out of sight

 

R.: Steven Soderbergh (USA 1998)

(****1/2)


Es gibt ja inzwischen geradezu das eigene Genre der Elmore-Leonard-
Verfilmungen; es hat es eigentlich schon gegeben, bevor man das so richtig
wahrgenommen hat, nicht nur, weil es eine beeindruckende Zahl von verfilm-
ten Leonard-Romanen gegeben hat, und zwar seit den sechziger Jahren (Ri-
chard Fleischers 'Mr. Majestyk' von 1972 mit Charles Bronson dürfte der beste
dieser nicht immer sehr gelungenen Filme sein), sondern weil alle Filme Taran-
tinos die Lektionen Leonards gelernt hatten, bevor er sich mit Jackie Brown an
eine tatsächliche Verfilmung von Leonards Rum Punch gemacht hat.
Dieses Genre zeichnet sich aus druch erzählerische Intelligenz und Raffinesse,
bis hin zu Tücke und Selbstreflexivität. Es gibt ein paar Regeln, die Elmore Leonard
anscheinend im Schlaf beherrscht. Zum einen versteht er es meistens, Unwahrschein-
liches durch narrative Behendigkeit zu plausibilisieren (durch Rückblenden genauso
wie durch Verschweigen, Auslassen). Psychologie bleibt ihm immer das entscheiden-
de Wenig wichtiger als die Konstruktion des plots, so daß die überraschenden Wen-
dungen im nachhinein eher den Figuren Tiefe geben als sie unglaubwürdig zu machen -
oder zu bloßen Spielsteinen, wie das bei 'Wild Things' der Fall ist. Man darf das daher
auch nicht so angehen wie Barry Sonnenfeld in 'Schnappt Shorty', der seine Figuren
und die Geschichte im Erzählton nicht ernstnimmt und eher farcenhaft anlegt. Es ist ge-
rade nicht der bloße Spaß an den Volten und Pointen, oder gar an der Gewalt, der Le-
onards Qualität ausmacht. Was ihn auszeichnet, ist die aller Virtuosität zugrundeliegende
Humanität, das Interesse an seinen Verlierergestalten, der unsentimentale Blick auf sie.
Da liegt denn auch der große Unterschied zu Tarantino, dessen Splatterseite wenigstens
vor Jackie Brown nicht zu übersehen war.
Barry Sonnenfeld hat nun auch 'Out of Sight' produziert. Regie führt Steven Soderbergh,
der seit 'Sex, Lies and Videotapes' keinen wirklichen Erfolg mehr hatte (wer hat zuletzt
'The Underneath' gesehen? Ich nicht!). Überraschenderweise macht er einfach alles richtig,
hat einen erzählerisch virtuosen, zutiefst humanen Film gemacht, der um das Zentrum einer
fabelhaften Liebesgeschichte kreist, die in die kriminalgenretypischen Versatzstücke aus Geld
und Gewalt durchaus ungewöhnlich eingewoben ist. Jennifer Lopez ist so klug und stark wie
die meisten Heldinnen bei Leonard (unwillkürlich erinnert sie an Pam Grier in 'Jackie Brown').
Trotz dieser Betonung der unmöglichen Liebe zwischen dem Kriminellen und der Gesetzeshü-
terin stimmt das Tempo, stimmt auch die Komplexität des Verwebens der Handlungsfäden. Eine
wunderbare Idee sind die freeze frames, die den Film auf aparte Weise zäsurieren. Großartig die
Musik. Exzellent ist die Liebesszene, der Höhepunkt des Films, deren Pathos sich zum Teil dem
klugen Buch verdankt; im wesentlichen aber ist sie Soderberghs Verdienst und schlichtweg große
Filmkunst, in der Montage, mise-en-scène, im Überlagern von Bild und Dialog-und Musikton.
Auf die Idee des diskontinuierlichen Schnitts muß man erst mal kommen; zu allem Überfluß ist sie
nicht nur in sich großartig, sondern paßt auch wunderbar zum Leonardschen, ebenfalls in jeder
Hinsicht diskontinuierlichen Erzählstil. Seit Peckinpah hat es diese Kunst des Schnitts im amerika-
nischen Kino nicht mehr gegeben. Natürlich fällt das, was nach dieser Szene, die wiederum auf
ihrem Höhepunkt, der nicht der sexuelle ist, in ein freeze frame aufgelöst, dagegen ab. Aber das
muß so sein. Die sanft ironische Schlußpointe, die alle happy endings kennt und mit ihnen spielt,
krönt einen großen Film.

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