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Veronica Mars (Created by Rob Thomas, USA 2004ff.)

Von Ekkehard Knörer

1. Staffel

(Die Serie ist in Deutschland beim ZDF zu sehen)

Das Serielle entfaltet sich aus der Formel. Die Formel gib das Muster der Variation. Die Formel von "Veronica Mars" ist ein gewagter Cocktail - und darin selbst schon Variation einer Formel, nämlich der von Joss Whedons "Buffy". Begann "Buffy" als Highschool plus Vampire, so variiert "Veronica Mars" das zu Highschool plus Detektivarbeit. Chance, im Ganzen jedoch eher Problem der "Buffy"-Formel, die zusammenfügt, was nicht zusammenpasst, ist der dadurch leicht gemachte Übersprung ins Allegorische. Die Vampire sind von Beginn an uneigentlich, verkleidete Gestalten fürs dunkel Drohliche der Highschool-Zeit. Das aber macht sie zu reichlich unspezifischen Gestalten, die zu fortgesetzter Deutung weniger als wiederkehrender Action und Beseitigung der Gefahr durch heroisches Kampfhandeln Anlass geben. Als uneigentlicher Zusatz drohen sie sich darum zu verselbständigen und vom Alltag das exotische Genre so zu scheiden, dass der Bezug zurück ein angestrengter bleibt.

In "Veronica Mars" - und Veronica Mars - sind die Übergänge fließender. Der Cocktail ist besser, jedenfalls homogener, gemixt, sonst ähnelt sich manches. Für den großen Bogen der ersten Staffel hat sich Erfinder Rob Thomas zusätzlich bei "Twin Peaks" bedient: Laura Palmer ist Lily Kane und ihre Leiche liegt am häuslichen Swimming Pool. Damit liegt das zweite Zentrum der Serie außerhalb der Highschool des fiktiven Städtchens Neptune, das als Stadt nicht im wörtlichen Sinne topografisch präsent ist, sondern vor allem als Verflechtung von Familien und Verteilung von Reichtümern. Die Familie Kane (wie: Citizen Kane) ist dank Computerfirma unendlich reich. Veronicas Vater verliert seinen Posten als Sheriff, weil er an die offizielle Version des Mordes an Lily Kane nicht glauben will. So wird er Privatdetektiv, so kommt Veronica zu ihrem Nebenjob.

Neptune, Schule wie Stadt, sind Formen der Hölle, die Jugend heißt. Veronica ist Traumfigur als Außenseiterin mit Charme, Intelligenz, gutem Aussehen und unverwüstlichem Selbstbewusstsein. Sie trotzt der Hölle, so gut man ihr trotzen kann und nimmt doch - oder gerade im Widerstand gegen den Verblendungszusammenhang einer Schulgemeinschaft - die Hölle als Hölle wahr. Es gehört zur Außenwahrnehmung die Vorgeschichte vergangener Zugehörigkeit. Duncan Kane und sie waren ein Gesellschaftsschichten kreuzendes Paar. Er trennt sich von ihr, ihr Vater wird gefeuert: Das ist die Vorgeschichte als Trauma, das - aufs menschliche Dingsymbol Lily Kane zusammengezogen - in häufigen Rückblenden immer wiederkehrt. Die erste Staffel ist - auf den ersten Blick - detektivische Vergangenheitsbearbeitung, Umgang mit dem Trauma. Durcharbeiten des Verlusts durch Detektion, Versuch der Wiederherstellung einer Ordnung der Welt durch Lösung eines Mordfalls. Das wäre das alte Modell des Detektivromans und Nancy Drew, die ewig 16-jährige post-Highschool-Detektivin das Vorbild. Heil aber, daran besteht in "Veronica Mars" kaum ein Zweifel, wird die Welt nicht durch Lösen von Fällen. So kommt ein persönliches Traum hinzu: Veronica wurde unter Drogeneinfluss vergewaltigt und erinnert sich nicht ans Geschehen. (Die Aufklärung entschärft dieses Trauma allerdings beträchtlich.)

Dennoch: Es geht nur um Dauerbearbeitung eines tiefer liegenden Risses. Dessen Eintrag findet sich überall: Ökonomisch ist Gerechtigkeit in der Superreichen-Stadt Neptune nicht herzustellen. Gesellschaftlich wird der Snobismus nur durch punktuelles Gegenhalten bestraft. Familial äußert sich der Riss im Verschwinden der Mutter: auch das Wiederauftauchen stellt die Familie nicht wieder her. Dies Fortbestehen des Traumas gibt der Serie auch das dramaturgische Gesetz - oder umgekehrt: Das dramaturgische Gesetz einer Spannung von großem Bogen und episodischem Einzelfall bringt die Struktur der Dauer-Weiterbearbeitung des Traumas als Gesetz der Serie, die wiederholt und fortsetzt zugleich, hervor. Denn jede einzelne Folge besteht aus aus einem abgeschlossenen Fall und Weiterführung der Detektion zum Mord an Lily Kane. In "Twin Peaks" verweigerte sich das Trauma auf störrische und zusehends wahnsinnigere Weise der Auflösung, die das Gesetz nicht der Serie, aber der Staffel fordert, die nach einem nicht beliebigen Ende verlangt. "Veronica Mars" ist da, wie in jeder Hinsicht natürlich, zahmer: Der Fall wird gelöst und damit ist die Durcharbeitung vorläufig abgeschlossen. Die Notwendigkeit des Vorläufigen und damit auch die vorläufige Auf-Dauer-Stellung des Konflikts ergibt sich aus dem nächsten Gesetz der Serie: Fortsetzung folgt.

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