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Sofia Coppola: Marie Antoinette (USA 2006)

Von Ekkehard Knörer

"Marie Antoinette" ist, auf den ersten Blick, gelungener Pop und hat also große Momente. In der Darstellung der Party und der Stimmung danach, am Morgen im Garten bei Sonnenaufgang. In der Rückkehr per Kutsche vom Ball in Paris. ("Fools Rush In" und Marie Antoinettes Hand und Gesicht hinter Glas.) "Marie Antoinette" ist Pop und also affirmativ und als Pop gibt der Film sich aus als der Post-Punk-Traum der Achtziger Jahre, dass mit der Geste der Affirmation etwas wie individuelle Freiheit zu ertrotzen wäre, ein Leben jenseits des Protokolls von Versailles und der Frontlinien kalter Krieger.

"Marie Antoinette" ist damit zu verstehen als Kostümfilm-Verfremdungseffekt eines Retrogefühls. Keineswegs ist es so, dass die Musik sich zu dem, was die Bilder zeigen, anachronistisch verhält; umgekehrt wird ein Schuh draus, vielmehr eine Schuhkollektion, und zwar - natürlich - von Manohlo Blahnik. (Die Törtchen sind Kreationen von Ladurée.) Und erst, wenn man die Achtziger Jahre des 18. und des 20. Jahrhunderts - wie der Film zu tun einen freilich nötigt - übereinanderlegt, sieht man das Problem mit der Ausblendung des Politischen. Für Marie Antoinette als historisches Persönchen ohne Schimmer von Tuten und Blasen der Außenwelt mag diese rekonstruierte Unschuld als radikal subjektive POV-Einstellung durchgehen. (Oder es ist einem einfach ein bisschen egal.) Als Partygirl des Post-Punk der Achtziger Jahre aber wird sie zu einer reaktionären Konstruktion. Dann wird etwas faul an dieser Faszination eines diminutiven Lebens im großen Stil, mit Protokoll und Champagner, Levée und Party, mit Mops und Sex, Pariser Oper und Air und Aphex Twin und "Fools Rush In" im Remix von Kevin Shields. Denn der Pop der Achtziger Jahre war zutiefst politisch noch und gerade da, wo er sich - post Punk - unpolitisch gab: als Reaktion auf und Fluchtbewegung vor rettungslos verrottete(r) Politik.

Ein in seiner Naivität raffinierter Schachzug: Sofia Coppola verweigert die politische Perspektive auf den Pop, indem sie ausweicht, und zwar ausgerechnet ins ancien régime. Sie erträumt sich in Marie Antoinette eine vorrevolutionäre Unschuld und findet und hat die Mittel eines souveränen filmischen Impressionismus, dies glaubhaft zu machen als Lebensgefühl. Wie alle Nostalgie aber ist das Fälschung, die sich als Fälschung - nämlich als Traum einer Unschuld, die nie war - nicht mehr ausweist. So wie Sofia Coppola mit Pop verfährt, wird die Affirmation von der Widerstandsgeste zur bloßen Affirmation des Bestehenden und verliert so noch den Rest einer Utopie vom richtigen Leben im falschen. Diese Utopie war historisch situiert und indem Coppola das irreduzibel Politische diese Situierung mit Fleiß ausstreicht, schlägt der Pop der Achtziger Jahre bei ihr um in falsche Unschuld. Es ist kein Zufall, dass Sofia Coppola, die ein feines Sensorium hat fürs Angesagte, ausgerechnet die Reimagination der Marie Antoinette eingefallen ist für ihre historische Achtziger-Jahre-Parallelaktion. Das Verkehrte daran ist restlos stimmig und reine, ins Verlogene verliebte Gegenwart.

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