Billy Brown ist ein unerträglicher Mensch, genauer, und das tut einiges zur Sache, ein unerträglicher
Mann. Minutenlang müssen wir seine Qualen erdulden, als  er nach seiner Entlassung aus dem Knast
dringend aufs Klo muß und partout nicht irgendwo an die Ecke pinkeln kann. Der Film führt seine
Hauptfigur so in all ihrer Verklemmtheit sehr treffend ein. Wir ahnen, daß uns dieser Typ, der sein
Zukurzgekommensein dadurch (sehr durch- sichtig, aber was nützt das) kompensiert, daß er sich
als abscheulicher Kotzbrocken aufspielt, für den Rest des Films erhalten bleibt. Er und seine ver-
korkste, in kalten, verwaschenen Bildern gezeigte Buffalo-Welt. Wohl fühlen kann man sich keine
Sekunde, mit ihm, mit dieser Welt. Ein Film also, den man nur gegen alle Widerstände, die er in
einem mobilisiert, mögen, oder eher: schätzen kann. Dazu muß es ihm aber gelingen, einem seine
Sicht, seine Figuren, seine Welt aufzuzwingen, bis man zugibt, ja, es ist furchtbar, aber so ist es, es
wäre besser, so etwas gäbe es nicht, aber es ist zu überzeugend geschildert, als daß man es ignorie-
ren könnte.

Ich bezweifle aber, daß das dem Film gelingt. Zunächst einmal ist ihm ein strenger (oder angestreng-
ter) Formwille nicht abzusprechen. Er beginnt mit hektischen Schnitten, beinahe Jump-Cuts, Billys
Rückkehr in seine Heimatstadt zu schildern und kommt erst wieder zur Ruhe, als sich auch Billys
Harndrang erledigt hat. Der Besuch von Billy und der zum Zwecke der Vorspiegelung harmonischer
Eheverhältnisse gekidnappten Layla bei seinen Eltern spielt sich vorwiegend am Wohnzimmertisch
ab. Die Kamera wechselt ihre Position rund um den Tisch und nimmt die Perspektive jeweils eines
der vier Beteiligten ein. Freilich sieht sie aus jeder Perspektive immer dasselbe lähmende Schweigen,
Nicht-Kommunizieren, gelegentliche Brüllen des Vaters. Geschichten aus der Vergangenheit werden
in einem extravaganten Rückblenden-Stil erzählt: das Bild fährt jeweils aus der Mitte der Leinwand
heraus, wird größer, bleibt jedoch innerhalb eines schwarzen Rahmens. Ganz zu Anfang war Billy
mit einem regelrechten Vergangenheits-Puzzle zugedeckt worden, das Bild für Bild die Leinwand
füllte. Zweimal nimmt sich der Film Auszeiten aus seinem sonstigen Realismus, gönnt erst Billys Vater
einen Gesangsauftritt, später Layla einen Steptanz auf der Bowlingbahn. Das läßt einen beides eher
ratlos. In sich gelungen ist eine Sequenz von Aufnahmen von Billy und Layla, gegen Ende des Films,
von knapp unter der Zimmerdecke, beide liegen im Bett, er starr vor Schreck, in solche Nähe zu
einer Frau geraten zu sein und dann, nach kurzen Schwarzblenden, jeweils Verschiebungen, Annä-
herungen dieses Verhältnisses. Das ist aber die einzige Stelle, wo, für meinen Geschmack, das
Gesuchte auch halbwegs gefunden wirkt.

Im Grunde will der Film aber eine Geschichte erzählen, die Geschichte dieses Losers Billy. Alles
formale Independent-Getue kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß er es sich damit einfach macht.
Abgesehen vom (halbironischen) Happy End gibt es keine Entwicklungen, alle Figuren sind und
bleiben eindimensional, insbesondere die Eltern, bloße Karikaturen, grandios gespielt freilich von
Ben Gazzara und Anjelica Huston. Daß damit Vincent Gallos Eltern gemeint sind, macht die Sache
noch unsympathischer, entscheidend aber ist, daß der Film weniger an der erstickenden Atmosphäre,
die er heraufbeschwört, als an der Erwartbarkeit seiner Trostlosigkeit selbst zu ersticken droht.
Mitunter geradezu infam springt das Drehbuch dabei mit Layla um, die als einziger Engel weit und
breit zu Billys Erlösung in diese dunkle Welt gesandt worden ist. Treuer und hündischer ergeben
als einst Käthchen von Heilbronn ihrem doch um einiges lichtvolleren Angebeteten folgt sie ihrem
Peiniger, erduldet sein abstoßendes Gebaren und bringt ihn zu guter Letzt vom Pfad der Vernichtung
ab (der uns als falsche Vorblende einige sehr eindrucksvoll blutige Freeze-Frames liefert; in sich wieder
ziemlich beeindruckend). Christina Ricci spielt das mit stupender Ausdruckslosigkeit. Auch Vincent Gallo
ist famos, wenngleich es ihm, wie man hört, keine große schauspielerische Anstrengung abverlangt,
einen Kotzbrocken zu spielen. Insgesamt ergibt das aber einen Film, dessen Summe um einiges schlech-
ter ist als seine Teile, der trotz großartiger Schauspieler und formalen Einfallsreichtums nicht wirklich
überzeugt. Er läßt dem Zuschauer die Option, sich gelangweilt abzuwenden. Gerade das dürfen Filme
dieser Art nicht.

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