Jump Cut Theaterfilme
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Magazin für Film & Kritik

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Theaterfilme 9: Die goldene Karosse (Jean Renoir, F 1953)
 
Von Stefanie Diekmann
  
 

 
Die erste Kamerafahrt: über die Zuschauerreihen eines Theaters auf den Vorhang zu, durch das Proszenium auf die Bühne, von dort über die Treppe, die sich im Zentrum des Bühnenbildes befindet, hoch in die Kulissen; ein Schnitt setzt der Fahrt ein Ende und markiert zugleich den Registerwechsel von der theatralen zu einer filmischen Führung des Blicks. Die letzte Kamerafahrt: aus den Kulissen heraus zurück auf die Höhe der Treppe, von dort rückwärts die Stufen hinunter, durch das Proszenium in den Zuschauerraum, weiter über die Reihen der Sitze, so dass der letzte Auftritt der Schauspielerin, an der Rampe, vor dem geschlossenen Vorhang, nurmehr aus der Distanz gezeigt wird. Zwei Fahrten, eine in die Welt der Bühne hinein, eine andere aus dieser Welt heraus, in der, für die Dauer von eineinhalb Stunden, die Prinzipien des Films gewaltet haben (Schnitte, Einstellungswechsel, Sprünge, Montagen), und die doch ganz und gar eine theatrale ist.

Theatral, das heißt zunächst: eine der Repräsentation, für die es hier mehr Experten gibt als nur die Vertreter des Theaters, und unter den Experten nicht nur solche, die dem Theater freundlich gesinnt sind. Die dramatis personae, die Renoirs Film versammelt, ließen sich mit gewissem Recht als ein Ensemble von Repräsentationsfachleuten bezeichnen, allen voran der Vizekönig der namenlosen südamerikanischen Kolonie, der klug über den rechten Einsatz von Symbolen und Insignien zu plaudern weiß und ebenso darüber, dass Souveränität zuallererst eine Sache der gelungenen Inszenierung ist. Sein Königtum indes bleibt abhängig von Wohlwollen und Billigung des Bischofs, dem seinerseits eine gewisse Theaterfeindlichkeit unterstellt wird und, man darf es vermuten, auch gewisse Vorbehalte gegenüber allzu ungehemmter Prachtentfaltung auf Seiten der weltlichen Macht. Neben diesen beiden Würdenträgern finden sich ein Vertreter des Gerichts, der gegen das Theater hetzt, ein Hofstaat, der ganz und gar aus Larven und Kostümen besteht, ein Torero, der im Wettstreit um Gunst und Achtung des Publikums eine ernsthafte Konkurrenz darstellt, und ein Volk, dem ein Spektakel so viel gilt wie das andere, weshalb es sich für die Auftritte von Königtum und Kirche ebenso begeistern kann wie für die Kunst des Stierkampfes oder die Darbietungen der aus Italien angereisten Schauspielertruppe. Zwischen all dem ein etwas verdrossener junger Mann (ein Rosseauist - man weiß, was das für das Theater bedeutet), der erst das Schwarz des Kaufmannssohnes trägt und später den Rock eines Hauptmanns der staatlichen Armee, und der die Schauspielerin liebt, um die sich ebenso der Torero und später der Vizekönig bemühen.

Eine andere Lesart des Theatralen: Kulissenhaftigkeit, Draperien, Fassaden, Konstrukte, Staffagen, wohin das Auge blickt. Das Ganze bevölkert mit Akteuren, die manchmal eine Perücke tragen und immer ein Kostüm, so wie sie auch immer einen Text zu sprechen und eine Rolle zu gestalten haben, was sie mit mehr oder weniger Grandezza tun. Bei Renoir tritt der Soldat als Soldat auf (ein Dreispitz und ein Waffenrock - in dieser Verkleidung scheint selbst der Rousseauist dem Theater nicht mehr so fern), der König als König (Tressen, Puder, silberne Knöpfe und goldene Schnallen), die Intriganten als Intriganten, die Mätresse als Mätresse, die Schauspieler als Duplikate derer, die sie auf der Bühne verkörpern, und zugleich als fahrende Komödianten, wie sie schon auf tausend Bilderbögen dargestellt worden sind. Ein Karren, ein paar alte Soffitten, ein Kostümfundus als schäbiger und dennoch kostbarster Besitz, rote Beinkleider, Schellen, Gitarren, Schminke, Lärm: In Die goldene Karosse werden Klischees, vor allem solche über das Theater, als unverzichtbar behandelt.

Ein Klischee auch: die Schauspielerin, aber ein übergroßes, überhöhtes, Allegorie ihrer Kunst und zugleich Allegorie des Weiblichen. Die Schauspielerin (Anna Magnani) ist schön, unbeständig, launenhaft; sie setzt Gefühle frei, ohne sich auf sie verpflichten zu lassen; sie ist, was man in ihr zu sehen glaubt und niemals das, was man von ihr verlangt; sie gibt sich hin und entzieht sich und wird, Zentrum eines Schauspiels der Kabale und Affekte, am Ende den Rückzug auf die Bühne (nicht: von der Bühne) antreten und alle Optionen auf einen Kulissenwechsel – an den Hof, in die Arena, in die unberührte Natur – ausschlagen. Nicht die Welt als Theater ist das Konzept, das am Ende des Films steht, sondern ein Theater, das es gegen die Welt zu sichern gilt: ein Ort, an dem sich vielerlei abspielen kann, ohne dass jemand ernsthaft zu Schaden käme oder aus einer Handlung dauerhafte Verbindlichkeiten entständen.

Zuvor jedoch (Vorhang auf, Proszenium, ab in die Kulissen) dominiert das andere Konzept, ist die Welt Theater und ist das Theater in jedem einzelnen Auftritt. Fliegende Türen, doppelte Böden, Hintertreppen, versteckte Liebhaber, blinde Verehrer, hastige Wortwechsel, wackelnde Dekors, Musik, Lauscher hinter nur halb verschlossenen Türen, heftige Abgänge, Zusammenstöße, Verwechslungen, Rede und Widerrede, ein paar Ohrfeigen gibt es auch. Es ist das Spiel der Commedia dell’Arte, das die Theatergruppe in den Königssitz importiert und somit auch in den Film: teatro povero, auch in den Effekten, was deren Aufnahme aber keinen Abbruch tut.

Rätselhafter als diese offensiv entfaltete Theatralität ist das Schauspiel, das die goldene Karosse abgibt. Abgibt und nicht abgibt, denn tatsächlich gewinnt dieses begehrte, viel bewunderte Objekt seine Faszination zu einem guten Teil daraus, dass es gleich zu Beginn eingeführt wird, um dann bis kurz vor Schluss in einer Remise verschlossen zu bleiben. Die Karosse, zunächst Emblem des königlichen Prunks, wird sehr bald von der Mätresse, den Höflingen, den Vertretern des Gerichts beansprucht, statt dessen aber der Schauspielerin übereignet, die es schließlich, um den bald folgenden Querelen ein Ende zu bereiten, der Kirche zu frommen Verwendungszwecken überlässt. Renoirs Karosse zirkuliert, fast ohne sich von ihrem Platz zu bewegen, aber ebenso gut könnte man auch sagen: alles zirkuliert um die Karosse, ein Prunkstück ohne Inhalt und unbezahlt obendrein, doch ganz dazu geschaffen, dem Streit um Repräsentationsmacht einen Gegenstand zu geben. Unter allen Requisiten, deren sich das Kino in seinen Darstellungen des Theaters bedient hat, ist dies eines der bezaubernsten: nichtig, eitel, billig und prächtig zugleich, ein Wunderwerk aus Blattgold und Pappmaché, das seine höchste Wirkung dort entfaltet, wo es Objekt des Begehrens, nicht aber des Gebrauchs ist.

 


 

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