Das Problem der Pizza-mit-allem-drauf ist ein doppeltes: zum einen findet sich immer was
unter all den Zutaten, das man nicht mag, und zum anderen ist die Idee als solche ein klares
Zeugnis schlechten Geschmacks. Manchmal geht das Konzept, das grundsätzlich das der
Blockbuster ist, trotzdem auf, man kennt die Wonnen des Junk Food, in der Regel aber
wird einem leicht übel davon. 'Die Mumie' ist nun keine der Ausnahmen von dieser Regel.
Von größerem Interesse als eine Liste der Zutaten ist daher die Frage nach der Struktur des
Films, oder genauer: nach dem neuesten Stand des Umgangs mit den Strukturen mythischen
Erzählens.
Das grundlegende Paradox des Erzählens liegt im Zugleich von Konvention und Spezifika.
Die Muster funktionierender Narrative sind, wie strukturale Analyse seit Propp nicht müde
wird herauszufinden, die immer ähnlichen und nämlichen; nichts also leichter als sie einfach
zu verwenden, was alle auf epische Größe angelegten Filme dann tun, und mitunter mit
großem Erfolg. Des Archaischen oder Konventionellen oder Topischen der immergleichen
Muster wegen kann man dann auf den Gedanken kommen, daß die Spezifika (Schiff, 1912,
Eisberg, Leonardo - oder Wüste, Mumie, Ägypten, Brendan) ganz gleich werden ange-
sichts von etwas, das dann gerne allgemein-menschlich heißt. Andererseits ist leicht ersicht-
lich, daß das Mythische Wirkung erlangen kann nur über seine je spezifischen Reformulie-
rungen, die den jeweils neueren Stand des gegenwärtigen Umgangs mit den Mythen anzei-
gen.
In 'Titanic' aber wie in 'Die Mumie' sind die Spezifika des Plots von versatzstückhafter Aus-
tauschbarkeit, Vehikel für Spezifisches, nämlich Aktuelles, anderer Art. Der autoreferenti-
elle Clou von 'Die Mumie' ist, daß der Film in einer möglichen allegorischen Lesart genau
davon handelt, wie uralte ('mythische') Muster jederzeit reanimierbar sind. Er macht dabei
einigen Wirbel um die Gefährlichkeit der Konsequenzen dieses Verfahrens, vielleicht sollte
man das aber als Beschreibung der Gefahr der Allegorie als solcher sehen: in der Ausstellung
des Funktionierens von Mythen macht sie ihre Wirksamkeit durch Aufforderung zur Reflexion
zunichte, potentiell wenigstens. Andererseits ist die reflektierende Denkhaltung in Form von
Kenntnis über Genre-Konventionen in die neusten Genre-Stücke spätestens seit Scream als
besondere Form postmoderner Ironie bereits hereingenommen. Das gilt auch für 'Die Mumie',
in der die Gefahr der Zitierbarkeit (als klarerweise nicht-hermeneutische, magische 'Lektüre'
aus dem Buch des Bösen) durch die Gegen-Zitation (aus dem goldenen Gegen-Buch des
Guten) gebannt und das ganze durch Narrativierung so spannend wie zugleich in seinem alle-
gorischen Charakter wieder unsichtbar wird. Der Kampf von Zauber und Gegenzauber macht
bereits eine Geschichte, in die die weiteren Versatzstücke (Liebespaar, ergänzt um schwulen
Sidekick, brito-amerikanische Witze, Queste, Moral mit anti-materialistischer Stoßrichtung, die
neusten und allerneusten CGI-Effekte etc. etc., das ist der Punkt, an dem alles auf die Pizza drauf-
geschichtet wird, und zwar, in diesem Fall, bis einem übel ist) eingespeist werden können.
Das Spezifische der Neuformulierung liegt also nicht in den Besonderheiten des jeweiligen
Plots, sondern im Umgang mit dem Paradox der Gleichzeitigkeit von narrativer Wirkmäch-
tigkeit der Geschichte (vulgo: Spannung) und der Einsicht in die Machbarkeit des Ganzen.
Ironie ist der Name für einen Umgang damit, der beides fein (oder auch eher grob) austariert
und das Symptom für einen Stand der Rezeptionshaltung, der Unschuld/Naivität des Involviert-
seins mit subtiler Kenntnis der Wirkungsweisen und Wendungen des Genres verbindet.

15.6.1999