velvet goldmine

(r: todd haynes usa 1998)

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Der Film beginnt im Dublin des 19. Jahrhunderts und zeigt, wie ein Ufo den kleinen Oscar Wilde
einer Zeit in die Wiege legt, die auf ihn nicht gefaßt sein konnte. Und doch hat die Genealogie des
Dandys, die der Film von der Epoche des Glam Rock aus konstruiert, hier ihren Ausgangspunkt.
Mit diesem Auftakt hat diese Konstruktion alle Ironie aber schon hinter sich. Fortan wird freudig,
nicht ernsthaft, aber auch nicht ironisch, nur noch zitiert, vermischt, ineinander geblendet. Freilich
bekommt jene Form des Konstruierens von Genealogien, wie sie Greil Marcus am Beispiel von
Punk und Dada (äußerst unironisch) unternommen hat, ihre versteckte Hommage. 'Lipstick Traces'
ist der Name von Greil Marcus' Buch. Es ist auch der Titel von Brian Slades, des Helden dieses
Films, erster LP.

Lipstick Traces. Ganz zu Beginn, gleich nach der Oscar-Wilde-Episode, sehen wir in Großaufnahme
einen Mund, der rot geschminkt wird, man fragt sich, ob das Blut ist, begreift aber sogleich, daß es
das nicht sein kann. Genau darum geht es dem Film: kein Blut, nur Schminke. Ebenfalls zu Beginn
sieht man Brian Slade tot auf der Bühne liegen, blutend, niedergestreckt von einem Attentäter, wie, in
einer Zeit, die noch in der Zukunft liegt, John Lennon (das hieße aber ein lineares Zeitbewußtsein un-
terstellen, das der Film explizit verweigert). Nur ist nichts daran echt. Der Mord ist inszeniert, das
ganze ein PR-Gag, das Blut nur Schminke, der ultimative Hoax als Gipfel- und Endpunkt einer Epo-
che, die vom Film aber nicht, Realismus erstrebend gar, heraufbeschworen wird, einer Epoche, so
zeigt der Film, die nicht mehr enden kann. So gelingt es dem Film sogar, in der Figur des Curtis Wild,
in der Ewan McGregor zeigt, was er kann (eine Menge), Iggy Pop, Lou Reed - das paßt ja noch
mit der üblichen Geschichtsschreibung zusammen - und Kurt Cobain zu einer neuen Hieroglyphe des
Ahistorischen übereinanderzuschieben. Die damit verbundene These ist gewiß nicht der stupide
Banalsoziologismus, daß alle Jugendbewegungen in der einen selben Rebellionsgeste aufgehen.
Vielmehr geht es um die Zitathaftigkeit all dieser Gesten, um die Unmöglichkeit einer Authentizität
(sogar des Selbstmords, sogar des Mords), die nicht schon nur Zitat von Authentizität wäre. Das
ist die Lektion, die der Glamrock die Popkultur gelehrt hat (oder haben sollte). Seither läßt sich
Popkultur gar nicht mehr anders denken. Was freilich nichts daran ändert, daß ein paar gitarren-
zupfende Pennäler immer wieder an ihre eigenen leeren Aufrichtigkeitsgesten glauben.

Das Schöne ist, daß der Film seine Thesen, etwa auch die zum dekonstruktiven Potential der Gen-
der-Inszenierungen (anders als Todd Haynes in seinen Interviews, aber das ist ok, muß einen auch
nicht interessieren) nicht vor sich herträgt, sondern filmisch schlüssig in grandioser Mise-en-Scène
und flüssiger Vermischung von realen, surrealen und ambivalent dazischen stehenden Passagen zu
inszenieren versteht. Das narrative Vorbild, dessen er sich bedient, ist die Erzählstruktur von Citizen
Kane und das ist nun wirklich hoch gegriffen, und funktioniert doch (meistens). Nicht so recht funkti-
oniert dabei die Journalisten-Figur, die neben der (durchaus spannenden) Suche nach Geschichte und,
recht verblüffender, aber völlig schlüssiger, Gegenwart von Brian Slade ihren eigenen Prozeß des
Erwachsenwerdens noch einmal durchläuft. Das ist ein bißchen zu viel der Komplexierungen und
kommt nicht wirklich zu einem überzeugenden Ergebnis, was die Analyse von Identifikationsmustern
innerhalb der so identitätsauflösenden wie Identifikationen zu bloßen Zitaten verdammenden Struktur
des Glamrock betrifft. Kein perfekter Film also, aber ein sehr lehrreicher, kluger. Der einen zudem
verführt, noch stundenlang Lou Reed, Bowie, Roxy Music zu hören. Mit etwas anderen Ohren nun.

P.S.: Wer die Gelegenheit hat, Timothy Greenfield-Sanders' 'Lou Reed: Rock'n'Roll Heart' zu sehen,
sollte das tun. Eine schamlose Hommage an Lou Reed. Er hat sie aber, wovon man sich in dem Film
überzeugen kann, verdient.

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