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Apichatpong Weerasethakul: Blissfully Yours  (Thailand 2002)

Kritik von Ekkehard Knörer

Die ersten Bilder: Min (ein junger Mann), Roong (eine junge Frau), eine Ärztin, Orn (eine nicht mehr ganz junge Frau). Einstellungen aus Halbdistanz, statisch. Min schweigt, Orn spricht, erklärt (Mins Miene bleibt ausdruckslos): Es ist schlimmer geworden mit seiner Hautkrankheit. Orn bedrängt die Ärztin, einer Gesundheitsbescheinigung wegen, die Min braucht, um eine Arbeitserlaubnis zu erhalten. Wir erfahren außerdem: Orn nimmt selbst Tabletten, vermutet, dass es sich um Anti-Depressiva handelt, die Ärztin leugnet es: nur gegen den Stress. Orn aber hat, der Tabletten wegen, keine Lust mehr auf ihren Mann. Später spricht sie mit ihm, sucht ihn auf im Büro, in dem erarbeitet. Wir erfahren: Ihr Kind ist gestorben, sie will wieder ein Kind. Min sitzt im Flur, vor dem Fernseher, in dem eine Sendung läuft über den Delphin, der sterben wollte. Ein Mann setzt sich neben ihn, legt ihm die Hand auf den Schenkel. Min schüttelt den Kopf und schweigt.

Danach: Orn, im Speiseraum der Firma, in der ihr Mann arbeitet, sie bereitet Salbe für Min und mischt Kosmetika mit Gemüse, das sie zuvor auf dem Markt gekauft hat: Min, mit einem blauen Schirm, immer neben ihr, wortlos. Orn gibt ihrem Mann einen Löffel von der Salbe, die seltsamste Einstellung des Films: aus Untersicht, milchig eingetrübt der Rand des Bildes, verklärtes Lächeln des Mannes. Orn und Min brechen auf, mit dem Auto, die Kamera verharrt lange im Blick aus dem Rückfenster. Es nähert sich, auf dem Motorrad, der Mann aus der Firma, der erst neben Min saß, dann im Küchenraum, er winkt Min und Orn, überholt sie, beide zeigen keinerlei Reaktion. Sie sind auf dem Weg zu Roong, die in einer Fabrik arbeitet, in der westliche Cartoon- und Comicfiguren, Bugs Bunny, Fred Feuerstein, produziert und von Hand angemalt werden. Min spricht. Noch nicht mit Roong, aber mit dem Wachpersonal. Er ist Birmese, erfahren wir nun, über die Grenze geflohen, eine illegale Existenz.

Roong und Min, im Auto - Orn nimmt Roongs Motorrad -, brechen auf zu einer Fahrt, weg aus der Stadt, Min will Roong etwas zeigen, einen wunderschönen Ort. Über dieser Fahrt, die Kamera blickt nun auf gewundene Straße, von Grün gesäumt, Roong cremt Min ein mit der Salbe, die Orn bereitet hat, sie streichelt ihn, zärtlich vielleicht. Über dieser Fahrt, nach einer guten halben Stunde: der Vorspann. Daneben, darunter, das einzige Mal in diesem Film: Musik, Easy Listening, sehr eingängig, die Straße windet sich, Roong salbt Min. Erst hier - und nur hier - fällt "Blissfully Yours" heraus aus der Selbstverständlichkeit seiner so klaren wie rätselhaften Bilder, erklärt sich zum Film und verliert sich sofort darauf zurück an das, was er ist: eine atemberaubend selbstgewisse Erkundung dreier Menschen im Präsens des scheinbar Dokumentarischen. Und noch Erkundung scheint das falsche Wort, der Film ist reines Zeigen. Die Sorgfalt jeder einzelnen Einstellung, die Tonspur, die Natur nach Art fast unmerklich modulierter minimal music auf der Grenze der Wahrnehmung hin- und hergleiten lässt, drängen sich, könnte man sagen, in den Hintergrund, um im Vordergrund die ohne diesen formalen Gegenhalt nicht anschaulich zu machende und daher nur scheinbar reine Physis ins Bild zu rücken.

Diese Physis ist Natur. Min führt Roong durch einen Wald, minutenlang. Unterwegs entledigt er sich seiner Kleidung, bis auf die Boxer-Shorts, seine Haut, die sich schuppt, erträgt keinen Kontakt (und auch nicht das Licht der Sonne). Sie gelangen auf einen Felsvorsprung, der Blick von hier hinaus ist atemberaubend: die Kamera verharrt auf Roongs Gesicht, darin sucht sie das Erhabene, nicht in der Produktion von Bildern, die den Betrachter überwältigen wollen. Diese Einstellung ist die Summe von Weerasethakuls Ästhetik: er zeigt Menschen, als wären sie Natur. Er verfestigt sie nicht zu Charakteren, er verweigert ihre Entzifferung, indem er Zusammenhänge unerläutert lässt , aber auch, indem er das zu sehen Gegebene mit der wie unbeteiligten Kamera skizziert, ohne es aufzufüllen zu jener Nachvollziehbarkeit, die das Einfühlen des Betrachters erst möglich macht. All die Figuren verharren diesseits der Schwelle des Identifizierbaren. Sie sind nicht verrätselt, sondern gerade durch die absolute Klarheit der Darstellung prä-psychologisch. Die Bilder von "Blissfully Yours" stoßen auf die nackte Haut der Figuren und finden an ihr ihre Grenze. Die sich schuppende Oberbfläche von Mins Körper, sein beinahe körperhaftes Schweigen zu Beginn, Roongs Hand an seinem Schwanz fast am Ende. Die Körper von Orn und Sirote, ihrem Mann, beim Sex, auch in diesem zum aus der Zeit, fast aus der Welt gefallenen Wald als Schau-Platz des Films. Noch in den Close-Ups prallt der Blick auf den Körper und postuliert nichts als diesen.

Größte Vorsicht ist deshalb auch geboten gegenüber allen Versuchen der interpretatorischen Aufladung der Bilder mit Bedeutung. Die Natur, in die die Figuren sehr buchstäblich gebettet werden, legt Vorstellungen des Paradiesischen nahe. Weerasethakul durchkreuzt sie freilich mit leichter Hand: Orn, auf dem Weg zu Min und Roong, duchquert eine Art Mülldeponie mitten im Wald. Die Reduktion der drei Figuren aufs Kreatürliche ist vielleicht nicht mehr als genau das: alle Mitbeschreibung von Gesellschaft wie von Plot-Zusammenhängen ist aus den Bildern gedrängt zur Eröffnung eines Freiraums, der dann der Raum (auch der von nichts als der Montage und der Dauer der Einstellungen gegebene Zeit-Raum) eines reinen Kinos wäre, das nicht mehr im Sinn hat als sich (die Kamera wie die Leinwand) bereit zu halten fürs Notat. Von Körpern, von Anblicken. Mit Naturalismus oder Dokumentation im naiven Verstand hat das nichts zu tun, denn die Eröffnung dieses Bild- und Tonraumes ist Funktion der elementarsten, im Ausgefeilt-Rhetorischen des gewöhnlichen Kinos immer schon überspielten, Akte des Filmemachens: der Ausschnitte, die die Einstellung herstellt, der Schnitte, die den Raum ordnen und produzieren, der Anordung der Körper, des Zeigens ihrer Berührungen, auf die es hier ankommt. "Blissfully Yours" spricht eine Ursprache des Kinos, die alles andere als Natur ist. Die Reinheit seiner Bilder ist eine Reinheit, die aller Virtuosität nicht voraus liegt, sondern auf einer geradezu phänomenologischen epoche beruht: der absichtsvollen Suspension dessen, was wir immer schon wissen und immer schon sehen. Der Phänomenologie, die als Philosophie ein Problem mit den Wort hat, die als Notwendigkeit auf dem Weg zu den Sachen liegen, hat das Kino das eine voraus: die Evidenz der Bilder. Fast scheint es, hier, in diesem Film, der die Seligkeit im Titel trägt, als könne den Bildern, und nur ihnen, die Rückkehr ins Paradies gelingen.

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