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Jessica Hausner: Hotel (Österreich 2004)

Von Michael Freerix

Im Hotel soll sich jeder Gast zwar wohl, aber nicht wie zu Hause, fühlen. Wohl fühlen heißt: saubere Bettwäsche, sauberes Bad, gesaugte Fußböden, Fernseher mit Kabelanschluß.
Das Hotel ist ein Ort des nüchternen Komforts.

Das 'Hotel' im Film von Jessica Hausner ist Ort des Geschehens und gleichzeitig Sinnbild für zwischenmenschliche Beziehungen. Viele Menschen leben hier zufällig nebeneinander. Hinter jeder Tür gibt es eine neutrale individuelle Existenz. Hinter jeder Tür stehen Betten, in denen jede Nacht ein anderer Körper liegt.

Das funktionale, nüchterne, abstrakte Hotelambiente als Zeichen für Beziehungslosigkeit ist das Thema dieses Films.Die Geschichte, die er erzählt, verläuft ganz anders:

Sie handelt von einer jungen Frauen, die eine Stelle als Rezeptionistin antritt. Sie bezieht ein Zimmer im Hotel. In der Schublade ihres Nachtschränkchens findet sie eine Brille mit rotem Gestell. 'Eva S.' hat jemand mit Kugelschreiber hineingeschrieben. Es gibt ein älteres Foto mit der Belegschaft des ganzen Hotels. Eine junge Frau mit dieser Brille ist darauf zu sehen. Sie lächelt angestrengt. Die neue Rezeptionistin erfährt, daß es sich dabei um ihre Vorgängerin handelt. Sie sei 'verschwunden', so heißt es.
Im Hotel geht es betont nüchtern zu. Die Beziehungen unter den Menschen beschränken sich auf sachliches. Sie reden nur das notwendigste.
Bei ihren Kollegen, die einmal eine Zimmerparty veranstalten, macht sich die neue unbeliebt, weil sie sich über die Lautstärke beschwert. Sie hält sich von den anderen Bediensteten des Hotels entfernt. Lieber schwimmt sie allein im hoteleigenen Schwimmbad. Eines Tages verschwindet dabei ihre Halskette – ‚ein Glücksbringer‘ – und ihre Brille liegt zerbrochen am Boden.
Für einen Moment spielt die Geschichte nun das Thema ‚mobbing‘ an, geht dann aber doch einen anderen Weg: Die neue setzt sich statt der eigenen nun die Brille der verschwundenen Eva S. auf.
Das Thema der Seelenwanderung beginnt.
Ein verdrängtes Gefühl des Unwohlseins schleicht sich in ihr Leben. Sie geht durch die endlosen Korridore und Kellergewölbe, verliert sich im Dunkel. Immer stärker wird sie mit ihrer eigenen Isolation konfrontiert. Am Ende verschwindet die neue genau so im Wald wie ihre Vorgängerin Eva S. dort verschwunden ist.

Thema und Geschichte laufen in diesem Film nebeneinander her, gehen ineinander über, ergänzen sich. Sie bedingen einander. Die Einsamkeit der Rezeptionistin wäre ohne das Hotel und den umliegenden Wald eine andere. Die Geschichte wäre eine andere, auf diese Art gar nicht zu erzählen.

Ein Film der Stille.
Das Schlurfen von Absätzen über Teppichen, übereinander scheuernde Kleidungsstücke, Rauschen vom Wind in Bäumen. Den Lichtschalter zu betätigen oder die Tür zu verschließen sind Geräusche, die in diesem Film wie Explosionen klingen.
Die Originaltöne sind auf ihre absolute Notwendigkeit hin reduziert. Musik taucht nur selten auf, und wenn, dann nur als Störgeräusch im Aufzug oder überdeutlich in der Disko.
So wird das Hotel in seiner Körperlichkeit zum heimlichen Hauptdarsteller dieses Films. Das Gebäude als Vorgang, der die Menschen zusammenbringt, der die Menschen in Bewegung hält.

Visuell wird die Beziehungslosigkeit zwischen den Angestellten zu einer 'Gesichtslosigkeit', weil sie häufig von hinten zu sehen sind: beim Gang durch Hotelflure, durch den Wald, in Autos. Immer wieder werden sie aus dem Blickwinkel des verborgenen 'Angreifers' gefilmt. Es gibt aber keinen Angreifer. Die Distanz zwischen ihnen wird so nur verstärkt. Sie wird zu einer permanenten Anwesenheit.

'Hotel' läßt einiges an Assoziationen aufkommen: Kafkas 'Schloß', Polanskis 'Mieter' und 'Ekel', Kubrick's 'Shining' vermischt mit einer Nüchternheit, wie man sie aus Filmen von Angela Schanelec oder Thomas Arslan kennt.
Hausner verweigert sich den 'Bildern des Wahnsinns'. Die Wirklichkeit an sich wird für sie zum Bild des Wahnsinns. Der Wahn ist nichts lautes, kreischendes, Exaltiertes, sondern eine unaufdringliche, stille, nüchterne Sache. Der Wahn tritt leise und sachlich auf. Er ist nur wie ein Windhauch in den Bäumen.

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