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Theaterfilme 3: Scaramouche / Scaramouche, der galante Marquis
(Regie: George Sidney, USA 1952)
 
Von Stefanie Diekmann
 
 


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Die deutsche Fassung des Titels ist, wie so oft, irreführend: weder ist Scaramouche galant noch ist er ein Marquis; genaugenommen hat er überhaupt keine Identität außer jener sehr begrenzten, befristeten, die ihm das Spiel auf der Bühne gewährt. Scaramouche, der Hanswurst, ist eine Figur der Commedia dell'Arte, definiert durch zwei oder drei Eigenschaften, eine Maske und ein Kostüm, und wenn Sidneys Film, ebenso wie die Romanvorlage von Raffael Sabatini, nach ihm benannt ist, mag dies ein Zeichen dafür sein, daß die Frage nach Identitäten und Identitätsfiktionen zwar in seinem Zentrum steht, jedoch nicht besonders ernst genommen und mit einer gewissen Leichthändigkeit behandelt wird.

Die Frage "Wer ist Scaramouche?" ist demnach keine, das heißt: keine angemessene, da der, der als Titelheld vorgestellt wird, de facto keinerlei Substanz hat und sein Gesicht (eine Larve) ganz unterschiedlichen Trägern leiht - dem Schauspieler mit den entstellten Zügen ebenso wie dem Abenteurer Moreau, der, wie sollte es anders sein, die Maske als letzte Chance, sich zu verbergen, entdeckt, als er auf der Flucht von den Häschern seines Widersachers in die Enge getrieben wird. Natürlich hat dieser Schutz seinen Preis, natürlich wird der Larventräger ohne weitere Umschweife auf die Bühne expediert, und so beginnt die zweite Karriere von Moreau / Scaramouche als Wanderschauspieler und Held der Pariser Bühnen, die er mit der Truppe des M. Binet erobert.

Es ist eine gefahrvolle Karriere, genauer: gefahrvoll immer dort, wo er seine Bühnenpersona oder das Theater verläßt, das hier zuallererst als Versteck figuriert. Entsprechend erscheint der unvermeidliche Moment, in dem er aufgefordert wird, die Maske des Scaramouche abzulegen, als der gefahrvollste und der des denkbar größten Suspense, der durch panische Improvisation der ganzen Truppe immer weiter in die Länge gezogen wird, bis die Szene buchstäblich kippt und die Figur mit der Larve durch eine Klappe in der Versenkung verschwindet. Als man sie wiederfindet und ihr Maske vom Gesicht reißt, steckt dahinter bereits ein anderer - der Gesuchte indes befindet sich auf der Flucht, direkt in die nächste Szene der Konfrontation, die sich wiederum als Versteckspiel gestaltet, denn wenn Moreau auch fast nichts über sich selbst - seine Herkunft, seine Familie - weiß, versteht er immerhin, sich seinen Gegenübern in immer neuen Rollen zu präsentieren.

Moreau, der Kavalier. Moreau, der Rächer. Moreau, der Lebemann, der einfühlsame Freund, der Verschwörer, der Politiker. So virtuos er sich zwischen diesen personae bewegt, ist er doch nur zum Teil Herr eines Geschehens, das durch verschiedene Konstellationen und Kräfte bestimmt wird, darunter eine Anzahl von Gegensätzen, die seine Rollenwechsel in Gang halten. Zwei politische Systeme (man befindet sich in den Anfängen einer überaus phantasmagorisch gestalteten Französischen Revolution): die Adligen, die Bürgerlichen; er selbst scheint weder den einen noch den anderen zugehörig, stellt sich jedoch für kurze Zeit der bürgerlichen Partei zur Verfügung. Zwei Brüder: den einen, angenommenen, verliert er, den anderen, wirklichen, findet er erst ganz am Ende, doch klärt das die Frage der Zugehörigkeiten nicht wirklich und auch nicht die nach seiner Stellung in der Welt. Zwei Frauen: eine Adlige, etwas unbedarft, eine Schauspielerin, durchaus kriegerisch; mit der letzteren versteht er sich von allen Figuren am besten, ohne sich aber an sie binden zu wollen oder sich ganz für ein Leben im Theater zu entscheiden.

Statt dessen setzt er das Spiel mit der Maske fort: immer, wenn es ihm paßt, und vor allem dann, wenn es ihn seinem Widersacher, dem Marquis de Mayne, näher bringt. Weilt der Marquis auf dem Lande, spielt die Truppe in der nächstgelegenen Kleinstadt, reist der Marquis nach Paris, folgt man ihm dorthin, und auch die letzte Begegnung zwischen den beiden wird nicht dort stattfinden, wo Moreau sie Tag für Tag gesucht hat: in der National-versammlung, sondern im Theater, wo er de Mayne von der Bühne aus im Zuschauerraum erspäht. Was folgt, ist, nach allgemeinem Einverständnis, das fulminanteste Fechtduell der Filmgeschichte - und auch eines der längsten, das den Protagonisten zunächst direkt von der Bühne in die Loge des Marquis führt (ein Seil, das vom Schnürboden hängt, macht es möglich), und dann weiter über Korridore, Treppen, Foyer durch die Reihen des Zuschauerraumes zurück auf die Bühne, die in "Scaramouche" Schauplatz für mehr als eine Entscheidung ist.

Vor dem Duell nimmt Moreau seine Maske ab: eine große und lange verzögerte Geste, die ihr Komplementär zum einen in der frühen, mißglückten Demaskierungsszene hat, zum anderen in den vielen, ebenfalls mißglückten Versuchen, den Marquis zu stellen und jene Stunde der Wahrheit einzuleiten, auf die Moreau seit ihrer ersten Begegnung wartet. Die Stunde kommt, sie geht vorüber; die Wahrheit erfährt er auch, wenngleich erst in einem kleinen Epilog, der nach dem Duell unter dem Proszenium stattfindet. Wie alles andere, unterliegt hier das Spiel um Identitäten, Rollen, Verkennungen dem Gesetz der Suspension, und wie in Komödien üblich, wird es sich nur durch einen kleinen Akt der Gewalt zum Abschluß bringen lassen: durch einen Auftritt, der von außerhalb erfolgt, und durch eine Lösung, die sich nur insofern antizipieren läßt, als sie sich als die denkbar unwahrscheinlichste darstellt.
 

 

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