Die Matrix von Matrix


Von der verpaßten Gelegenheit einer wirklichen Revolution


Kritik von Martin Mittenmeier 

Der Mensch ist eine Erfindung, deren junges Datum
die Archäologie unsres Denkens ganz offen zeigt.
Wenn [deren] Dispositionen in Wanken gerieten,
dann kann man sehr wohl wetten,daß der Mensch
verschwindet, wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand.
 
Michel Foucault

Jetzt hat es dich wieder erwischt. Jetzt liest du aus schwarzen Strichen wieder irgendeinen Sinn heraus, bist aus der kalten Sphäre bloßer Buchstaben in die wohlige Suggestion von Welt gewechselt. Und womöglich hast du dafür deine besten Freunde verraten, wie der eine aus Matrix, der wieder an den Geschmack von Roastbeef glauben will, und nicht nur an eine neuronale Reaktion. Aber ob du willst oder nicht - ich hol' dich da wieder raus.

Daß die Welt nur ein Trugbild sei, diesen äußerst beliebten Science Fiction hat zum ersten Mal der so weltarme Kant geschrieben. Die dunklen Mächte, die für die Täuschung verantwortlich zeichnen, sind bei ihm die menschlichen Vermögen der Wahrnehmung und des Denkens. Der Mensch: gefangen in seinen eigenen Möglichkeiten der Ordnungsstiftung. Diese doch einigermaßen schockierende Ein- sicht (Keanu Reeves hätte auch damals schon kotzen können) ist seitdem einige Male umgewandelt worden: manchmal ist der Bildschirm, auf dem die Welt projiziert wird, ein Effekt kapitalistischer Produktionsweisen, manchmal das Ensemble der symbolischen Bilder, der Diskurse, der Sprache, in die man hineinerzogen wird. Die Einsicht in die Relativität der jeweiligen Weltbilder mag revolutionär genug sein - so wie Keanu Reeves am Ende es den Leuten zumuten will: keine Ahnung, was passieren wird, ich zeige euch lediglich die Bedingungen, unter denen euer Leben ein sinnvolles wird, sinnvoll genug, um es auszuhalten. Nichts dürfte er gegen den Entschluß haben, sich die Täuschung zu gönnen; daß sie ins Bewußtsein gerückt ist, könnte er schon als schönen Erfolg verbuchen. Doch geht dieses Vorhaben eine unschöne Allianz mit der Sucht nach dem Eigentlichen ein. Hinter tausend Welten die eine wirkliche?

Der Mann hat als Preßlufthammerbediener vielleicht nicht den besten Job, aber immerhin Sharon Stone als Ehefrau. Aber auch das genügt Arnold Schwarzenegger in Total Recall nicht - Geheimagent will er sein, Weltenretter gar: eine Spießerphantasie. Daß die Welt nur ein Trugbild sei - in Total Recall und Matrix kommt dieser Verdacht herunter auf den Trost für ein hoffnungslos langweiliges Leben. Die Minimalan- forderung für das Bewerbungsprofil des zur Änderung dieses Lebens Auserwählten würde wohl jeder von uns erfüllen: ein leises, aber deutliches Unbehagen muß ihn schon einmal beschlichen haben; das Gefühl, das könne im Leben doch noch nicht alles gewesen sein. Der Wille zur Überschreitung; der Wille, einmal ein ganz anderer zu werden, als der man bisher gewesen ist; das Trainingsprogramm fürvom Leben Unbefrie- digte aber wird verknüpft mit der messianischen Erlösung von der guten alten Unterdrückungs- herrschaft, sei es die Verhinderung freier Luftproduktion in Totall Recall, die mediale Manipulation in der Trueman- show oder eben die Benutzung der Menschen als Batterie in Matrix. Nicht zufällig tauchen in Matrix, wie von alten Genesis-Covern abgezeichnet, einige Repressionsphantasien der 70er Jahre wieder auf: die Verwanzung des Körpers, das wörtliche Mundtotmachen, die Gleichschaltung durch maschinelle Produktion.

Die Heldengeschichte von der Abschaffung der Matrix aber, soll sie massenhaft Spannung erzeugen, kann gar nicht anders, als sich wiederum aus einer Matrix, einem symbolischen Grundmuster zu nähren. Erstaunlicherweise geht diese Heldenbeschaffungsmatrix von der symphatischsten Figur des Films aus, die zwischen Selbstverwirklichungs- und Maschinenherrschaftsphantasie wohl den realistischsten Grund zum Aufbegehren hat. Die Mamma der heruntergekommenen Vorstädte hat keine Karrieren zu vergeben. Vielmehr ist sie gezwungen, ihren Anverwandten Überlebensstrategien in den Kuchen zu backen. In Matrix organisiert sie als Orakel den Untergrund. Der Trick ist denkbar einfach: sage dem einen, er werde den Auserwählten finden, sage der anderen, sie werde sich in ihn verlieben - beide werden sich mächtig Mühe geben. Dem, den sie dir präsentieren (Minimalanforderung siehe oben), offeriere, daß er der Gesuchte nicht sei - damit stachelst du seinen Transgressionswillen als Auflehnung gegen das angebliche Schicksal noch einmal an. Von dem so erzeugten Entscheidungsdruck, von der Initiation des Helden zum Begründer einer neuen Matrix und damit vom Untergang der alten, erzählen die meisten Mythen. Der Ausbruch des Helden aus der Matrix ist wie Trumans Selbstbefreiung aus der ahnungslos eigenen Fernsehshow bejubelter Höhepunkt des Programms. Den Mythos oder die Matrix überhaupt abschaffen zu wollen, ist nun einerseits eine gute Idee - entlastet sie doch von dem Terror, den die neuen Welten zu ihrer Durchsetzung notwendig zu haben scheinen. Woher aber dann diese Lust an Waffenmagazinen in Matrix, woher der Terror der selbsternannten Systemirritierer?

Das enervierende Pathos von der Wahrheit deutet es an: statt einfach die Matrix abzuschalten ist das Projekt zusätzlich zur Heldeninitiation mit einer weiteren starken, wenn nicht der stärksten Matrix überhaupt aufgeladen: der Idee vom Menschen. Sie ist das Ziel der ganzen revolutionären Anstrengung Daß diese Idee auch nur ein Effekt der medialen Vernetzung einer bestimmten Zeit sein könnte und damit die Phantasie von den Maschinen, die sich Menschen halten, ironischerweise tatsächlich eine moralisch verbrämte Wahrheit - diese Vermutung könnte ein klein wenig revolutionärer als die des Matrix- Untergrundes sein. (Wahrscheinlich hat der Drehbuchautor die Theorien von Lacan und Foucault auf welche Weise auch immer abgeschöpft, aber das ist eine andere Geschichte). Zumindest verbrauchte sie bedeutend weniger harte Munition. Hinter dem Trugbild steckt nun mal nicht die Offenbarung von Authentizität, sondern das Chaos, gegen das die Weltschaffungsmaßnahmen angetreten sind. Letztere als solche kenntlich zu machen, ist eine verdienstvolle Aufgabe - sie mit dem Pathos der Wahrheit oder Wirklichkeit zu verknüpfen, ist heuchlerisch. Wollte ein Film der Irritation welcher Matrix auch immer nacheifern, er müßte gegen die eigene Matrixherstellung angehen. Stattdessen verbindet sich der Hunger nach Eigentlichkeit mit einer medialen Leistungsschau. Auf daß der Spießer seinen Traum von der Welterlösungskarriere optimiere und sich die eigene Identität zur Not herbeiballere.

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