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Woher kommt, wohin geht er, dieser Mensch?

Christopher Nolans Neo-Noir-Thriller FOLLOWING (1998)

Von Alexander Geimer

Der heruntergekommene ‚Schriftsteller’ mit Dauer-Schreibblockade Bill (Jeremy Theobald), zugleich Erzähler des Films im Kontext eines Polizeiverhörs, ist laut Selbstauskunft „schon eine ganze zeitlang allein“ und „fing an sich einsam zu fühlen“. Langeweile und innere Leere prägen seinen Alltag. Also heftet er sich im London der 90er an die Fersen ihm völlig unbekannter Personen und verfolgt deren Lebenswege – ein großstädtischer (Sinn-)Looser auf der Suche danach, wie andere ‚Sinn machen’ in ihrem Leben. Anhand der beobachtbaren Äußerlichkeit der Anderen sucht er auf seine eigene, ihm nicht zugängliche Innerlichkeit zu schließen – seine zentrale Frage: „Woher kommt, wohin geht er, dieser Mensch?“.

Der Identitäts-Detektiv legt sich strikte Regeln für seine Verfolgungsaktionen auf, wobei die oberste Direktive lautet: Folge keiner Person zweimal. Sie resultiert aus der Einsicht, dass es Probleme geben muss, wenn sich Bill für seine Beobachtungsobjekte als Subjekte interessiert und in deren Leben involviert. Natürlich muss er diese Direktive der Distanz brechen, und sich die entsprechenden Probleme einhandeln, denn die Identität des Anderen ist nicht beobachtbar mittels einer Verfolgungs-Aktion, sondern nur erfahrbar in der Inter-Aktion, dem unmittelbaren Kontakt – erst diese Erfahrung gibt Aufschluss auch über sich selbst.

Als Bill seine oberste Direktive bricht, lernt er sein ‚Opfer’ Cobb (Alex Haw) kennen, der offensichtlich die Obsession Bills zu teilen scheint. Cobb bricht in Wohnungen ein und genießt dort eine voyeuristische Freude an der Intimität der Anderen. Bill zieht von nun an mit ihm los und durch die Wohnungen und Intimsphären anderer. Aber auch die gemeinsame mikroskopische Beobachtung des Wohn- und Lebensraums der Anderen und das Ausspionieren ihrer persönlichsten Winkel („Jeder hat ein Kästchen“), bringt ihn nicht weiter an sich selbst heran. Im Gegenteil, er wird dabei seinem neuen ‚Freund’ und ‚Lehrer’ Cobb zunehmend ähnlicher, indem er den entsprechenden Anzug und Haarschnitt trägt.

Durch den dritten Einbruch mit Cobb gerät Bill in die Intimsphäre einer attraktiven Blonden (‚The Blond’, Lucy Russell), die einerseits anonym und Projektionsfläche von Bill bleibt, und andererseits ein Stereotyp der femme fatale des Film Noir. Bill bricht daraufhin seine Regeln erneut, verfolgt ‚die Blonde’ und sucht ihre Nähe. Sie lässt sich auf eine Beziehung ein, was für Bill fatale Folgen hat. Denn es stellt sich heraus, dass Cobb den ‚Identitätsdetektiv’ im Wissen ‚der Blonden’ auf sie angesetzt hat und zu diesem Zweck den Einbruch bei ihr, wie schon die beiden zuvor, inszeniert hat. Allerdings geht es nicht, wie ‚die Blonde’ meint, darum, Bill ein Verbrechen anzuhängen, sondern ihn als den Schuldigen an einem Mord erscheinen zu lassen und zwar an ihrem eigenen Mord, was Cobb letztlich auch gelingt.

Als Instrument finsterer Machenschaften verstrickt sich der im wahrsten Sinne des Wortes selbst-lose Bill auf der Suche nach Identität und einer Authentizität, in der er sich selbst erfahren kann, gerade durch diese Aktivität tiefer in die Entfremdung, die das große Thema dieses Films darstellt. Seine Isoliertheit und Entfremdung sind keine typischen Probleme des postmodernen Kinos, und der Streifen gibt sich schon durch die kühle (und dabei nicht coole) 16mm-Schwarz-Weiß-Ästhetik als anachronistisch zu erkennen. Dennoch könnte der Film nicht etwa aus den 40ern stammen und ist hinsichtlich der nicht-linearen Erzähltechnik und Montagetechnik ein deutliches Kind dieser Zeit. Christopher Nolan (als Regisseur, Drehbuchautor, Kameramann) zeigt dadurch, dass Fragen, die kaum mehr gestellt werden, deshalb nicht schon zu genüge beantwortet sein müssen. Das viel gefeierte Regie-Genie (MEMENTO, INSOMNIA, BATMAN BEGINS) inszeniert in Zeiten einer bunten Multioptionalität von Symbolwelten und vervielfachter Identitätsangebote die ganz und gar un-hippe Sinn-Suche eines neurotischen Einzelgängers als klassische Tragödie: Was von dem Anti-Helden als Lösung des Problems seiner Einsamkeit ausgedacht ist, seine identitäts-detektivische Aktivität, erweist sich als letztendlich als das Problem multiplizierend. Einerseits schon weil die scheinbar heilende Aktivität nur ein weiteres Symptom der Krankheit ist, die sie zu bekämpfen sucht, andererseits, weil dieses Symptom der Entfremdung noch intrigant von den Anderen (Bills ‚Freund’ Cobb und zunächst auch der blonden Femme Fatale) zur Erreichung ihrer Ziele instrumentalisiert wird.

Mit der Problematisierung alter Fragen im Gewand des Film-Noir stellt Nolan nicht nur äußerst kurzweilig den Mythos vom ‚Ende der Moderne’ und dem ‚Tod des Subjekts’ infrage, sondern nebenbei auch einen anderen viel bemühten: jenen, dass gute Filme mindestens 90 Minuten lang und vor allem teuer sein müssen. Zur Verwirklichung der ca. 70minütigen No-Budget Produktion brauchte Nolan lediglich 6000 US-Dollar, Unterstützung aus seinem Umfeld und die Wochenenden von etwa zwei Jahren.

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