Akte 1 - Werke von Fiona Tan aus den letzten fünf Jahren

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Akte 1 - Werke von Fiona Tan

 

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Akte 1 - Werke von Fiona Tan aus den letzten fünf Jahren

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Bericht von Ekkehard Knörer

Junge japanische Frauen, die Bogen spannen. Auf der einen Seite der Rücken an Rücken im Raum gequerten Leinwand von links gefilmt, auf der anderen von rechts. Der Betrachter muss sich entscheiden, beide Seiten zugleich bekommt er nicht zu Gesicht. Auf der Vorderseite: Nur die Konzentration, der Blick der Kamera fokussiert die Finger, den Bogen. Als Ton: das leise Klicken und Surren der Bogenarbeit. Auf der Rückseite: Die Gesichter der Frauen, von Spannung zu Entspannung, darunter ein dunkles Brummen der Tonspur. Die Frauen sind aufwendig gekleidet und geschmückt, es ist klar, dass es sich nicht um einen sportlichen Wettbewerb handelt - oder überhaupt einen Wettbewerb. Die Ziele kommen niemals in den Blick, ja, auch den Moment des Abzugs selbst fängt die Kamera selten ein (auf der Vorderseite gar nicht). Es ist ein altes Ritual, das erklärt der Katalog. Um Konzentration, das Aufgehen in einem genauen Ablauf, das Versunkensein in eine Tätigkeit scheint es den Aufnahmen zu tun, die im Close Up alle weitere Situierung und Erläuterung verweigern. Der Titel, "Saint Sebastian", reißt die Bilder aus ihrem Kontext und zerrt sie hinüber - ohne dass das gelingen kann: die Pfeile kommen nie an - in die christliche Ikonografie.

Im nächsten Raum, rechts um die Ecke, läuft ein Dokumentarfilm von Fiona Tan, der einen ganz unmittelbar wieder zurücknimmt in die vertraute Bild-Welt medialer Gegenwarten. Tan spricht mit Fotografen, die über ihr Gewerbe reden. Bild-Skepsis, die Wahrheit der Bilder und ihre Lüge - oder jedenfalls: ihr Schweigen von dem, was sie nicht zeigen. Der Film mündet in eine Reihe von unkommentierten Fotografien und bewegten Bildern, Schatten von Eisläufern auf Eis und eine eigene Arbeit Tans, die im nächsten Raum zu sehen ist: "Downside Up", schwarz-weiße Film-Aufnahmen von Gehenden in tiefstehender Sonne, das Bild um 180 Grad gedreht. Es bewegen sich die langen Schatten, die kleine Körper werfen im Dauerloop. Weitere Loops im großen Raum: "Lift" zeigt neben Stills der Künstlerin, die in der Luft hängt an roten Ballons ein kleines Kind in einem Raum, schwebend, sinkend, steigend in einem Fallschirmgurt, lachend, glucksend levitierend, von weißen Ballons zur Decke getragen. Es korrespondiert, auf eine durchsichtige Leinwand geworfen, ein rotgefärbtes Dauerpendeln einer baumelnden Schaukelvorrichtung - "Cradle" - mit einem Kind, das in der patinierten Farbigkeit des 16mm-Films jedoch fast untergeht. In "Rain" sind zwei Loops zu sehen, übereinander, auf kleinen Bildschirmen. Oben und unten dieselben zwei blauen Eimer, oben zu zwei Dritteln voll, unten kurz vor dem Überlaufen. Heftiger Regen, die Eimer aber bleiben, wie sie sind, füllen sich nicht. Das leise Nicken eines Hunds, der sich in eine Mauerspalte zurückgezogen hat, markiert die Gestücktheit, die die wenigen Sekunden zur Ewigkeitsschlaufe macht, in einem toten Winkel der Regenzeit. Ein anderer Film, von 2003, scheint sich auf eine platte Ökobotschaft zu reduzieren, Bilder aus einer überfluteten Zukunft, Tan war unterwegs in Amsterdamer Archiven und zeigt überschwemmte Innenstädte, Schiffe auf See, historisches found footage aus einer Zukunft im Wasser.

Wenn der große Raum mit den Loops Entortungen zeigt, Entzeitungen und Verfremdungen, so unterimmt Fiona Tans auf der letzten Documenta gezeigtes, in Berlin ausgeführtes Großprojekt "Countenance", auf den ersten Blick jedenfalls, das Gegenteil. Das Werk ist das Update von Augstu Sanders - derzeit noch im Martin-Gropius-Bau zu sehenden - menschenerkundendem Großprojekt: In Jahrzehnten hat Sander die Gesellschaft seiner Zeit auf den Nenner überzeitlicher Typisierung zu bringen versucht. Während aber bei Sander das jedenfalls behauptete Desinteresse an den Individuen auf die Bilder durchschlägt, indem es ihnen den dokumentarischen Charakter nimmt (ohne dass, natürlich, Sanders anthropologische Behauptungen von der Typisierbarkeit über ein paar offenkundige Erkennbarkeiten hinaus wahr würden), treten die von Tan gleichfalls nur über ihre Berufe oder als Mitglieder von Familienverbünden (Mutter mit Kind, Familie) markierten Personen als Individuen hervor. Denn "Countenance" ist - im größeren seiner beiden Teile jedenfalls - ein Projekt am Saum zwischen Film und Fotografie. Die Bilder, die man sieht, sind nicht "Stills", sondern Stillstellungen der gezeigten Personen in ihren Umgebungen (zuhause oder bei ihrer beruflichen Tätigkeit), dies aber in etwa zehnsekündigen Filmaufnahmen. In jedem Fall genug Zeit, sich der von den Zwischentiteln vorgenommenen Typisierung (Bauarbeiter, Galerist, Künstler, Autor...) zu entziehen ins Bewegte, einen, sei es minimalen, Eigensinn ins Bild zu bringen. Ein geringer Spielraum, keine Frage, aber doch die Gelegenheit, am eigenen Porträt mitzumalen im vielleicht trügerischen Schein eines Entzugs, der in einem versteckten Lächeln, in der Andeutung einer Distanz liegen könnte. Man muss darin gar nicht das Pathos eines Freiheitsmoments als Wahrheit unterstellen: der Zug aber ins Dokumentarische arbeitet ausdrücklich gegen das Sander-Vorbild. Ob die in der Lücke zwischen Berufsbezeichnung und zehnsekündigem Bewegungs-Still sich einschleichende Unterstellung individueller Freiheitsräume innerhalb gesellschaftlicher Tätigkeitszuweisungen weniger "falsch" ist als Sanders aufs fotografische Einzelbild durchschlagende menschheitliche Vollständigkeitsbehauptungen, ist dann allerdings eine andere, die neue Frage, die Fiona Tans jetzt an den Ort seiner Entstehung zurückgekehrtes Großprojekt zu stellen erlaubt.

Zu sehen in der Akademie der Künste, Berlin, noch bis 15.2.2004.

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