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Mathilde Monnier: Frère et Soeur

(HAU 2; 19.8.2005)

Kritik von Ekkehard Knörer

  

Was sich klärt und verunklärt, unklar bleibt an den Verhältnissen, die die Figuren zueinander haben, den Verhältnissen, die sich verändern, vielleicht auch entwickeln, das könnte man den Interpretationsspielraum nennen, der in diese Choreografie, die keineswegs wortlos ist, dennoch eingebaut scheint. Schon der Titel, frère et soeur, ist ein Vorschlag, dem man nicht folgen müsste, selbst wenn gewiss wäre, was sein Status ist. Der Text von Kathy Acker, gesprochen von einander vom Mikrofon stoßenden wechselnden Tänzern, die hier zu Sprechern werden und gleich darauf wieder zu Tänzern, fügt eine weitere Schicht hinzu, einen Anhalt, der aber keinesfalls Gewissheit gibt über die Liebe, den Hass, das einander Schlagen, das Sich-Wieder-Vertragen, das einander Küssen und Umranken, das ineinander Verwinden und auch das wortlose, fast gestenlose Formieren und Herumstehen in Formationen, die sich gleich darauf wieder auflösen.

Zu Beginn: Eine Bühne mit vier Orten, klar bestimmten, und weiteren, nicht so klar bestimmten. (Die Einzelbühnen, die man sieht, sind ein Ort, aber der Eckraum bei den Mikrofonen, was ist von ihm zu halten? Oder von der Fläche links an der Seitenwand, mit den zu Bündeln geschnürten Decken? Oder von der Wand selbst, an die sich, spinnengleich, später eine Tänzerin klammern wird?)

Klar definiert, wie es scheint, die Black Box rechts hinten, schwarz, mit Schlitzen, ein Kubus aus einem Material zwischen Schaum und Stoff. Als Aufenthaltsraum ein Zwischen-Ort mit Zwischenräumen, die ihn, weil sie Auftritte ermöglichen, zum Vorhang machen. Zugleich die Garderobe, damit Hinterwelt der Bühne für die Kleidungs- und Perückenwechsel – eine Hinterwelt freilich, die später gedreht wird und nach vorne geschoben, die vierte Wand fehlt und als fehlende ermöglicht sie den Einblick in diese ausgestellte Garderobe mit den aus dem Rhythmus des Tanzes in den Rhythmus des Umziehens hinübergleitenden Körpern. Das aber wird, auch nach der dem Voyeurismus sich anbietenden Offenlegung, ausdrücklich als Nicht-Performance, also als völlig normales, alltägliches Umkleiden performiert.

Ein Wandel auf den anderen Bühnen nach der Drehung um 90 Grad. Die Nacktheit der nun vor Blicken nicht mehr Schutz bietenden Garderobe dringt in die anderen Räume vor, wenngleich den nackten Oberkörpern sogleich wollige Kraushaarperücken kontrastierend korrespondieren. Überhaupt hat sich nach den aus den Stehformationen hervorgehenden Kämpfen der ersten zehn Minuten die Raumaufteilung geändert. Zwischendurch etwa einmal gibt es Zweierformationen zur Linken, Dreierformationen in der Mitte und Solo-Performances mit Gitarre zur Rechten. Auch die Gewalt ist gewichen. Zunächst ein Hauen und Treten und Springen, allerdings mit großer Selbstverständlichkeit, keine Zeichen des Schmerzes, der Verletztheit, ein ungerührter Ingrimm, aus dem nicht ohne weiteres schlau zu werden ist. Kurz auch Verkleidungen, übers Gesicht gezogene Rollkragenpullover, aber der Kampf geht weiter.

Danach aber Hebefiguren, Schlingfiguren, nun eine, wenn man so sagen kann, ungerührte Zärtlichkeit, wiederum ohne jede Exaltation: Bruder und Schwester, naja. Es muss von der Musik die Rede sein, die elektronisch, mit Knacksverfremdungen und Rhythmuswechseln, beinahe keine Sekunde lang ausbleibt. Selten, öfter gegen Ende hin, Ausbruch in wilden Solo-Tanz, zu dem der Elektrobeat den Anlass gibt. Dazwischen ist das Verhältnis der Tänzer zum Klang weniger eindeutig, so offen für Deutung (oder Desinteresse) wie der Bezug von Figur zu Figur, von Figur zu Raum (genauer gesagt: den Räumen). Auch der Ingrimm, sei er noch so ungerührt, will ertragen sein, ungemildert wie er bleibt durch konterkarierende, gar komische Momente.

     
 

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