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Clint Eastwood: Million Dollar Baby (USA 2004)

Kritik von Stephane Boeuf

“Ich liebe es, Gesichter zu filmen. Alles ist in den Gesichtern“, gesteht Clint Eastwood im Interview, und, seinem Bekenntnis folgend, kann man sich in “Million Dollar Baby” damit begnügen, die Spiele des Lichts und des Schattens auf Morgan Freemans, Hillary Swanks und Eastwoods eigenem Gesicht zu verfolgen; schon einzig darin hat man es mit einem Meisterwerk zu tun. Als Dokument über die Schauspieler des Films: Studie über die Lichteinfälle auf junge oder alternde Haut, über das Verschwinden dieser Häute im Schatten einer Augenhöhle oder einer Schläfe. Aber vor allem in der Art, wie diese drei Gesichter, die sich nie ganz dem Schatten entziehen, in Beziehung zueinander gesetzt werden. Gesichter im Sinne von Lévinas: das, was sich dem Bild, das man sich vom Anderen macht, immer entzieht, was dieses Bild zerstört – das was sich zugleich gibt und entzieht.

Alle Protagonisten des Films geben den Eindruck, immer schon da gewesen zu sein. Man sieht sie nicht ankommen, sie erscheinen im Licht, werden im Licht offenbart. Das gilt natürlich für das Personal des Hit Pits, der Trainingshalle, wo sich der Trainer Frankie (Eastwood), die Boxer und der Hausmeister Scrap (Freeman) täglich einfinden. Doch selbst Maggie (Swank), die junge Boxerin, die in Frankies Leben hineinplatzt, ist gewissermaßen schon da: man sieht sie nicht kommen, nur erscheinen, aus dem Schatten geholt. Und selbst wenn sie in Frankies Leben noch keinen Platz hat, so steht doch fest, dass aus uns unbekannten Gründen Frankie in ihrem Leben schon längst einen festen Platz eingenommen hat.

Zunächst geht es also darum: das In-Beziehung-Setzen dieser zwei Gesichter. Maggie will von Frankie trainiert werden. Für ihn kommt das nicht in Frage. Er hat noch nie Frauen trainiert. Maggie ist hartnäckig. Sie nistet sich in Frankies Trainingshalle, dem Hit Pit, regelrecht ein. Frankie meidet sie und weicht ihren Blicken aus. Sie beharrt, kämpft linkisch mit ihrem Punchingball weiter und kämpft gleichzeitig, um angenommen zu werden in Frankies Blick, kämpft um einen Dialog mit ihm, der sich jedem Dialog, jedem Schuss/Gegenschuss entzieht. Durch ihre hartnäckige Präsenz erzwingt sie sich seine Blicke, zuerst kurze Blicke zwischendurch oder durch die Fensterscheiben seines Kabuffs. Bis er nachgibt, Stück für Stück, und akzeptiert, Maggie zu trainieren. Selbst das tut er zunächst mit abweichenden Blicken und unter der Bedingung, dass Maggie ihm nie eine Frage stellen soll. Im Schuss/Gegenschuss selber entzieht er sich noch dem Dialog, weicht aus und verfängt sich doch mehr und mehr in einer Beziehung zu Maggie, die er partout vermeiden wollte.

Diesem Ausweichen verwandt verläuft die Nebenintrige mit dem Boxer, den Frankie immer nur noch ein paar Kämpfe boxen lassen will, bevor er für die Championship bereit wäre – ein anderes Ausweichen: vor dem Kampf. Scrap, der Hausmeister und Erzähler, für den Frankie früher den Manager gespielt hat, beschreibt im Off das Boxen als unnatürlichen Sport: wo es darum geht, dem Schmerz entgegenzutreten, sich und sein Gesicht zu exponieren, zu riskieren. Und gerade in Scraps Gesicht und seinem fehlenden Auge wird Frankie täglich mit einer Schuld konfrontiert, die ihm dieses Risiko nicht mehr annehmbar erscheinen lässt – denn das Gesicht ist zu wertvoll, um so exponiert zu werden. Was Frankies Ausweichen (sowohl das Ausweichen vor dem Kampf als auch das Ausweichen vor Maggies Blicken) begründet, ist diese Schuld, deren Risiko jede Liebe beinhaltet – dieses Risiko, dass er nicht mehr eingehen will.

Maggie wird ihre Kämpfe gewinnen und ihren Kampf um Frankie, der Schritt für Schritt nachgibt in allem, der ihr mit Schmerz nachgibt und ihr die großen Kämpfe zugesteht, die sie sich wünscht (In der Szene, in der er ihr das Stattfinden dieses Kampfes ankündigt, bleiben seine Augen im Schatten verloren – man meint, sie sind gar nicht da, zwei schwarze Löcher nur sind übrig geblieben). Und es wird ein langer Kampf gewesen sein, den Maggie geführt hat, um zu einem gelassenem Dialog mit ihm zu kommen, um zu den komplexen ruhigen Rhythmen zu kommen, die wie ein Höhepunkt des Films das Paradies dieser Beziehung in einer bemerkenswerten Szene bezeichnen.

Doch kommen wir erst zurück zu den Geschehnissen dieses Tages. Maggie hat schon viele Kämpfe hinter sich, sie ist erfolgreich. Sie fährt mit Frankie zu ihrer Mutter und Schwester, denen sie vom verdienten Geld ein Haus gekauft hat. Der Empfang entspricht nicht ihren Erwartungen. Die Mutter hätte lieber Geld bekommen als ein Haus. Und vor dem Abschied fällt dann noch dieser Satz: weißt Du, die Nachbarn lachen, wenn sie von dir als Boxerin hören. Peinliches Lächeln der Schwester. Dieser beiläufige Satz als im ganzen Film einziger Blick von außen, von einer anderen Welt, in der das Boxen nicht im Mittelpunkt steht.

Nächste Einstellung: Maggie sitzt im Auto während Frankie die Scheiben putzt. Man sieht beide Gesichter durch die bläuliche Autoscheibe: verklärte Gesichter, wie gewaschen von ihren Schatten. Gesichter, die wissen, wo sie sind; wo sie, jetzt, zu zweit sind.

Und auf der Rückfahrt dann, dieses rhythmische Meisterwerk. Es ist nachts. Erst gemeinsam in einer Einstellung, dann im Schuss/Gegenschuss erzählen Maggie und Frankie von sich. Den Rhythmen der Dialoge und der Schnitte überlagert sich der komplexe Rhythmus der Gegenlichter auf beiden Gesichtern, die im Erscheinen und Verschwinden zu einer filmischen Gelassenheit gefunden haben, die ihresgleichen sucht. Die gesprochenen Wörter sind zweitrangig: es sind die Gesichter selber, die zueinander sprechen – ein Glück von kurzer Dauer

Im nächsten Kampf kommt es dann zum Unfall, zur Katastrophe. Maggie bleibt nur noch ihr Gesicht und ein gelähmter Körper: das Gesicht als einziges Lebendiges noch, jedoch eingefroren im starren, unbewegten Licht eines Krankenhauszimmers.

Frankie ist das Risiko eingegangen und hat verloren. Wir begleiten ihn in die Kirche, in die Konfrontation mit seiner Schuld und seiner Ohnmacht. Er hat kein Gesicht mehr, vor seiner faltigen Schläfe, über seinen faltigen Hals bleibt nur noch ein schwarzes Nichts.

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