Clint Eastwood ist der derzeit interessanteste Fall eines Stars, Musterbeispiel und Sonder-
fall zugleich. Stardom als nachromantische kollektive Konstruktion von Autorschaft, eine
immer nur partiell beherrschbare Identität (auf Schauspielerseite: durch Rollenauswahl und
Darstellungsmittel; auf Zuschauerseite: durch Identifikationen und Konjunkturen), läßt sich
an Clint Eastwood wunderbar demonstrieren, der im Laufe seiner langen, durch diverse
Auf und Abs nur noch mustergültigeren Karriere doch immer ein Star geblieben ist. Und
das heißt: ein Schauspieler, der jeden seiner Filme dazu verurteilt, in erster Linie ein East-
wood-Film zu sein.
Ungewöhnlich, wenn nicht einmalig (vielleicht fiele einem noch Woody Allen ein) derzeit,
ist die so konsequente wie überraschungsreiche Arbeit an der Figur, die 'Eastwood' durch
alle Rollennamen und Filmgenres hindurch weniger verkörpert als entwirft. Die Identität
dieser Figur ist plural in doppelter Hinsicht: es gibt die Variation (des schweigsamen Helden
im Western oder in der Großstadt; in gerechter oder nicht so gerechter Mission; psycholo-
gisch oder mythisch; mehr heroisch oder mehr ironisch etc.) wie auch die Entwicklung, die
entlang des Alterns der Eastwood-Helden beschrieben wird. Spätestens mit 'Unforgiven' ist
das Stadium des Alterswerks erreicht. Erstaunlich ist, wie konsequent Eastwood (als Schau-
spieler und Regisseur) an der Figur weiterschreibt.
Der Protagonist von 'True Crime' ist Variation und Weiterentwicklung des Protagonisten
von 'Unforgiven'. Und wäre nicht zu denken ohne den bisher düstersten Entwurf in 'Der
Wolf hetzt die Meute'. Die Helden beider Filme stehen am Abgrund des völligen Versagens,
des Bankrotts ihrer Ansprüche auf Anerkennung wie Moral, privat wie beruflich. In 'True
Crime' sind beide Ansprüche freilich auf bedenkliche Weise miteinander verknüpft - das
berufliche Überleben und das Bestehenkönnen vor sich selbst. Und so geht es, in gewisser
Weise, um mehr als nur einen Fall auf Leben und Tod. Der Erlösung harren der zum Tode
Verurteilte und der Reporter, deren Schicksale in diesem Film miteinander verknüpft sind.
Die Parallelmontage ist dabei das grundlegende Prinzip des Films, zur wirklichen Begegnung
der beiden Hauptfiguren kommt es nur zwei mal, die Zuspitzung auf den seidenen Faden hin,
an dem zuletzt beider Leben hängt, geschieht dabei in ganz meisterhafter Seelenruhe. Proble-
matisch wird diese Kaltschnäuzigkeit allerdings genau dann, wenn der Moment der totalen
Auslieferung des Opfers im Hinrichtungsraum in einer klassischen Thriller-Montage im Versuch
der Rettung in letzter Sekunde zum Moment der größten narrativen Spannung des ganzen Films
wird.
In der Auseinandersetzung mit der Todesstrafe, die der Film eben auch ist, schlägt er etwa
'Dead Man Walking' um Längen. Während das Argument gegen die Todesstrafe dort über die
gräßlich christliche Idee der Reue und Sühne durch Reue des schuldig Verurteilten lief (und also
gar nicht wirklich gegen die Todesstrafe, der der nicht bereuende im Umkehrschluß wohl gerech-
terweise ausgeliefert wird), ist das Argument hier das der Fehlbarkeit, mehr noch: Voreingenom-
menheit der Gerichte, die Möglichkeit, daß, wie hier, ein Unschuldiger hingerichtet wird. Alles
Predigen verbietet sich der Film dabei, aber das versteht sich von selbst, denn gepredigt wurde
in Eastwood-Filmen noch nie. Immerhin spielt 'True Crime' Versöhnung als mögliches Ende
gegen die sonst typische Gnadenlosigkeit aus. Strukturell aber bleibt die Eastwood-Figur die
Personifikation entschlossener Blindwütigkeit, mit der in diesen Filmen die Dinge ihren Lauf
nehmen. Nicht die Rache diesmal, sondern die Erlösung. Bis auf weiteres.

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