ist, ist dies für den klassischen Hollywood- Erzählfilm eine echte Gefahr, deren in ihrer Hybridität reinste Verkörperung Schwarzeneggers 'Last Action Hero' darstellt, ein Flop beim Publikum wie bei der Kritik. Die mythologisch, genre-historisch, intertextuell hochkomplexen Komposit-Monster, die die besten Blockbuster heute sind und (vielleicht) sein müssen, haben zusätzlich, im Auftrag ihrer Majestät des Massenpublikums, noch zu funktionieren als Identifikationsapparate. Das schlägt zurück auf ihre Konstruktionen, ihre Helden, ihre Durchschaubarkeit wenigstens auf der Ebene des plots. Philosophische Erklärungen (um nun etwas konkreter auf THE MATRIX zu kommen) sind so nicht als sie selbst zu nehmen, sondern als Haltepunkte, an denen entlang sich das Verstehen eines solchen Films, nun aber, wenn man so will, unterkomplex, entlanghangelt. Der Dispersion des Sinns wird narrativ Einhalt geboten. (Das ist immer so, bei allem Erzählen, aber je höher die Anspielungs- und Reflexionsebene, desto schwindelerregender die Reduktion.)

THE MATRIX spart nicht mit Zitaten aus der Geschichte des SF-Films, der SF-Literatur (Philip K. Dick, Bladerunner, William Gibson, Dark City, um nur ein paar, auffällige, zu nennen) - und dennoch ist beim Übereinanderkopieren des heterogenen, wenigstens vielfältigen Materials ein Film eigenen Rechts entstanden, ein Film, der die Potentiale seiner Verweisungen zu bändigen versteht. Dies gelingt nicht zuletzt durch die ausdauernd aufmerksamkeitsheischende Komplizierung der Narration, nämlich die Auffaltung in verschiedene Realitätsebenen. Die zunächst etablierte (Film)Wirklichkeit ist die so ungefähr unserer Gegenwart; ihre Entlarvung als Fiktion oder Illusion, als komplette Täuschung und tota allegoria, geht Schritt für Schritt und (wie stets auch z.B. bei Philip K. Dick) am Leitfaden eines Helden vonstatten, an einer Bruchstelle, die dieser Held ist als Go-Between zwischen dieser Welt und einer anderen. Das theologische, gnostische Muster einer demiurgisch geschaffenen Welt der Täuschung wird angespielt und der Held dadurch zur Erlöserfigur, NEO, oder auch (in anagrammatischer Wahrheit) THE ONE, erkannt und erkoren, in Umkehrung der Vorlage, von seinen zukünftigen Jüngern.

Die special-effects-Wunder, die der Film aufbietet, sind auf der Ebene der Erzählung wirkliche Wunder, magische momentane Suspension der Gesetze der Wirklichkeit, die als nicht eigentliche zugleich Allegorie filmischer Illusionsbildung ist. Der Clou, mit dem diese Fiktionswelt mehr bleibt als bloßer Schein (der Clou auch von Cronenbergs verwandtem eXistenZ), ist ihre potentielle Tödlichkeit, der Ernst steter wirklicher Gefährdung.der Existenz auch in der als eigentlicher etablierten Realität. Die Aufspaltung erfährt so ihre Rück-Verankerung. Verbunden sind die zwei Welten auf passend material-substantielle Art: von der einen zur anderen gelangt man per Telefonverbindung (im merkwürdigen Rückfall ins auch klingelnd-klanglich Analoge; Rückbindung an ein Festnetz - da Handies nicht funktionieren; zugleich seltsames Stalker-Zitat), der Übergang in die Täuschungswelt digitalen Datenscheins bedeutet Stillstellung des anderen Selbst, seine Wehrlosigkeit, mit der zugleich Identität der Person in der Aufspaltung der Welten gewährleistet bleibt.

Der interessanteste (weil unauflösbar paradoxe) Verknüpfungspunkt ist eine wieder typische Philip-K.-Dick-Figur, das Orakel in äußerst hausfraulich-konkreter Gestalt. Ihr Ort ist (wenn auch auf rätselhafte Weise unzugänglich, an erhöhter Stelle) die Täuschungs-Wirklichkeit, die Wahrheit ihrer Prophezeiung liegt in einem intrikaten Verhältnis von Konstativität und Performativität. Die Digitalität (also Eindeutigkeit) erzeugt ihre Rätsel auf denkbar konkrete Weise, zudem erst in Interaktion mit ihrer Interpretation. Weil NEO ihr glaubt, erweist er die Prophezeiung als falsch. Zugleich lernt er, den Glauben ans Literale der Fiktion (und hier, in diesem Film, kommen Fiktion, Simulation, Illusion, Allegorie aus Gründen der Konstruktion wirklich in eins) aufzugeben und mit dieser Aufgabe diese Welt zu transzendieren oder zu hintergehen. Darin liegt freilich eine ungeheure Verführungskraft. Denn pfeift man auf den Literalsinn, der hier als Zweifel am Fleisch schlüssiges erzählerisches Moment wird, ist diese Welt der Fiktion ein grandioser Ort des Abenteuers, der Möglichkeit magischen Eingreifens, der Aufhebung des Realitätsprinzips. Am Ende ist DIE MATRIX die wirkliche Welt, die einzig erstrebenswerte, deren Regulationen, das Verbot des Lustprinzips, genrekonform Gestalt geworden sind als Agenten. Ohne die Agenten aber, und das ist noch eine kluge Einsicht des Films, würde Befreiung, auf unserer demiurgisch geschaffenen Täuschungs-Welt, überhaupt keinen Sinn machen.

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