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Sebastian Heidinger: Drifter (D 2007)
Von Michel Freerix
Was aussieht wie das Remake von "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" ist zunächst
einmal das Produkt eines Zufalls. Der Regisseur hat einen Film über
"unsichtbare Menschen am Rande der Gesellschaft" machen wollen und sich gefragt,
wie das heute aussieht, die Sucht und die Abhängigkeit. Die Normalität
und Unauffälligkeit seiner drei Protagonisten ist demnach bestechend.
Es sind Menschen, die in der U-Bahn oder auf dem Bürgersteig nicht als
Junkies und Stricher auffallen. Ihr Leben am Rande der Gesellschaft führen
sie im Geheimen. Es ist nur ein Nebenprodukt ihrer Normalität.
Dieser Film macht etwas Erstaunliches: Er zeigt seine drei Protagonisten
und ihr Leben mit einer Nähe und Offenheit, wie sie im Medium Film
eigentlich kaum möglich scheint. Junkie-Utensilien und sexuelle
Dienstleistungen bleiben dabei ausgespart. Stattdessen werden
Lebenswirklichkeiten geschildert, die sich zwischen Gehsteigen, Toiletten,
Wohnungen, Arztpraxen und Notunterkünften quasi wie von selbst organisieren.
Der Film scheint das Gezeigte vollkommen uneigennützig zu umkreisen.
Tatsächlich sind der Regisseur und sein Team über Monate mit den
Protagonisten in Kontakt gewesen, haben sich mit deren Umfeld bekannt gemacht
und eine tiefe Vertrauensbasis zu allen beteiligten aufgebaut. Aber das
"Problem", der Konsum von harten Drogen und die Prostitution, um das sich
diese Leben organisieren, wird hier gar nicht als Problem thematisiert.
Stattdessen schildert der Film eine Welt ohne soziales Umfeld und Eltern
oder Freunde. Die Junkies in "Drifter" sind Teil einer Gesellschaft, deren
"common sense" sie nicht teilen, denn dieser existiert für sie
überhaupt nicht.
Es gibt eigentlich kaum etwas Ernüchternderes über die Droge an
sich zu zeigen als eine Sequenz am Schluss des Films. Einer von den dreien
setzt sich dabei in einer City-Toilette einen Schuss, der ihm schon gar keinen
"Kick" mehr verpasst. Gleichmütig packt er einen Brief aus. Seine Freundin,
die sich in einer Entgiftungsklinik aufhält, teilt ihm darin mit, dass
sie sich von ihm trennt, um endlich von den Drogen los zu kommen. Dazu
läuft der Toilettenhintergrundmuzak und eine monoton-freundliche Stimme,
die mitteilt, dass die "Benutzerzeit in 2 Minuten abgelaufen ist".
"Drifter" postuliert die Zeitenwende. Aus einer Gruppe von abgefuckten
Außenseitern, die sich gegen die Gesellschaft behaupten und nach eigenen
Regeln und Gesetzen leben, sind individualistische Einzelgänger mit
einem Konsumproblem geworden. Die Gesellschaft macht es ihnen jetzt leichter,
mit ihrer Sucht zu leben: es gibt Übernachtungsmöglichkeiten und
Vertrauensärzte. Aber die frostige Aura, die die Jugendlichen vor 30
Jahren bei ihrem Flirt mit dem Tod umwehte, ist verschwunden. Zur Sucht und
ihren Begleiterscheinungen gehört heute ein hohes Maß an
Körperpflege. Ohne Nivea und Davidoff und den dazu gehörigen modischen
Klamotten besteht keine Chance, sich auf dem Markt der Süchtigen zu
halten.
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