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Joe Ma Wai-ho

Betrachtung und sämtliche Interviewpassagen von -MAERZ- (Axel Estein)

 

Im schon seit Mitte der 90er Jahre krisengeschüttelten Filmmarkt HKs gibt es, verglichen mit der Zeit davor, besonders den "goldenen Jahren" zwischen zirka ‘88 und ‘93, nur noch ganz wenige kommerziell verlässliche Größen, Regisseure, die in der Lage sind, pro Jahr zumindest einen, mit Glück vielleicht sogar zwei oder drei Hits zu produzieren. Joe Ma Wai-ho gehört ohne Zweifel dazu. Kein Zufall, ein Ergebnis eines langen Lernprozesses und stetiger harter Arbeit; aber auch seiner Neigungen: Sein Herz schlägt für die besonders leichte Muse. Durch seine bislang (Ende ‘02) 18 Regiearbeiten läßt er daran keinen Zweifel. (Etwas anders sieht die Sache aus, wenn man auch seine rund zwei Dutzend Fremdproduktionen betrachtet.)

Miriam Yeung & Joe Ma
Miriam Yeung & Joe Ma
   Schon im Alter von 18 und noch während seiner Oberschulzeit gewinnt der ‘64 geborene Ma einen Schreibwettbewerb mit einem seiner Theaterstücke und das Interesse des Filmproduzenten, Regisseurs und Komödienspezialist Clifton Ko Chi-sam, der es als die sehr erfolgreiche Kostümkomödie HAPPY GHOST ‘84 auf die Leinwand bringt. Ma wird daraufhin nebenberuflich Research Writer für die in den frühen 80ern als Wegbereiter für das Neue HK-Kino und Sammlungspunkt kreativer Kräfte bekannte Produktuionsgesellschaft Cineme City. Während seiner Studienzeit an der Hong Kong University knüpft er, inzwischen als vielversprechender junger Drehbuchautor für komödiantische Stoffe bekannt, weitere wertvolle Kontakte zur Industrie.

Bis zu seinem Studienabschluß ‘87 kann er bereits einige verfilmte Scripts vorweisen. Auch die ersten Jahre nach seiner beruflichen Einstiegsphase sind geprägt von der Zusammenarbeit mit Clifton Ko, den er als seinen Mentor betrachtet. Durch seine Zusammenarbeit mit Ko ist Ma bis zum Ende der 80er an einigen großen finanziellen Erfolgen beteiligt. Künstlerisch sind diese Filme nicht der Rede wert.

So verhält es sich eigentlich auch mit fast allen seiner eigenen Regiearbeiten. (Wieder sieht es etwas anders aus, wenn man Mas Fremdproduktionen betrachtet.) Sozusagen für die Ewigkeit ist daher Mas Statemant: "Ich habe früher schon romantische Komödien gedreht, und ich werde wieder romantische Komödien drehen. Sie entsprechen meinem persönlichen Geschmack. Warum sollte ich nicht wieder in meinem Lieblingsgenre arbeiten und meine Lieblingsfilme drehen! Egal ob als Zuschauer oder als Regisseur: Ich mag die beruhigende Wirkung, die diese Filme auf mich haben; ich fühle mich ausgeglichener, irgendwie befreit, einfach besser, glücklich. Diese Filme sind oft recht schlicht gemacht. Aber ihre Wirkung ist beeindruckend. Deshalb bin ich daran interessiert selber solche Filme zu drehen.“

Aber es gibt zahlreiche weitere Aspekte in seinen Arbeiten, die für das Verständnis des (jeweils) aktuellen HK-Kinos wichtiger sind. Das ist das eigentlich Interessante bei Ma: Umfeld, Überbau, Metaebenen. Absolut kein Programm bei ihm. Dennoch vorhanden. Archäologen, Papyrologen, Hermeneutiker, Spurenleser oder einfach Zuschauer mit offenen Augen sind gefragt.

Kein geringes Wagnis bedeutet für Ma FUNERAL MARCH (‘01), ein schwermütige Rührstück aus dem sogenannten Terminal-Love-Subgenre, für das international Filme wie das Krebs-Melo LOVE STORY (USA, ‘69) oder in HK Derek Ji Tung-shings sehr erfolgreicher Film C’EST LA VIE, MON CHÉRI (‘93) stehen.

Mas Schnulze dreht sich um einen jungen Leichenbestatter, der von einer jungen Krebspatientin im letzten Krankheitsstadium mit der Organisation ihrer Beisetzung beauftragt wird, sich dabei in sie verliebt und, wie sich später herausstellt, mit einer ähnlichen Diagnose selber schon mit einem Bein im Grab steht, seiner Auftraggeberin dorthin sogar einen guten Schritt voraus ist. Solange dies aber noch nicht klar ist - und natürlich hebt Ma sich dieses böse Kaninchen auf, um es erst kurz vor Schluß aus dem Hut zu zaubern -, erscheint der melancholische Bestatter im Vergleich zu seiner prämordialen Klientin als Ausbund an Lebensfreude und Optimismus. Um diese vermeintliche Differenz der Lebensperspektive deutlich zu machen, bedient Ma sich bestimmter Nachbearbeitungsmöglichkeiten des Filmmaterials. Während er in den Szenen, in denen die Klientin die Hauptfigur ist, die Buntheit unterdrückt, um blaue, grüne und graue Farbwerte anzuheben und durch die nun resultierenden ausgebleichten, bleiernen Töne dem Spiel den Eindruck von Kraftlosigkeit, schlaffer Verbrauchtheit und quasi-entschlafenem Verfall zu geben, nimmt er in vielen Szenen des Bestattungsunternehmers, der zum Multifunktionsbeistandsgehilfen, zum Freund, Vertrauten, Seelenklempner und Gefühlstrainer wird, die Farbverödung zurück, damit wieder helle, freundliche und warme Farbtöne das Alltagsgeschehen dominieren. Mas bevorzugte Einstellungen sind Nahaufnahmen und Halbnahe, die er lange stehen läßt, Aufnahmen betroffener Gesichter. Langsam nimmt die Kamera Personen und Gruppen in den Blick; sie vermitteln Zuneigung und Besinnlichkeit, sind in Trauer und Anteilnahme vertieft. Todestrübselige Echtzeitblicke auf das stetige Werk des grimmen Schnitters, der teilnahmslos die Blüte des Lebens dahinrafft. Elegisch getragen und ruhig wie weitausholende Sensenschwünge ist der Rhythmus. Ma spielt die Karte der schwarz-graumelierten Romantik, morbide wie die Grabmalästhetik eines verwitterten Kindergrabs mit schützend darüber wachendem Todesengel auf dem Wiener Zentralfriedhof. FUNERAL strotzt nur so vor überzogener Metaphorik. Da wird sogar eine angebrochene Tüte M&Ms zur Todesverheißung. Ein angefressener Hamburger ..., eine Froschmusterkrawatte ... - Todessymbole überall! Von Beginn an verströmt FUNERAL ein so fettes, syrupartig sich ausbreitendes Melo-Aroma wie eine im aufgeheizten Regenwald wochenlang vor sich hinrottende Kiste mit verwunschenem Süßwasserdelphingedärm. Da ist so viel Rotzschleim drin wie Lebertran in einem ausgewachsenen Potwal. Schließlich der gewagte Plottwist: so fatal wie Arschkrebs, ergreifend wie eine Hodenentfernung - sogar die Regenschirme weinen unter dichten, durch die Straßen kreichenden Wolken, die eher den Freitod als Nebel gewählt zu haben scheinen als weiter ihrem dunklen Werk nachgehen zu wollen, still vor sich hin.
 

Funeral March (Charlene Choi)
Charlene Choi in FUNERAL MARCH

Kein Zweifel: Das Thema von FUNERAL fällt für Ma aus dem Rahmen. Diesen Eindruck hat man auch bei Mas langjährigen ProduktionsFirma Media Asia, wo man dem Projekt wenig Chancen einräumt. Ma wendet sich daher, wie er erläutert, an Albert Yeung Sau-shings Experimenten gegenüber aufgeschlosseneren Emperor Entertainment Group (EEG), die zu den Mayor-Playern im HKer Film-Biz aufzurücken versucht: "Ich habe Li Kwok-hing, dem Boss von Mei Ah, verschiedenen für die Firma arbeitenden Regisseuren und einigen an der Firma beteiligten Investoren den Stoff vorgeschlagen. Aber sie haben abgewunken. Ich habe dann gefragt, ob es ein Problem für sie sei, wenn ich mit dem Projekt zu einer anderen Firma ginge. Sie waren einverstanden. So bin ich dann bei EMG (Emperor Movie Group, eine Tochter der EEG, Emperor Entertainment Group, Anm.) gelandet. Ich bin sehr glücklich darüber, daß Gordon Chan (Kar-sheung), der Produktionsleiter von EMG, trotz einiger anfänglicher Bedenken auch meinerseits, FUNERAL MARCH sehr schnell seine Zustimmung gegeben hat. Dank seiner Ermutigungen war ich relativ frei in meinen Entscheidungen, wie ich diesen Stoff angehen wollte.“

Von Mas zahlreichen Regiearbeiten ist es die dunkelste, am wenigsten leicht konsumierbare. Möglicherweise benutzen ihn aber genau deshalb vielen HKer Zuschauer zur andachtsvollen Trauerarbeit und Betroffenheitsbewältigung, wie Ma erläutert, da zirka ein Viertel des Films in New York spielt: "FUNERAL MARCH unterscheidet sich sehr von meinen bisherigen Filmen. Das war ein bewußte Entscheidung. Damals, als ich den Film machte, dachte ich, daß ich wohl zu viele Komödien gemacht hätte. Manchmal braucht man einfach einen Tapetenwechsel. Ich mußte mir eine Herausforderung schaffen. Ich strebte mit dem Film nach einer kreativen Erneuerung. Die Themen, die ich hier aufgegriffen habe, Abschied, Trennung, Tod, beschäftigen mich schon seit mehr als zehn Jahren. Genauso lange wollte ich schon einen Film über diese Themen machen. Jüngere Zuschauer tendieren dazu, den Film als romantische Liebesgeschichte zu sehen. Das ist er definitiv. Aber das ist nur die Oberfläche. Er geht tiefer und ist schmerzhafter. Es geht um Moment im Leben eines jeden, wenn alles zu verblassen scheint, wenn nur noch ein schweres, lastendes Grau übrigbleibt. Wie geht man damit um? Wie findet man seinen Weg und seine Bestimmung? Für einige wird alles undeutlich; andere sehen plötzlich alles mit besonderer Schärfe. [...] Ich glaube, das Publikum, sogar Teenager möchten - soweit ich das für Hong Kong beurteilen kann - im Kino hin und wieder mal weinen können. Weinen ist ein sehr starker Ausdruck von Gefühlen. Es ist sehr befreiend, so starke Gefühle herauslassen zu können. Es war also der Versuch, den Leuten dabei zu helfen, ihre Trauer auszudrücken. Sie sollten sehen, wie gut es ihnen im Vergleich zu den Figuren in dem Film geht und sich freuen können, wie toll es doch ist, auf der Welt zu seine. Das ist die einfache Philosophie hinter diesem Projekt.“

Aber auch ein erfahrener und erfolgsverwöhnter Regisseur wie Ma ist sich im extrem schnellebigen HKer Filmgenre-Dschungle nicht immer sicher: "Ich konnte wirklich nicht sagen, wie sich der Film an den Kinokassen schlagen würde. Es war von Anfang an keine Mainstream-, sondern mehr oder weniger ein Alternativprojekt. [...] Der wichtigste Anreiz sind die beiden Hauptdarsteller, die Popstars sind (Charlene Choi Cheuk-yin vom Gesangsduo ‘Twins’ und Eason Chan Jik-shun, gehören in HK zu dieser Zeit zu den beliebtesten Popstars, Anm.), und ihre Liebesbeziehung in dem Film. Wir zielten dabei in erster Linie auf die Teenager, die noch sehr zarte, romantische und reine Vorstellung von der Liebe und dem Leben haben. [...] Daß der Film im Sommer startete war vielleicht ein Markting-Fehler. Andererseits ging der Sommer schon zur Neige. Es war zwei Wochen nach den Terror-Angriffen in den USA vom 11. September. Er wurde kein allzu großer Erfolg (das Einspielergebnis beträgt bescheidene 4,26 Mio. HK $, Anm.). Aber das hatte ich auch nicht erwartet. Viele Leute wollten zu dieser Zeit etwas Positives sehen. Die, die wußten, um was für einen Film es sich bei FUNERAL MARCH handelt, haben ihn sich vielleicht angesehen, um besser mit den schrecklichen Ereignissen in der Wirklichkeit fertigwerden zu können.“

Von einer leichten pietistischen Selbstzensur ist Ma ein halbes Jahr später nicht mehr ganz so überzeugt: "Es gab in den New Yorker Szenen von FUNERAL MARCH Aufnahmen der Twin Towers des World Trade Centers, und ich habe sie kurz vor der Veröffentlichung wieder herausgenommen. Es war der 13. September als wir den Endschnitt des Films gemacht haben. Ich habe diese Aufnahmen damals nicht mehr ertragen können. Sie mußten raus. Damals war es die richtige Entscheidung. Vielleicht wird mir das in zehn Jahren einmal richtig leid tun. Auf der in Hong Kong veröffentlichten DVD sind dies Szenen aber als Special Feature im Bonus-Bereich enthalten.“

Er fährt fort: "Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, aber wahrscheinlich wäre der Film ohne die Anschläge in den USA etwas besser gelaufen. Die Menschen hatten zwar das starke Bedürfniss, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen, zu trauern und zu weinen. Aber schon vor den laufenden Fernsehern hatten die Leute bei den Nachrichten von den Anschlägen geweint. Sie mußten also nicht extra ins Kino, um ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen.“ (Mit dieser Einschätzung dürfte Ma richtig liegen, denn der von ihm produzierte, nur zwei Tage nach den Anschlägen gestartete Horroffilm HORROR HOTLINE... BIG HEAD MONSTER spielt 4,6 Mio. HK $ ein, Anm.)

"Nach der wirtschaftlichen Verschlechterung während des ganzen letzten Jahres, die vielen Leuten das Leben schwerer gemacht hat, wurde der 11. September definitiv zu einem Wendepunkt für die Filmindustrie in Hong Kong. Vielen in der Industrie wurde klar, daß Komödien jetzt wieder besonders gefragt sein würden. Der 11. September hat ganz sicher Spuren hinterlassen und den ohnehin vorhandenen Streß noch weiter erhöht. Kaum jemand kann behaupten, daß er sich diesen Dingen gegenüber verschließen konnte. Es besteht das Bedürfnis nach Ablenkung, nach Unterhaltung. Das Bedürfnis nach etwas Aufheiterung im Kino ist noch größer geworden. Etwa zur selben Zeit wie FUNERAL MARCH startete (Patrick) Leung Pak-kins und Chan Hing-kars Komödie LA BRASSIERE. Dieser Film lief ziemlich erfolgreich (Boxoffice: 18, 5 Mio. HK $, Anm.) und hat mir wieder einmal gezeigt, wie erfolgreich man hier mit Komödien sein kann, aber auch das Hong Kong einfach zu klein ist. Das Publikum ist zu homogen. Ihre persönlichen Hintergründe und ihre Interessen sind deshalb nicht so breit aufgewächert wie anderswo. Es hat sich für mich also wieder einmal bestätigt: Mach’ die Sache nicht zu traurig, die Leute wollen lachen. Wer kann, dreht derzeit Komödien. Mit dem Unterschied, daß ich dieses Genre schon immer bevorzugt habe, mache auch ich das momentan nicht anders.“ Und er fügt hinzu: "Komödien gehören zur Tradition des Kinos in Hong Kong, und das nicht erst seit den letzten zwanzig Jahren. Alle mögen hier Komödien. Das Leben in Hong Kong ist so aufreibend; man braucht etwas zur Entspannung. Das ist der Grund, warum Komödien hier der Mainstream sind. Bevor die Leute ins Kino gehen, sind für ihre Entscheidungen, welchen von vielleicht zehn möglichen Filmen im aktuellen Programm sie sich ansehen wollen, einige Kriterienwichtig. Es ist eigentlich recht einfach, ihnen bei ihrer Entscheidung zu helfen. Zuerst einmal kommt es auf die Stars an, dann muß man dafür sorgen, daß sie den Eindruck haben, sie würden sich nach dem Film besser fühlen. Das sind die beiden grundsätzlichen Kalkulationen. Wenn man sich nun aber die Veröffentlichungen der Ostersaison 2002 ansieht - einige ganze Menge großer, guter Produktionen mit hohen Budgets - kommt man nicht um den Eindruck herum, daß die Marketingabteilungen der entsprechenden Filmfirmen etwas falsch gemacht haben. Der Inhalt war gut, aber die Verpackung stimmte einfach nicht. Man vermißt die angenehme, leichte Stimmung auf den Filmplakaten, es fehlt die aufmunternde Message. Deshalb ist keiner dieser Filme so gut gelaufen, wie man das hätte erwarten dürfen. Die Leute verlangen nach mehr Komödien. Meine Kollegen sollten sich also darauf einstellen, daß sie die Sympathie des Publikum verlieren, wenn sie es nicht zum Lachen bringen.“

Fortsetzung (2. Teil)