Jump Cut Kritik

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Jonathan Glazer: Birth (USA 2004)

Eine Kritik von Ekkehard Knörer

 

Ein Geisterfilm, in dem sich die Rückkehr des Verdrängten als Drängen in täuschender Gestalt kindlicher Unschuld manifestiert. In "Dead Calm" von Phillip Noyce, dem Film, der Nicole Kidman auch außerhalb Australiens bekannt machte, musste die Figur, die sie spielt, das tote Kind, das wiederkehrt, auf hoher See wieder und wieder töten. (Das ist die Wendung, die den Thrillerplot des Buches zum Psychothrillerplot des Films macht.) Auch in "Birth", der Star Nicole Kidman ist die Hauptdarstellerin des Films, geht es um den endgültigen Abschied von einem Toten. Der Film geht dabei weniger rabiat, sehr viel schleichender und unheimlicher zur Sache als "Dead Calm". Allerdings gilt es hier auch zwei Untote zu vermitteln, genauer gesagt: die phantasmatische Version des Toten und die reale. Da das Phantasma durch Aufklärung über das Reale löschbar ist, kann – im komplizierteren Prozess der Trauerarbeit - die Tötung ausbleiben. Wie in "Dead Calm" aber wird der melancholisch harrende Wunsch nach Wiederkehr gespenstische Gestalt, an der der Abschied durchzuarbeiten ist. Dabei geht es tief hinein in den Abgrund der erneuten phantasmatischen Fehlidentifikationen.

Der entscheidende und kühne Kniff von "Birth" ist die Wahl des Gespenstes. Sean, das Kind, das zur Verkörperung des abgespaltenen Wunsches wird, kann nur als Kind, mit der sexuellen Unschuld des Kindes, in Stellvertretung handeln und leiden und nicht verstehend verstehen. "Ich bin nicht Sean" – das Ich, das hier spricht, erkennt sich als "Ich" nicht wieder und auch nicht als "Sean". In diesem Satz – entfaltet müsste er lauten "Ich, der ich Sean bin, bin nicht Sean" – enthüllt und verhüllt sich zugleich das Reale. Noch die Wahrheit über diesen Satz und damit die Erkenntnis des Verkennens spricht das Kind Sean, das sich als Nicht-Sean erkennt, aus: "Ich kann es nicht anders sagen." Und so löst das Phantasma sich auf, obwohl die reale Wahrheit (der Betrug) in einem entscheidenden Sinn verkannt bleibt. Das Kind kennt - und erkennt - die imaginäre Situation der Mutter-Kind-Dyade, die im Phantasmatischen der Liebe sich in glücklicher Verkennung wiederholt. Das Register des Symbolischen ist ihm fremd, die ausgebuddelten - anders als die vergrabenen! - Liebesbriefe sind eindeutig im Bereich des Imaginären angesiedelt, folglich erlebt und erkennt es die Störung, die das Auftreten der Geliebten bedeutet, es erfährt sie als Störung der Ich-Imago ("Ich bin nicht Sean") - aber es begreift sie nicht, kann sie nicht ins Register des Symbolischen übertragen. (Dabei ist es ganz egal, ob das orthodoxer Lacanianismus ist oder nicht: Es ist die Konstruktion des Films.)

Die Heilung erfolgt über eine bittere Wahrheit, der die Trauernde noch im Moment des Abschieds nur über die Vermittlung des kindergespenstgestalthaft abgespaltenen Wunsches inne wird – und deshalb auch gerade nicht. Die Abspaltung macht vielmehr die Heilung ohne Innewerden und Verinnerlichung der Wahrheit möglich. In der Abspaltung des Phantasmas als unschuldiges Kind bleibt auch die Wahrheit abgespalten und unerkannt. Das Phantasma wird - in der blinden Erkenntnis des Kindes - überwunden, ohne als Erkenntnis der Wahrheit als solcher eingeholt zu werden. Wir bekommen das zu sehen. Dass eine solche Löschung des Phantasmas ohne Erkenntnis möglich ist, können wir glauben. Oder auch nicht. Die letzten Bilder zeigen die Hochzeit am Meer. Das Wasser, das alle Spuren im Sand überspült, wird zur Metapher der Löschung. Aber womöglich lauern die Untoten weiter, sous le sable, unter dem Sand.

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