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Jan Pieter Brugge: Anatomie einer Entführung  (The Clearing, USA 2004)

 

Kritik von Ekkehard Knörer 

Einer hat Geld und einer hat keins. Zwischen den beiden entwickelt sich unterm Mantel der Genreerzählung ein Kampf um Anerkennung. Darüber, dagegen, daneben geblendet, unterm selben Mantel: die Geschichte einer Ehe. Was Menschen einander sind und was sie von einander wissen. Wenig. Das Private und das Wirtschaftliche und wie es sich, am anderen und selben Ort, zur anderen und selben Zeit, so ineinander verschränkt, dass man das eine vom anderen kaum trennen kann. Ein Sittenbild.

Selbstgerechtigkeit, die Moral des Ökonomischen und des Privaten. Wall Street Journal und Ehebruch. Ausgetragen wird der Kampf im Wald, der aber schnell zum Wald der Gesellschaft wird. Klug figuriert mit einem Verstoß gegen die übliche Filmgrammatik ist die synkopierte Parallelmontage. Es zieht sich so ein Riss hinein in diese doppelte Geschichte, produziert, vom Ende her, das schon stattgefunden hat, eine Spannung, die als unkoscher sich erst unter den veränderten Umständen des Ausgangs erweisen wird.

Davor aber bewundernswert der doppelte Schauplatz, verschoben, und die Präzision, die die Regie den Darstellern eingetrieben hat. Der unterschwellig bleibende Breakbeat der stattfindenden oder ausbleibenden oder gerade im Ausbleiben stattfindenden Verständigung zwischen Mann und Frau in den ersten Bildern in Dialogen, die so steifleinern gehören wie sie klingen. Der Kampf gegen die Preisgabe eines Selbst, das denen, die es geschafft haben, ein Rätsel bleibt und, das wird man so zurückrechnen dürfen, die das, was sie geschafft haben, nur schaffen durften um den Preis dieses Selbstverlusts. Die Verletzungen, die ein Verlierer dem Gewinner präsentiert, obwohl er ahnt, dass er nichts zu gewinnen hat. Der Gewinner, der seine Verachtung demonstrieren muss, noch da, wo er nichts mehr zu verlieren hat.

Dass der Mensch dem Menschen ein Tier ist, zeigt sich im Wald, der ein Ort der Klarheit wird, "The Clearing", ein Überall, kein Nirgendwo. Darum gibt es kein Zurück, kein Entkommen, für keinen der Beteiligten. Die Situation ist verfahren, und zwar von Grund auf. Anders und ganz schlicht gesagt (und der Film sagt es, um sich dann ins eingebildete wahre Leben im Falschen zurückzukuscheln wie eine Witwe, die keine ist, ins Ehebett): Die Gesellschaftsordnung, die diese Struktur produziert und reproduziert, ist nicht heilbar, Reichtum und Verachtung und Mord und Totschlag schafft sie fort und fort. Am Ende ist einer tot und einer reich, einen Zuwachs an Wahrheit, Gerechtigkeit, Glück hat es nicht gegeben.

Und dann eben doch ein Abhang gen Hollywood: Der aussichtslose Kampf um Anerkennung wird nicht nur kriminalisiert, sondern zusätzlich noch pathologisiert, auf der anderen Seite stellt das Glück sich ein im Bild als mehr denn nur imaginäres. Nicht nur wer will sieht das Happy-End dieser Geschichte einer Wiederverheiratung. Ein Familienfoto. Alle Brüche gekittet und zugleich im Oikos des Privaten wieder säuberlich getrennt durch einen falschen Trick, der auch den wahren Trick der figurierten Zeitgrammatik zuletzt in ein schlechtes Licht rückt. Eine Sache auch der filmästhetischen Moral. Nichts stimmt an Lösungen für Gleichungen, die nicht lösbar sind. Wir verlachen Geister aus Kinomaschinen.

Aber vielleicht lehrt einen das Ende als Imagination ja gerade, wie die Struktur einer Gesellschaft als Traumfabrik das Rettende als Geistheilung sich nahen lässt, wo es eine andere Rettung nicht geben kann. Das Gespenst wäre der Begriff, den wir uns von einer Rettung noch machen können. Die Utopie, die sich in lauter falsche als verkrochen hat.

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