Das Serielle entfaltet sich aus der Formel. Die Formel gib das Muster der
Variation. Die Formel von "Veronica Mars" ist ein gewagter Cocktail - und
darin selbst schon Variation einer Formel, nämlich der von Joss Whedons
"Buffy". Begann "Buffy" als Highschool plus Vampire, so variiert "Veronica
Mars" das zu Highschool plus Detektivarbeit. Chance, im Ganzen jedoch eher
Problem der "Buffy"-Formel, die zusammenfügt, was nicht zusammenpasst,
ist der dadurch leicht gemachte Übersprung ins Allegorische. Die Vampire
sind von Beginn an uneigentlich, verkleidete Gestalten fürs dunkel Drohliche
der Highschool-Zeit. Das aber macht sie zu reichlich unspezifischen Gestalten,
die zu fortgesetzter Deutung weniger als wiederkehrender Action und Beseitigung
der Gefahr durch heroisches Kampfhandeln Anlass geben. Als uneigentlicher
Zusatz drohen sie sich darum zu verselbständigen und vom Alltag das
exotische Genre so zu scheiden, dass der Bezug zurück ein angestrengter
bleibt.
In "Veronica Mars" - und Veronica Mars - sind die Übergänge
fließender. Der Cocktail ist besser, jedenfalls homogener, gemixt,
sonst ähnelt sich manches. Für den großen Bogen der ersten
Staffel hat sich Erfinder Rob Thomas zusätzlich bei "Twin Peaks" bedient:
Laura Palmer ist Lily Kane und ihre Leiche liegt am häuslichen Swimming
Pool. Damit liegt das zweite Zentrum der Serie außerhalb der Highschool
des fiktiven Städtchens Neptune, das als Stadt nicht im wörtlichen
Sinne topografisch präsent ist, sondern vor allem als Verflechtung von
Familien und Verteilung von Reichtümern. Die Familie Kane (wie: Citizen
Kane) ist dank Computerfirma unendlich reich. Veronicas Vater verliert seinen
Posten als Sheriff, weil er an die offizielle Version des Mordes an Lily
Kane nicht glauben will. So wird er Privatdetektiv, so kommt Veronica zu
ihrem Nebenjob.
Neptune, Schule wie Stadt, sind Formen der Hölle, die Jugend heißt.
Veronica ist Traumfigur als Außenseiterin mit Charme, Intelligenz,
gutem Aussehen und unverwüstlichem Selbstbewusstsein. Sie trotzt der
Hölle, so gut man ihr trotzen kann und nimmt doch - oder gerade im
Widerstand gegen den Verblendungszusammenhang einer Schulgemeinschaft - die
Hölle als Hölle wahr. Es gehört zur Außenwahrnehmung
die Vorgeschichte vergangener Zugehörigkeit. Duncan Kane und sie waren
ein Gesellschaftsschichten kreuzendes Paar. Er trennt sich von ihr, ihr Vater
wird gefeuert: Das ist die Vorgeschichte als Trauma, das - aufs menschliche
Dingsymbol Lily Kane zusammengezogen - in häufigen Rückblenden
immer wiederkehrt. Die erste Staffel ist - auf den ersten Blick - detektivische
Vergangenheitsbearbeitung, Umgang mit dem Trauma. Durcharbeiten des Verlusts
durch Detektion, Versuch der Wiederherstellung einer Ordnung der Welt durch
Lösung eines Mordfalls. Das wäre das alte Modell des Detektivromans
und Nancy Drew, die ewig 16-jährige post-Highschool-Detektivin das Vorbild.
Heil aber, daran besteht in "Veronica Mars" kaum ein Zweifel, wird die Welt
nicht durch Lösen von Fällen. So kommt ein persönliches Traum
hinzu: Veronica wurde unter Drogeneinfluss vergewaltigt und erinnert sich
nicht ans Geschehen. (Die Aufklärung entschärft dieses Trauma
allerdings beträchtlich.)
Dennoch: Es geht nur um Dauerbearbeitung eines tiefer liegenden Risses. Dessen
Eintrag findet sich überall: Ökonomisch ist Gerechtigkeit in der
Superreichen-Stadt Neptune nicht herzustellen. Gesellschaftlich wird der
Snobismus nur durch punktuelles Gegenhalten bestraft. Familial äußert
sich der Riss im Verschwinden der Mutter: auch das Wiederauftauchen stellt
die Familie nicht wieder her. Dies Fortbestehen des Traumas gibt der Serie
auch das dramaturgische Gesetz - oder umgekehrt: Das dramaturgische Gesetz
einer Spannung von großem Bogen und episodischem Einzelfall bringt
die Struktur der Dauer-Weiterbearbeitung des Traumas als Gesetz der Serie,
die wiederholt und fortsetzt zugleich, hervor. Denn jede einzelne Folge besteht
aus aus einem abgeschlossenen Fall und Weiterführung der Detektion zum
Mord an Lily Kane. In "Twin Peaks" verweigerte sich das Trauma auf
störrische und zusehends wahnsinnigere Weise der Auflösung, die
das Gesetz nicht der Serie, aber der Staffel fordert, die nach einem nicht
beliebigen Ende verlangt. "Veronica Mars" ist da, wie in jeder Hinsicht
natürlich, zahmer: Der Fall wird gelöst und damit ist die
Durcharbeitung vorläufig abgeschlossen. Die Notwendigkeit des
Vorläufigen und damit auch die vorläufige Auf-Dauer-Stellung des
Konflikts ergibt sich aus dem nächsten Gesetz der Serie: Fortsetzung
folgt.
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