BOL

Festival Filmfest Braunschweig 7.-12.11. 2000

INFO
Startseite
zur Startseite


Festival

Eine Lehrstunde über die Vielseitigkeit der Komödie und einiges mehr

- Eindrücke vom Braunschweiger Filmfest 2000 -
(7.-12.11. 2000)

Filmfest Braunschweig

________________________________________________________________

von Sascha Rettig

Der Zuckerschock saß tief, doch schon als die Vorstellung von Brigitte Müllers Debütfilm „Der Himmel kann warten“ vorbei war, ließ sich erahnen, daß diese gnadenlos verkitschte Tragikkomödie, ein großer Favorit auf den Publikumspreis „Der Heinrich“ sein würde. „Das Publikum mag meinen Film, nur Kritiker leiden dabei häufig an Überzuckerung“, sagte die Regisseurin im Gespräch mit dem begeisterten Publikum. Recht hat sie. Und da sich das Braunschweiger Filmfest, das vom 7. bis zum 12. November in seiner 14. Auflage stattfand, als Publikumsfilmfest sieht und „Der Heinrich“ ein Publikumspreis ist, gewann „Der Himmel kann warten“ tatsächlich den mit 20 000 DM dotierten Preis, der jeweils zur Hälfte an Regisseur und Produzent geht. Mit dem Heinrich, der dieses Jahr zum zweiten Mal vergeben wurde, soll der Europäische Filmnachwuchs gefördert werden. Im Wettbewerb laufen zehn Erstlings- oder Zweitlingsfilme von Europäischen Filmemacherinnen und Filmemachern. Trotz dieser Vorgabe war das Niveau des Wettbewerbs in diesem Jahr überraschend hoch.

Regisseurin und Darsteller des Siegerfilms Der Himmel kann warten

.

.

Leider hat mit „Der Himmel kann warten“ ein gelacktes Stück Unterhaltung gewonnen, von einer Regisseurin, die u.a. schon Drehbuchautorin für die Sat 1 Krankenhausserie „Für alle Fälle Stefanie“ war. Sie erzählt die Geschichte der zwei jungen Komiker Paul und Alex (Steffen Wink und Frank Giering), die für die Teilnahme an einem Comedy-Talentwettbewerb trainieren. Nachdem Alex erfährt, daß er Knochenkrebs hat, erfüllt er Paul den Wunsch, sein Komiker-Idol Rob Patterson in den USA treffen zu können. Paul selbst bemerkt erst viel zu spät Alex‘ Krankheit und beschließt auch dessen sehnlichsten Wunsch zu erfüllen: Einmal die Wärme und Zuneigung einer Frau spüren und natürlich mit ihr schlafen. Paul engagiert eine Prostituierte. Alex kriegt das raus. Der Rest verläuft folgendermaßen: Streit, Versöhnung, (Alex‘) Tod. Man merkt, daß Brigitte Müller die großen Gefühle will. Romantik, Tragik, Trauer und Liebe. Ach ja, und der Humor und die gute Laune dürfen nicht fehlen. Leider schlittert sie mit ihren bunten Bildern allzu oft ins süßliche Klischee ab, unter deren klebriger Hülle sich keine echten, sondern nur Kaugummigefühle entwickeln, die oberflächlich und manipulativ sind.

Der Wettbewerb mit seiner großen thematischen Bandbreite hatte da eindeutig interessantere Filme zu bieten. „Harry, un ami qui vous veut du bien - Harry meint es gut mit Dir“ ist das Debüt des Franzosen Dominique Moll, das dieses Jahr bereits in Cannes im Wettbewerb lief und dort sehr positiv aufgenommen wurde. Der Film spielt mit der Idee, daß ein ehemaliger Schulfreund unvorhergesehen in das Leben eines Familienvaters eindringt, um dessen Leben in die Hand zu nehmen und es nach eigenen Regeln und Wünschen zu verändern. Eine makabere Komödie mit Thriller-Anleihen, die Grenzen ausweitet, in bezug auf die Frage, wie weit man im Namen der Kunst gehen kann.

Ebenfalls sehr sehenswert war der spanische Beitrag „Flores de otro Mundo - Blumen von einer anderen Welt“, in dem vier Frauen auf einem Junggesellenbasar in einem spanischen Dorf vier Männer kennenlernen und ganz verschiedene Beziehungen mit ihnen eingehen. Auf ganz unspektakuläre Weise verfolgt der Zuschauer die Schicksale der Frauen, die alle auf der Suche nach dem Glück und Glücklichsein sind. Ein lebensbejahender und sympathischer Film mit der ganz alltäglichen Dosis von Komik und Tragik.

Neben dem Wettbewerb zeigt das Filmfest verschiedene andere Themenreihen in dem mehr als 80 Filme umfassenden Programm. Der Schwerpunkt „Europäischer Film“ zog sich auch hier wie ein roter Faden durch fast alle Reihen. Am offensichtlichsten war das bei der deutschen Premiere des Programms „15x15 - Das Europäische Filmerbe“. 15 mehr oder weniger renommierte Europäische Regisseure, unter ihnen Lars von Trier und Bertrand Tavernier, aus 15 verschiedenen Ländern haben jeweils einen Film ausgesucht, der über die Landesgrenzen kaum bekannt ist und zu seiner Zeit kein Kassenschlager war. Herausgekommen ist eine höchst subjektive Sammlung von verschiedensten Filmen, die als repräsentatives Stück europäischer Filmgeschichte zwar nicht bestehen können, mit denen aber ein Zeichen für den Willen der Zusammenarbeit innerhalb Europas gesetzt werden will. Der von Lars von Trier ausgewählte, experimentelle Beitrag „Det Gode og det Onde - Das Gute und das Böse“ (DK 1975) von Jörgen Leth, der mit wissenschaftlicher Akribie versucht, einfache Antworten auf grundlegende Fragen der menschlichen Existenz zu geben. Schwarz und weiß, gut und böse, schön und häßlich. Naiv erklärend dem System auf der Spur. Ganz anders der Film, der von Ulrike Ottinger für Deutschland ausgesucht wurde. „Der Verlorene“ (D 1951) war Peter Lorres einzige Regiearbeit, die beim damaligen Publikum durchfiel. Zu realistisch, zu hart war damals die Konfrontation des Publikums mit der eigenen, nationalsozialistischen Vergangenheit. Die Reihe „15x15“ startete in Braunschweig und wird demnächst auch auf anderen Deutschen Festivals zu sehen sein.

Die Länderreihe war in diesem Jahr dem „Filmland Österreich“ gewidmet, wobei die lakonische Komödie „Heller als der Mond“ von Virgil Widrich eine der größten Überraschungen des Filmfestes überhaupt war. Zwei Kleingangster, einer davon aus Rumänien (Lars Rudolph mit schwarzem Bärtchen!) und eine rumänische Illegale mit einem Italiener sind auf einer Überfall-Odyssee durch die muffigen Kleinstadtbanken der niederösterreichischen Provinz. Ihre Wege kreuzen sich gelegentlich, am Ende auch mit dem des debilen Kommissars, der ihnen während des gesamten Films mit einer eher lethargisch- abstrusen Taktik dicht auf den Versen ist. Zum Schluß macht alles irgendwie Sinn. „Heller als der Mond“ ist absurd, überraschend, kleinstadt-satirisch und im positivsten Sinne dämlich. „Indien“ trifft „Charms Zwischenfälle“ trifft Helge Schneider. Hoffentlich wird diese filmische Schräglage auch in Deutschland bald ins Kino kommen.

Ein auf ganz andere Art beeindruckender Film lief in der Reihe „Neues Kino“. „Ratcatcher“, das Debüt der Regisseurin Lynne Ramsay, beschreibt auf subtile Weise einige Wochen im Leben eines Jungen in den Glasgower Slums Mitte der Siebziger Jahre. In bedrückenden, aber auch wundersam-poetischen Bildern schildert sie seine Einsamkeit, die Suche nach Wärme und Zuneigung und die immer wieder aufkeimende Hoffnung auf ein besseres Leben. Ein verstörendes Meisterwerk, das sich ins Gedächtnis brennt und direkt ins Herz trifft.

Ein filmisches Leichtgewicht war dagegen die internationale Produktion „Ein todsicheres Geschäft“ des deutschen Regisseurs M.X. Oberg. Es ist die Geschichte eines jungen Bestatters, der sich in einem walisischen Rentnerkaff selbständig und somit dem ortsansässigen Traditionsbetrieb Konkurrenz machen will. Intelligenter Weise verzichtet Oberg größtenteils auf die üblichen Branchenwitze und legt sein Hauptaugenmerk auf skurrile Details und einen eher diskreten Humor. Die jazzige Atmosphäre dieser schwarzen Komödie legt sich wie ein Trancezustand über den Zuschauer, der sich bis zum Ende darüber unklar ist, ob er einen langweiligen oder einen eigenwilligen Film gesehen hat.

Auffallend war die große Anzahl der Komödien im Programm. Ob schwarz, leicht, bewegend, schrill oder mit tragischem Einschlag. Von der Seventies-Klamotte „Whatever happened to Harold Smith“ über den makaberen „Harry meint es gut mit Dir“ bis hin zum trockenhumorigen „Heller als der Mond“ - so witzig und unbeschwert, aber dennoch fernab jeglicher Belanglosigkeit, hat sich das Filmfest noch nie gegeben. Es war, ohne ernste oder politische Themen zu übergehen (z.B. durch die Werkschau des in Frankreich lebenden Kameruner Regisseurs Jean-Marie Téno), eine gelungene Lehrstunde über die Vielseitigkeit des Komödiengenres und darüber hinaus wurde der Beweis erbracht, daß das Europäische Kino entgegen aller Unkenrufe eine kreative Vitalität besitzt und als Gegenpol zum übermächtigen Amerika durchaus bestehen kann. Nur sollte sich das Filmfest in den nächsten Jahren nicht noch weiter dem kommerziellen Film, dem populären Kino öffnen. Filme zu zeigen, die wie „The Cell“, „Summer of Sam“ oder der neue Woody Allen Film „Schmalspurganoven“ sowieso kurze Zeit später bundesweit im Kino zu sehen sein werden, macht das Filmfest uninteressant und raubt ihm den Sinn. Im Umkehrschluß soll das aber keineswegs bedeuten, daß sich das Filmfest auf elitäre Nischenfilme konzentrieren sollte. Vielmehr haben diese Mischung aus beidem und die angenehme, fast familiäre Atmosphäre das Filmfest zu einer kulturellen Institution der Region gemacht, und in diesem Sinne war der 2000er Jahrgang auch ein guter Jahrgang.

Schnellsuche

Suchbegriff

Suche und Bestellung von Büchern, Videos, DVDs, CDs. Partner von Jump Cut.
Suchbegriff (Titel, Regisseur, Autor etc.) ins Formularfeld eingeben. 


Startseite
zur Startseite


Filmfest Braunschweig

Das Copyright des Textes liegt beim Autor. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit seiner Zustimmung.

Die Bildrechte verbleiben bei ihren Eigentümern. Die Bilder dienen hier nur der Illustration.

Für Kommentare etc.: Mail