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Ich heirate, also bin ich: Mira Nairs "Vanity Fair" (USA/GB 2004)

Eine Kritik von Ulrike Mattern

 

„Vanity Fair“ von William Makepeace Thackeray erschien 1847 erst als Fortsetzungsroman, dann ein Jahr später in Buchform. Die unter dem Titel „Jahrmarkt der Eitelkeit“ auf Deutsch vorliegende Ausgabe des Klassikers wiegt schwer in der Hand. An die 1000 Seiten umfasst der „Roman ohne Held“, so der Weisung gebende Untertitel. Die nicht sonderlich angenehme Aufsteigerin Becky Sharp erobert darin die dünkelhafte Londoner Society des 19. Jahrhunderts wie Bergsteiger Edmund Hillary den Mount Everest: zielbewusst, mit Hilfe von Last- und Wasserträgern, nur ohne noble Geste am Gipfel.

Frauen waren im viktorianischen Zeitalter Opfer gesellschaftlicher Zwänge. Das weibliche Bewusstsein wurde notgedrungen durch das Motto: „Ich heirate, also bin ich“ geprägt – in freier Anlehnung an Descartes („Ich denke, also bin ich“). Es galt, die materielle Existenz abzusichern. Für mittellose Mädchen wie Becky Sharp, Tochter armer Schlucker, bot sich zweierlei an: entweder einen Job als Hauslehrerin anzunehmen oder auf den Aufstieg durch Heirat zu bauen. Jane Austen, George Eliot, die Schwestern Bronte und andere haben die missliche Lage duldsamer Jungfern in ihren Romanen geschildert. Dass herzensgute Mädchen in den Ehe-Himmel kommen, liest man dort. Was aus den anderen wurde, erfährt man in Thackerays Satire.

Der scharfe Ton aus der gesellschaftskritischen Milieudarstellung verhallt in der filmischen Adaption zwischen ausufernd pittoresken Drehorten (Südengland, Bath und einigen Minuten Indien auf einem Elefanten), feschen Uniformen und herrlich dekadenten Samtroben. Die Hauptrolle übernimmt die amerikanische Schauspielerin Reese Witherspoon, die Becky Sharp als „erste Feministin“ interpretiert.

Wie in der Komödie „Natürlich blond“ schlägt ihr Charakter Sachzwängen ein Schnippchen. Zuerst wählt Becky eine reiche Freundin aus, die tugendhafte Amelia Sedley. Der taktische Coup soll das Tor zum Heiratsmarkt öffnen, doch Amelias snobistischer Verlobter (Jonathan Rhys Meyers) vereitelt den Plan. Die Ehe schließt Becky mit einem Spieler (James Purefoy) aus gutem Stall, den die Familie daraufhin enterbt. Becky strebt unbeirrt vorwärts auf dem Weg in die High Society. Sie nutzt die Gunst eines Marquis (Gabriel Byrne), der keine lauteren Absichten hegt.

Die bissig kommentierten intriganten Manöver lesen sich amüsanter, als sie 138 Minuten in entschärfter Leinwandfassung zu sehen sind. Zu lieb gerät die Anti-Heldin. Feinzeichnungen und Polarisierungen verpuffen durch ihr unterdrücktes Vermögen zum Miststück ohne Moral. Dass „Vanity Fair“ in der Rubrik der Kostümfilme hervorsticht, liegt an der ausgefallenen Optik: einem kulturellen Cross-over aus good old england, indischem Flair und fantasievollen Extravaganzen wie den gewagt gestylten Frisuren der Männer.

Der Roman „Vanity Fair – Jahrmarkt der Eitelkeit“ ist zum Beispiel im Aufbau Taschenbuchverlag für 14,90 Euro erhältlich.Sandra-Bullock-Film immer einen Sandra-Bullock-Film erkennen wollen.

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