die unsichtbare falle

(r. und b.: david mamet  USA 1998)

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Ironischerweise sind nun gleich zwei Filme im Kino, die, nun ja, mit Hitchcock zu tun
haben. Neben dem 'Dial M for Murder'-Remake 'Ein perfekter Mord' nun David Mamets
neues Werk. Mamet hat sich freilich nicht einen bestimmten Hitchcock ausgesucht, den er
nun für die Neunziger nachinszenieren wollte. Eher geht es ihm darum, einen Film zu machen,
der sozusagen reine Hitchcock-Essenz ist und also im Ergebnis gar nicht wie Hitchcock, son-
dern ganz wie Mamet, obwohl alles, jedes einzelne Motiv, von unscheinbaren Objekten wie dem
Pfadfindermesser bis zum Gesamt-Plot, ein fortgesetztes Zitat ist. Eigentümlich ist die Form dieser
Zitate, die nichts mit einer Hommage, bloßer postmoderner Anspielungsfreude oder gar ohnehin
zum Scheitern verurteilter Nachahmung zu tun hat.
Vielmehr wird jedes dieser Motive durch Zuspitzung aufs Extrem seiner Funktionsweise zugleich
ad absurdum geführt und in seinem Konstruktionscharakter ausgestellt. Ein Wunder ist dabei nur,
daß der Film dennoch spannend ist wie ein Hitchcock. Das beginnt und endet mit dem McGuffin,
der hier in seiner Reinform exerziert wird, und diese Reinform ist die völlige Leere. Hitchcock
selbst hat dies immer mit großer Freude analysiert: im Zentrum eines funktionierenden Thrillers
steht blanke Bedeutungslosigkeit, das Nichts, ein völlig leeres Signifikat, auf das sich, gerade sei-
ner Leere wegen alles bezieht, um das sich alles dreht. In diesem Fall ist es eine höchst geheime
Formel, die mit feiner Ironie einfach 'the process' genannt wird - und natürlich erfährt auch der
Zuschauer nie, welch großartige Erfindung dahintersteckt.
Überhaupt versteht Mamet es brillant, dramatische Ironie einzusetzen - nur weiß man nie, auf
wessen Kosten das geht und immer wieder wird neben der treubraven Hauptfigur der Zuschauer
düpiert, der, obwohl er sehr zu recht an allen Ecken Unrat wittert, dem windungsreichen Gang
der Ereignisse immer nur hinterherhecheln kann. Und zwar hechelt er gemeinsam mit einem, von
Campbell Scott allerdings ohne alle Abgründigkeit gespielten, archetypischen Hitchcock-Helden,
der immer tiefer in sein Unglück rennt und gestoßen wird, eingekreist von allen Seiten, und dabei
selbstredend völlig unschuldig ist.
Was den Film über alles Hitchcockisieren hinaus zum reinen Vergnügen macht, ist zuletzt aber
Mamets eigene Handschrift. Mamet denkt, anders als Hitchcock, nicht filmisch, sondern in Szenen
und Dialogen. Nicht narrative Eleganz (oder jene charmante Dreistigkeit mit Abstechern ins Surre-
ale, die vielleicht das Hinreißendste an Hitchcock ist) zeichnet Mamets Filme aus, sondern große
Puzzlekunst. Während Hitchcock viel mit Schwarzblenden arbeitet, man das aber völlig übersieht
und vom Suspense über jedes dadurch aufgetane Loch zu einem Zuschauererlebnis wie aus einem
Guß gezwungen wird, arbeitet Mamet hier mit durchaus sanften Überblendungen, was aber, nun
ganz im Gegenteil, nichts daran ändert, daß seine Filmsprache etwas Abgehacktes und auf die
einzelne Szene hin Inszeniertes hat. Das korrespondiert trefflich mit der durchaus immer ähnlichen
Sprache, die Mamet seinen Figuren in den Mund legt. Es handelt sich, gegen den ersten Anschein,
überhaupt nicht um Dialoge, sondern um Einzeiler, die zu einem fadenscheinigen Zusammenhang
gefügt werden, zuletzt aber fast immer nur um sich selbst kreisen und jede simple Semiotik, wie sie
von Steve Martin als dem größten Intriganten des Films unverfroren vertreten wird, ad absurdum
führen. Der Trug aller Mamet-Filme (und Stücke) liegt zu allererst in der Sprache, die in den
witzigsten und brillantesten Formulierungen nichts kennt als sich selbst und, deshalb ist Hitchcock
eben ein Wahlverwandter, (fast) unentrinnbare Verbindungen nur mit leeren Signifikaten eingeht,
die man auch McGuffin nennen kann. Dies ist dann auch das Thema wie die Form aller Mamet-
Werke, so unterschiedlich auf den ersten Blick ihre Operationsfelder sind. 'Haus der Spiele' sucht sich
im Motiv des (Falsch)Spielens den Ort dieses Trugs, 'Oleanna' im Sprach-Kampf der Geschlech-
ter, der als ein einziges qualvolles Nicht-Kommunizieren mit vielen Worten vorgeführt wird. Und
wer zuletzt 'Wag the Dog' gesehen hat, ein Film, der eher eine Drehbuch-Auftragsarbeit von Mamet
war, weiß ohnehin, wovon ich rede.

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