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Thom Andersen: Los Angeles Plays Itself (USA 2003)

Von Ekkehard Knörer 

Das Schlüsselwort fällt zweimal, es heißt: "Literalismus". Thom Andersen formuliert darin einen Anspruch ans Kino, den er, das sagt er auch, nicht wirklich theoretisch fundieren kann. Er will, dass stimmt, was man sieht, eine Stimmigkeit, die sich einem Rückbezug aufs Wirkliche verdankt. Diese "Stimmigkeit" ist, natürlich, nicht dasselbe wie simpler Dokumentarismus, aber doch der Widerstand einer Spur des Realen noch im Fingierten und Fiktiven. Ein Berührungsbegehren: die Bilder dürfen den Kontakt nicht verlieren zu dem, was da ist. Und das, was da ist, ist gesichert, gestützt durch eine Bindung ans wahrnehmende, fühlende, sich erinnernde Ich. Das Off, aus dem Andersen spricht und kommentiert, ist so der eigentliche theoretische Ort von "Los Angeles Plays Itself". Das heißt auch: In der Verbindung von Literalismus und Subjektivität – aus der sich etwas wie ein Wahrheitsanspruch ergibt, ein eingeforderter Anspruch auf Wahrheit, aber auch der Anspruch, eine Position der Wahrheit gefunden zu haben – in dieser Verbindung werden die Bilder und Filme zur bloßen Illustration. Geradezu ostentativ kommen sie fast durchweg grau, verschmutzt, verwaschen daher. Es gibt dafür ökonomische Gründe, aber zugleich behauptet der Film auch, dass es egal ist. Seine Sorge gilt nicht dem Bild, nicht dem Film; seine Sorge gilt literalistisch dem Bild von der Stadt, das das Ich sich macht und in den Filmen kaum wiederfindet.

Es geht, auch daraus macht Andersen, der von der Absurdität seiner Position eine Ahnung hat, keinen Hehl, um die Bewahrung oder Wiedergewinnung eines Subjektstatus. Sein Film hat, als Triptychon angelegt, eine Teleologie: die Stadt als Hintergrund, als Charakter, als Subjekt. Anders gesagt: Andersen ist ein Moderne-Gläubiger mit wenig Humor. Er will, dass man glauben kann, was man sieht. Er will, und er ahnt, wie grotesk dieser Wunsch ist, dass die Bilder des Kinos Boden unter den Füßen haben wie die architektonischen Wahrzeichen, die sie zeigen. Das Kino aber zeigt noch die Wirklichkeit, als hätte es sie selbst erfunden. Und darum leidet Andersen, wenn den Gebäuden der Moderne (aber überhaupt: der räumlichen Wirklichkeit) jenes Unrecht widerfährt, das man als Postmoderne bezeichnet hat. In der Tat lernt man viel in diesem Film über die Postmoderne, gerade weil Andersen sie mit dem Blick des Kenners hasst, der seinen Gegner in die letzten Winkel verfolgt. Es muss ihm darum von Grund auf unwohl sein mit dem Prinzip Hollywood. Von Anfang an lügen die Bilder, Kalifornien ist die Schweiz und dem Kino ist es egal. Die Zeichen verselbständigen sich und nicht nur haben die Macher kein Verständnis von der Materie, sie suchen es auch nicht. Zum Subjekt wird die Stadt im Film für Andersen erst durch den literalistischen Zugriff. In kleinen Independent-Produktionen, die im Gestus dokumentarisch bleiben, nah am Asphalt der Straßen.

Wie jedem konsistenten Ressentiment verdanken sich auch dem von Thom Andersen Entdeckungen. Die Einseitigkeit ist wie meist nur halb verkehrt und öffnet vor allem den Blick für das, was sie liebt. Man möchte "The Exiles" sehen, einen Film aus den Sechzigern von Kent McKenzie, man bekommt Lust auf Fred Halsteds Gay-Porn-Klassiker "L.A. Plays itself", dem sich der Titel von Andersens Essay verdankt. Und vieles, was Andersen sagt über die Darstellung der Stadt im Film wird nicht dadurch verkehrt, dass Entscheidendes am Kino und auch an seinem Umgang mit der Wirklichkeit und dem Raum verfehlt bleibt, wenn man auf einer Position beharrt, die nur Lüge sieht, wo freie Erfindung ist. Dieser Film wird dem Kino nicht gerecht, aber sein Zorn ist begreiflich, nimmt man für 169 Minuten den Standpunkt ein, den Thom Andersen vertritt, ohne ihn gewählt zu haben.

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