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Safy Nebbou: Le Cou de la Giraffe (Frankreich 2005)

Kritik von Stefan Höltgen 

Wenn in französischen Filmen kleine Mädchen allein eine Reise unternehmen, bekommt der Ernst des Lebens unter Umständen schon einmal einen anderen Rhythmus. Als Louis Malle 1960 die kleine Zazie durch Paris schickt, wird die Stadt dem Willen des Mädchens unterworfen und zu ihrem Kinderzimmer. In Safy Nebbous „Le Cou de la Giraffe“ ist es die neunjährige Mathilde (Louisa Pill), die eines Nachts heimlich das Haus verlässt, indem sie allein mit ihrer Mutter Hélène (Sandrine Bonnaire) wohnt, um ihren Großvater Paul (Claude Rich) aus dem Altersheim abzuholen. Mit ihm will sie die verschollene Großmutter aufsuchen, die vor 30 Jahren Paul und Hélène verlassen hat. Wo sich diese aufhält, weiß Mathilde aus einem Stapel ungeöffneter Briefe, in denen ihre Großmutter versucht hat, mit Paul und seiner Tochter in Kontakt zu bleiben. So brechen die beiden schließlich zum Küstenstädtchen Biarriz auf. Die besorgte Hélène findet schließlich heraus, was ihre Tochter und ihr Vater vorhaben – weiß jedoch etwas mehr als die beiden und reist ihnen nach.

Safy Nebbous Film ist eine Reise in die Vergangenheit. Der Weg, den Paul, Mathilde und Hélène zurück legen hat für sie auch eine symbolische Bedeutung. Mit Hilfe Mathildes arbeiten die Mutter und ihr Vater die gemeinsamen Lebenslügen auf, werden sich über ihre Beziehung zueinander und zu ihrem Leben im Klaren. So ist bereits eines klar: Auch wenn sie die Großmutter, Mutter und Exfrau nicht finden sollten, haben sie doch bereits mehr zurück erlangt, als sie hoffen konnten: Paul fasst den Entschluss, das Altenheim wieder zu verlassen, zurück in seine Pariser Wohnung zu ziehen und wieder in seinem Buchladen zu arbeiten und die frisch geschiedene Hélène will die Beziehung zu ihrem Freund gegenüber Mathilde nicht länger verheimlichen. Das kleine Mädchen wird zum Katalysator, der die Geheimnisse und Lügen durch seine wache und liebenswerte Art aufzulösen im Stande ist. Mathilde formt die verzerrte Lebenswirklichkeit ihrer Familie neu.

Der Debütfilm Safy Nebbous besticht durch seine leichte Erzählweise, den schwebenden Rhythmus, mit dem die Erzählung schnell zur Sache kommt, ohne viel Zeit für Charakterisierungen zu ver(sch)wenden. Im Verbund mit den Reisebildern, zeitweise in betörend schönen Panorama-Landschaftsaufnahmen, durch die sich die Protagonisten ihrem Ziel entgegen bewegen, und der leichten, repetitiven Musik Pascal Caignes steht „Le Cou de la Giraffe“ in enger Verwandschaft zum lebensbejahenden Kino eines Eric Rohmer. Wie dessen Filme (und überhaupt die Vielzahl des französischen Autorenkinos) lebt auch Nebbous Erstlingswerk vor allem von der Konstellation seiner Figuren und deren eindringlicher Verkörperung durch die Schauspieler. Das Dreieick aus besorgt-strenger Mutter, ängstlichem Großvater und neugierig-sorglosem Mädchen bestimmt durch seine Verschiebungen und Veränderungen den Duktus der Erzählung. Dieser Konstellation ordnet Nebbous seine Reisegeschichte unter und lässt diese wiederum mehr und mehr Einfluss auf die Entwicklung der Beziehungen nehmen. Am Ende schließlich finden alle Figuren, was sie gesucht haben - eine neue, wahrere Familienidentität.

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