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Thomas Durchschlag: Allein (D 2005)

Kritik von Ulrike Mattern 

Start: 28. Juli

Ein Film aus dem Ruhrgebiet lotet seelisches Niemandsland aus. Lavinia Wilson wurde für ihre Darstellung einer instabilen jungen Frau in dem Spielfilmdebüt „Allein” von Thomas Durchschlag auf dem Max-Ophüls-Festival ausgezeichnet.

Auf den ersten Blick wirkt Maria wie ein x-beliebiges hübsches Mädchen. Sie hat braunes schulterlanges Haar, trägt Jeans und T-Shirt und fährt mit dem Bus zur Arbeit. Sie arbeitet in der Universitätsbibliothek, trifft sich mittags in der Mensa mit ihrer Freundin Sarah und geht abends tanzen. Der erste Eindruck täuscht. Maria ist anders. Sie kommt häufig zu spät zur Arbeit, weil sie am Abend zuvor versumpft ist. Sie kennt kein Maß, lebt impulsiv ihre Bedürfnisse aus, raucht und trinkt zu viel, nimmt Drogen. Ihr Kontakt zu Männern beschränkt sich auf Sex, der sie Nacht für Nacht davon befreit, allein zu sein. Dann verliebt sie sich in Jan, und alles soll sich ändern.

Es deutet sich an, in den Gesprächen mit der Freundin, in den Anspielungen des aufdringlichen Vorgesetzten, dass es Maria nicht gut geht. Ihre Unbeständigkeit wirkt zwanghaft, der abrupte Stimmungswechsel unkontrolliert. Sie vollzieht ein Ritual der Selbstzerstörung, schneidet sich mit der Rasierklinge in die Handgelenke. In der Medizin wird dieses Verhalten als Borderlinesyndrom bezeichnet, da sich die Anzeichen auf einer Grenzlinie zwischen Neurosen und Psychosen bewegen.

Grenzfälle sind oftmals die Filme, die sich mit den Abgründen der Seele beschäftigen. Nicht alle sind so erfolgreich wie das mit fünf Oscars ausgezeichnete Anti-Psychiatrie-Drama „Einer flog übers Kuckucksnest” (1975) von Milos Forman mit Jack Nicholson in der Hauptrolle oder setzen die Phantasiewelt eines schizophrenen Teenagers sensibel um wie in der Adaption der Autobiografie einer Betroffenen in „Ich habe dir nie einen Rosengarten versprochen” (1977). Trotz Starbesetzung mit Winona Ryder und Angelina Jolie, die einen Oscar für ihre Nebenrolle erhielt, macht z.B. „Durchgeknallt” (1999) nicht die Phänomene transparenter, sondern verheizte die attraktiven weiblichen Insassen einer Psychiatrie für den Showeffekt.

Dies liegt dem 1974 in Oberhausen geborenen Regisseur Thomas Durchschlag fern. Er kann sich in seinem Debüt „Allein” auf ein fein aufeinander abgestimmtes Team verlassen, allen voran die ausdrucksstarke Lavinia Wilson. „Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht”, tröstet Maria ihren hilflosen Freund Jan. Sie stehen zu zweit auf der Spitze der Schurenbachhalde, vor dem tonnenschweren Stahlkörper der Bramme. Im Gesicht trägt Maria die Verletzungen der Nacht wie die Narben einer Kriegerin. Sie ist nicht mehr allein in ihrem Niemandsland, dass in der kargen Umgebung seine räumliche Entsprechung findet.

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