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Heiner Goebbels: Eraritjaritjaka (Haus der Berliner Festspiele, November 2004)

Kritik von Ekkehard Knörer

  

Auf der Bühne das Mondriaan-Quartett. Eine Bühne für vier Musiker an ihren Notenpulten, sie spielen, versteht sich, Streichmusik. Hinter dieser Bühne, die fast keine Bühne ist, da sie ja sich selbst spielen und nicht einmal das: sie sind sie selbst, das Mondriaan-Quartett, hinter dieser Bühne ein Vorhang. Dann öffnet sich auf der Bühne, die keine ist, ein Spielraum in weiß, scharf ausgeschnitten. Licht von oben, wie ein Vorhang, der aufgezogen wird, ganz langsam, Lichtraum im Schwarzraum, die Musiker haben unterdessen ihre Notenpulte genommen und sich in den Hintergrund begeben.

Ein Mann tritt auf, er spricht, Mikroport, im Hintergrund wird gespielt, der Mann betritt das Lichtspielfeld und spricht französisch Texte von Elias Canetti. Er bewegt sich, seine Gesten, Sprachgesten, Körpergesten, sind genau abgezirkelt, mal ist der Zusammenhang der meist kurzen Texte evident, dann wieder nicht. Die Musiker werden nicht zu Mitspielern, sie teilen sich mit dem Sprecher keinen Raum. Die Bühne ist in sich gefaltet, ist nicht derselbe Raum. Das Licht wird schmal, kreiselt, der Mann kreiselt mit, im Zentrum der Lichtbühne, die ihn nun zur Konzentration auf die Bewegung drängt. Die Worte aber kommen wieder. Canettis Text aus "Masse und Macht" zum Dirigenten als Allegorie der Herrschaft. Auftritt eines kleinen tierartigen Roboters, der um sich kreiselt und einen kleinen Ball schleudert. Texte über Tiere: "Immer wenn man ein Tier genau betrachtet, hat man das Gefühl, ein Mensch, der drin sitzt, macht sich über einen lustig."

Nach einer halben Stunde vielleicht öffnet sich der Vorhang im Bühnenhintergrund, zum Vorschein kommt, ganz weiß, eine Hauswand. Vier schwarze Doppelschlitze, als Fenster. Der Mann, der spricht, verlässt die Bühne, eine Kamera folgt ihm, die Bilder, die sie aufzeichnet (live) werden auf diese Hauswand als Leinwand projiziert. Der Mann eilt aus dem Theater, klettert in ein Auto, sie fahren durch Berlin, Kudamm, er spricht weiter Texte von Elias Canetti, am Wittenbergplatz steigt er an der Pommesbude aus, dann geht er rechts in die Ansbacher Straße, ein Hauseingang, ein Schlüssel, eine Wohnung. Seine Wohnung. Die Kamera hinterher. Er geht in die Küche, die auf die Hausleinwand auf der Bühne projiziert wird, während das Mondriaan Quartett immer weiter spielt, jetzt aber findet der bisher schon filmmusikalische Gestus der Musik seine funktionale Erfüllung. Wie es etwas anderes ist, ein Bühnen-"Geschehen" - einen sprechenden, im Lichtbühnenkegel trippelnden, mit einem Robotertier spielenden Mann - zu begleiten als ein Filmgeschehen auf der Lichtspielwand (die im übrigen die Bühne auslöscht: da ist keine Bühne mehr, wir sind tatsächlich sehr schnell im Kino. Ein merkwürdiger Zufall, dass vor zwei Wochen am selben Ort, Kudamm Berlin, Szenen einer live ausgestrahlten ZDF-Fernsehfilmproduktion spielten. Das Fernsehen, das Theater sein will, das Theater, das Kino sein will, das Kino, das einmalig sein will. Jeden Abend ein anderer Film, der Regisseur Bruno Deville mit seiner Live-Handkamera.)

Wir sind in der Wohnung. Der Mann, der Texte von Canetti spricht, brät sich ein Omelette. Ein Wechsel im fiktionalen Register findet statt. Der Mann ist jetzt Kien, der Held aus der "Blendung". Kein Zwerg Fischerle freilich, keine Haushälterin, nur ein Zwischenspiel in Schwarzweiß, ein Klingeln an der Tür. Dann, sehr plötzlich, sehr verstörend, eine Irritation auf der Hausleinwand. Im rechten oberen schwarzen Fensterschlitz ist Licht zu sehen. Und im Licht der Mann, der davonfuhr, von der Kamera live verfolgt, und jetzt wieder da ist, hastunichtgesehen (hastuwirklichnichtgesehen!). Mit im Haus das Mondriaan Quartett. Während sie aber da sind und auch das Licht hinter den drei anderen Fenstern angeht, werden weiterhin Live-Aufnahmen auf die Hauswand projiziert. Das Innere ist nach außen gestülpt, der Film droht an den Schlitzen, die die Leinwand zum Vorhang machen, zu kollabieren. Ein Zweikampf eher als eine Kohabitation oder gegenseitige Komplementarität. Das Livegeschehen, verdeckt, im Raum, der sich dreidimensional hinter der Leinwand erstreckt, die Projektionsfläche der Wand, auf der das Geschehen, das im Inneren verdeckt zu ahnen ist, verfolgt werden kann -wenngleich justament jene Stellen, die Fensterschlitze, ausgespart bleiben, die den Blick auf die Hausbühne erlauben.

So wird es zu Ende gehen. Unaufgelöst. Filmmusiktexttheater, virtuos ineinander und gegeneinander geschlungen. Elegantes Gesamtkunstwerk, tobender Applaus.

     
 

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