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Claire Denis: Trouble Every Day  (F 2001)

 

 

Kritik von Ekkehard Knörer 

Die Filme von Claire Denis sperren sich gegen die Analyse. Sie lassen sich nicht auflösen, in keiner Hinsicht. Ihre Plots zerfallen ins Banale oder Amorphe, sobald man sich an sie zu erinnern versucht. Von den Figuren erfährt man im Grunde nichts, ja, selbst eine solche Formulierung, die bereits voraussetzt, es ließe sich von Figuren ohne weiteres noch reden, ist problematisch. Die Sperrigkeit dieser Filme liegt nicht darin, dass dem Betrachter Widerstand entgegengesetzt wird. Im Gegenteil. Es gibt Momente reinen Genusses, reiner Schönheit. Was sich der Analyse sperrt, steht dem Genießen, der Lust des Blicks immer schon offen. Lust am Text als, ganz mit Barthes, Lust an der Textur. Der Textur, so viel ist offensichtlich, von Oberflächen. Die ersten Bilder von Trouble Every Day: Lichtreflexe auf der nächtlichen Seine. Oder, denn mit einer solchen Formulierung konventionalisiert man schon viel zu sehr: Licht, Wasser, Schatten. Der Ort bleibt unmarkiert, der Sinn bleibt aus, als narrativer zum Beispiel. Denis' Filme sind Filme, in denen der Sinn an der Oberfläche der Texturen ausbleibt. Die Texturen, an denen dies Ausbleiben zur sinnlichen Lust wird, sind Bilder der Kamerafrau Agnes Godard. Die Kehrseite des Ausbleibens ist die Lust an der Textur, deren Genießen eine Sache der Einstellung ist. An nichts hat diese Kamera mehr Interesse, nein, mehr Lust, als an menschlichen Körpern, denen sie so nahe rückt bis nichts mehr zu bleiben scheint als die nackte Haut. Die Kamera behauptet nicht, dass da etwas zu lesen wäre, ja, sie behauptet mit der dem sprach- und thesenlosen Bild überhaupt nur möglichen Insistenz, das Gegenteil. Dass da nicht sei als die Haut, die Oberfläche, die Textur, der Körper.

Der Körper von Béatrice Dalle, der Körper von Vincent Gallo. Wie soll man sagen, was man sieht? Körper, denen alles Glatte, alles glatt Gefällige fehlt. Körper, denen man das blutige Begehren, das sie umtreibt, abnimmt. Dieses Begehren ist ein vampirisches und es ist, nicht zuletzt, das Begehren der Kamera nach Blut. Begehren, das im Sex in blutigen Vampirismus, ja Kannibalismus umschlägt. Das Blut, das Begehren, den Sex, den Vampirismus, den Kannibalismus genießen wir in der Textur der Bilder von Agnes Godard. Es wäre zu einfach, hier von der Ästhetisierung des Ekels zu sprechen, aber nicht gänzlich verkehrt. Es scheint vor allem so, dass die Ästhetik, die an den Oberflächen Texturen der Lust sucht, im Aufreißen dieser Oberflächen, in der brutalen, blutigen Schaffung einer neuen, überströmenden und überströmten Textur erst ganz zu sich selbst findet. Die Zärtlichkeit, die vielleicht immer nur Schein war, von sich wirft, oder: eine andere Zärtlichkeit sucht, die Zärtlichkeit des Vampirs. Es ginge dann nicht um Deformation, sondern um das Zu-sich-Kommen einer Form. Eine Schönheit, der die schiere ungefällige Schönheit (die zugleich atemberaubende Hässlichkeit) der Körper von Béatrice Dalle und Vincent Gallo vorarbeitet. An diesen Körpern findet die Lust am Überströmen und Aufreißen der Haut, der Oberflächen, der Texturen ihre glaubwürdige Manifestation. Trouble Every Day ist die Lust am Bild als Textur der Oberfläche im Umschlag in den Rausch, den Blutrausch. Keinem wird dabei, gerade weil man die Schönheit dieses Rauschs zu genießen aufgerufen wird, wohl bleiben können in seiner Haut. Vielleicht ist es das, was Claire Denis zu sehen und zu genießen lehrt: den Ekel, der in der Schönheit siedelt.

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