Pedro Almodóvar: Sprich mit ihr - hable con ella (Spanien 2002)

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Pedro Almodóvar: Sprich mit ihr - hable con ella (Spanien 2002)

Spanien 2002

Regie: Pedro Almodóvar

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Pedro Almodóvar: Sprich mit ihr - hable con ella (Spanien 2002)
Kritik von Ekkehard Knörer

 Almodovar: Sprich mit ihr

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Eines der ersten Bilder vereint Benigno und Marco, Gesichter in Großaufnahme, als Zuschauer bei Pina Bauschs "Café Müller". Zwei aufgelöste Frauen taumeln über die Bühne, ein Mann, der ihnen hektisch Tische und Stühle aus dem Weg räumt. Schnitt auf die Großaufnahme: Marco weint, Benigno sieht es. Die beiden kennen sich nicht, noch nicht, Benigno wird Alicia davon erzählen, der Frau mit der er, wie soll man sagen, zusammen ist. In diesem Closeup steckt schon die ganze Geschichte von "Sprich mit ihr", wir wissen es nur noch nicht. Almodóvar wird sie entfalten, ausfalten, mit sehr souveränem Erzählergriff Vorgeschichten erzählen, Hintergründe aufklären und eine Entwicklung in Gang setzen, die Marco und Benigno wieder vereinen wird (und dann wieder trennen). Mächtig wie selten wird in diesem Film, über alle Abwege hinweg, nein: sogar gerade auf den Abwegen, ein auktorialer Erzählerwille deutlich, eine lenkende Hand, die von Zeit zu Zeit auch in die Bilder hineinplatzt, mit Inserts, die das Offensichtliche noch einmal formulieren, die bestehenden Paarverhältnisse: Benigno und Alicia, Marco und Lydia, zuletzt eine dritte Paarung mit sanft ironischer Wunscherfüllungsgeste (auf diesem utopischen Ton wider alle Wahrscheinlichkeit endete schon "Alles über meine Mutter"). Gerade weil diese aus dem Hintergrund in den Vordergrund zoomenden Inschriften eigentlich überflüssig sind, lenken sie die Aufmerksamkeit auf diese Instanz, die sich bei Almodóvar gerne als (grotesker) Zufall verkleidet, hier aber als Wille eines allmächtigen Schicksalschoreografen kenntlicher wird.

Und die Choreografie der Ereignisse in "Sprich mit ihr" ist von geradezu ungeheuerlicher Unwahrscheinlichkeit, die in der Symmetrie, mit der alles arrangiert ist, zu formidabler Künstlichkeit, aber - und das ist das bei Almodóvar immer wieder verblüffende - auch zu beträchtlicher innerer Plausibilität findet. Symmetrisch auf einander bezogen nämlich werden die Schicksale Benignos und Marcos über ihnen zugeordnete Frauenfiguren, die - ein wenig respektlos gesagt - Almodóvar ins Koma schickt, auf dass die Männer einander (wieder)begegnen. Der Frauenfilmer Almodóvar also findet zu einer Männergeschichte über stillgestellte, scheintote Frauen; keine Nervenzusammenbrüche mehr (die Hysterie ist in einen Trash-TVAusschnitt verbannt), stattdessen eine ganz inwendig gewordene zärtliche Besessenheit oder besessene Zärtlichkeit, die sanft übertragbar ist von einem Objekt aufs andere, von der Frau auf den Mann. Die Gleichung jedoch wird nicht aufgehen - oder jedenfalls: anders als gedacht -, es bleibt ein Zuviel und ein Zuwenig zugleich, Benigno verliert Alicia, weil er zuviel will - es kommt zum nekrophilen Akt, den Almodovar mit einem bizarren Stummfilmpastiche seltsam genug entwirklicht (es ist ähnlich wie bei Kleists Marquise von O. - statt des viel sagenden Gedankenstrichs offeriert Almodóvar jedoch eine ganze Deckerinnerung als Spielfilm en miniature. Vielleicht auch hier: zu viel). Benigno wird so, mit der sanftesten Vergewaltigung, die die Filmgeschichte kennt, zum Erlöser Alicias (eine Ungeheuerlichkeit, die der Film gewiss nicht dramatisiert) und geht selbst daran zugrunde. Marco, dessen Lydia noch im Koma zu ihrem früheren Geliebten zurückgefunden hat, wird eine Frau verlieren und einen Freund und doch nicht alleine bleiben. Erstaunlich bleibt, wie beiläufig Almodóvar diese gewaltsame Ökonomie entwickelt, die über Scheintote und Leichen geht, um am Ende doch noch und wieder ein Paar zu produzieren, verblüffend, wie sanft sein rabiater Umgang mit den Figuren daherkommt, wie sehr ihre Schicksale aus ihnen selbst heraus entwickelt scheinen.

Das ist gewiss ein Verdienst der genauen Choreografie der ineinander geschobenen (mehr als gewobenen) Geschichten - und die Rede von der Choreografie ist dabei so wenig Zufall wie das Leitmotiv des Balletts, auf das der Film ein ums andere Mal zurückkommt. Denn ballettös ist der Film: ausgetüftelt bis in den kleinsten Schritt, die minimale Bewegung, auch den narrativen Umweg, der motivisch aber nichts ist als Variation - bis zur Verkehrung - und Verdichtung, von Marcos in einen Traum verlegter Vorgeschichte einer unglücklichen Liebe bis zur Utopie des Verschwindens des Mannes in der Vagina der Frau, die der Stummfilm vorführt. Hier finden die seltsamen Geschlechterverhältnisse zu sich selbst: als verschobene und verschiebende Bebilderung der Vergewaltigung. Der Mann tritt auf als geschrumpft - und zugleich ganz zum im Geschlechtsakt sich auflösenden Phallus geworden; der ganze Kurzfilm wiederum ist eingeführt als Fortsetzung des abgebrochenen Lebens der von Benigno verehrten Frau: auf ihren Spuren ist er zu Gast in der Kinemathek. Der Mann ist hier Opfer und Täter zugleich, die Frau machtvoll zunächst (als Stierkämpferin, als unerreichbare Schönheit) und schlafend bzw. komatös entmächtigt bald darauf. Männer sind es, die sich aufopferungsvoll um Frauen kümmern, um Frauen, die Opfer sind - wenngleich nicht der Männer; dazu werden sie, in ihrer Rettung durch diese, erst. "Sprich mit ihr" ist so, nicht zuletzt, eine gender-verkehrte (und in dieser Verkehrung höchst verwirrende) Variation auf Breaking the Waves, eines der anderen großen, jedenfalls groß gedachten, Melodramen der letzten Jahre. Und ins Melodram gehörig ist das - neben dem Ballett, mit diesem verbunden - andere große Leitmotiv des Films: die Tränen, hier des Mannes, die sich in den vielfach durch die Bilder (vor allem auch durchs Schlussbild) fließenden Wassern vervielfachen und dem fortgesetzten Gleiten und Strömen der Gefühle, der zwischenmenschlichen Beziehungen korrespondieren. Im wie tränenverschleierten Blick der Kamera fallen die Gesichter von Marco und Benigno bei ihrer letzten Begegnung, der trennenden Wand zum Trotz, ineinander, blenden sich aufeinander: überaus kunstvoll inszeniert Almodóvar so das Paradox des Zugleich von inniger und unmöglicher Verbindung als schlagendes Bild. An dieser Stelle freilich lässt sich auch das leise Unbehagen, das sich angesichts solcher Meisterschaft meldet, am besten formulieren: es ist, inzwischen, vielleicht ein bisschen zuviel der Kunst bei Almodóvar, die motivische Durcharbeitung ins letzte droht dem Betrachter mitunter die Freiheit nicht nur des Blicks, sondern auch des Gefühls zu rauben. Beinahe lassen einen die so bravourös inszenierten Schicksalswirren von "Sprich mit ihr" kalt.

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