GATTACA

(R.und B: Andrew Niccol. USA 1997)

(**1/2)

10.7.1998


Leider, ich platze gleich damit raus, mehr mißlungen als aufregend. Das Hauptproblem
aller Thesenfilme bleibt ungelöst: wie setze ich mein philosophisches Problem und die
Geschichte so in ein Verhältnis, daß letztere nicht als bloßes Transportmittel erscheint,
dergestalt abgewertet wird und dadurch beides als unverbunden auseinanderklaffen läßt.
Eine notwendige (wenngleich, natürlich, nicht hinreichende) Bedingung: ich lasse die Figuren,
oder gar einen Erzähler, nicht ständig über mein Problem reden. Am besten: gar keinen Erzäh-
ler einführen, das wirkt in jedem (na gut, in fast jedem) Fall papieren und unfilmisch. Leider
hält sich der Film nicht dran. Vincent Freeman (weitere Regel: keine allzu aufdringlich spre-
chenden Namen!), die Hauptfigur, erzählt und erzählt und interpretiert zu allem Überfluß auch
noch sein Verhalten, seine Wünsche, was er tut und vorhat. Wir wollen das sehen, nicht hören.
So schlecht ist Ethan Hawke als Schauspieler auch wieder nicht, daß er nicht auch mal seinen
extradiegetischen Mund halten könnte.
Das philosophische Problem des Films ist ein ethisches und hängt sich direkt an aktuelle Dis-
kussionen zur Entwicklung der Gen-Technik (Dolly!): Was, wenn man sich seine Kinder aussu-
chen, sie genetisch optimieren kann. Die Antwort daraus, die dieser Film ist, scheint erst mal der
- ja auch ganz okaye - moralische Mainstream: das wird böse enden. Die Nicht-Optimierten
(in-valids) werden zu einer Art Sklaven der Optimierten (valids). Der Film buchstabiert das an
drei Männern aus. Vincent - sein optimierter Bruder (den Namen habe ich schon wieder verges-
sen) - Jerome Morrow, der durch einen Selbstmordversuch verkrüppelte Valide. Es stellt sich
natürlich die Frage, warum Valide Selbstmordversuche unternehmen. Wäre es nicht viel grausiger,
wenn sie wirklich  p e r f e k t  wären? Durch nichts aus der Bahn zu werfen. Der Impuls des Dreh-
buchautors, an völlige Kontrolle nicht glauben zu wollen, ist, nun ja, menschlich: aber taugt das, um
Visionen des Unmenschlichen zu entwerfen?

Vincent verwandelt sich nun in Jerome, mit Hilfe kosmetischer Tricks und Operationen, um sich
seinen Traum vom Flug zu den Sternen erfüllen zu können. Dabei stellt sich heraus, daß er tatsächlich,
dank seiner Willenskraft, viel  p e r f e k t e r  ist als all die gen-optimierten Validen um ihn herum.
Ihm gelingt, hinter der Fassade einer Identität, die dadurch aber gerade seine eigene wird, die totale
Assimilation - die Spuren der Abweichung bleiben minimal, wimpernklein. Wie schon 'Starship Troopers'
(wenn dieser auch auf seine ganz andere, sehr verwirrende, postmodern-faschistische Weise) propagiert
der Film die absolute Leistungsbereitschaft. Vincent denkt gar nicht daran, irgendwas zu sabotieren, er
betreibt die Mimikry an den Geist seiner Gegner - im Geist dieser Gegner. Ganz so, wie er sich auf die Schwimmwettkämpfe mit seinem Bruder einläßt: das ist die optisch kitschige, inhaltlich überflüssige Alle-
gorie (oder eher Mise-en-abîme) der ganzen Geschichte als Brudergeschichte.
Dazu paßt dann auch, daß Jerome, der invalidierte Valide, am Ende sterben muß im Autodafé buch-
stäblicher Art. Vincent dagegen fliegt zum Titan. Der Film läßt ihn sagen, er sei auf Erden, in dieser Ge-
sellschaft, nicht zuhause gewesen. Das ist ein grotesker Irrtum: Vincent ist ein Erfolgsmodell. Und der
Film redet diesem Darwinismus, ganz gegen seine Absicht, das Wort. Denn sein offenes Pathos ist ein
anderes (und natürlich wird's auch überdeutlich ausgesprochen): das des kleinen Jungen, der seinen ver-
rückten Traum durchsetzen will, against all odds. Aber diese Geschichte erzählt 'Contact' besser - und
ist konsequent darin, daß die Erlösung, die Jodie Foster zuteil wird, eine private bleibt. Hier aber gibt's
keine Erlösung, hier gibt es nur eine Karrierre, auf die Vincents Vorgesetzter (Gore Vidal, der der schein-
baren Widerständigkeit dieses Films offenbar auf den Leim gegangen ist) allen Grund hätte, stolz zu sein
- der Arzt übrigens ist klug genug, das so erfolgreiche Täuschungsmanöver zu belohnen.
Die Optik des Films wird viel gelobt. Vor allem aber merkt man, daß Krysztof Kieslowskis Kamera-
mann immer noch mit Farbfiltern umgehen kann (das ganze ist in Braun-Gelb-Sepia-Tönen gehalten) und
daß mit Weitwinkel aufgenommene Räume immer noch unheimlich wirken. Die Architektur ist geschmack-
volle Moderne. Schön, mal wieder Mies-van-der-Rohe-Stühle im Kino zu sehen. Die Musik Michael Nymans einschmeichelnder Klassik-Pop - der aber nie den entscheidenden Kontrast in Bildern und Erzählung findet,
der ihn bei Peter Greenaway so unwiderstehlich machte (und daß die Besetzung neuerdings so hollywood-
konform streicherlastig ist, läßt die Grenze zum Kitsch endgültig überschritten sein).
Die Liebesgeschichte ist leider komplett überflüssig und man kann dazu nur sagen, daß, hätten sich Ethan
Hawke und Uma Thurman Gattaca fürs erste Date ausgesucht, es nichts geworden wäre mit den beiden.
Gratulation trotzdem zur Geburt der Tochter.

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