liebe das leben

(R: Erick Zonca F 1998)

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Wahrheitskino, Realismuskino des einfachen und unverwandten Blicks der besten Sorte.
Wir folgen Isa, die einfach da ist, in Lille vor unseren Augen auftaucht, und wir folgen ihr
bis zum Ende des Films. Sie ist ohne Heimat, hat hin und wieder angedeutete Geschichten
hinter sich, aber sie beginnt ihr Leben neu in Lille, auf der Suche nach Geld und Freunden.
Besser kann ein Film nicht anfangen und besser kann ein solcher Film, der sich auf den
Alltag seiner Figuren einlassen will, auch nicht weitergehen als es dieser tut. Er bleibt Isa auf
den Fersen, kommt ihr nahe, aber selten per close-up zu nahe, stets mit unaufdringlich authen-
tizitätssugerrierender Handkamera.

Isa knüpft sich (oder näht sich; sie landet sogleich in einer Nähfabrik) aus dem Nichts, mit
dem sie begonnen hat, ein Netz sozialer Beziehungen, zuerst zu Marie. Eine wunderbare
Freundschaft entwickelt sich zwischen der durch nichts unterzukriegenden Isa und der
spröden, ihr Inneres nie aufdeckenden Marie. Madonna und Lauren Bacall, das sind die
treffend gewählten Vorbilder, die sie bei einer Bewerbung in einer Filmkneipe wählen. Isa
nimmt den Job als rollschuhlaufende Werbefigur an, Marie verweigert sich, in der stolzen
Hoffnung, sich diesen Luxus leisten zu können. Stolz, Hoffnung und Verweigerung sind das,
was Marie bestimmt. Dem Pragmatismus des alltäglichen Durchwurstelns und stoischen Er-
tragens von Demütigungen, der Isa gerade Kraft gibt, statt sie ihr in der Sehnsucht nach mehr
zu nehmen, stellt Marie schroffe Unvernunft entgegen und muß durch ihre Inkonsequenz nur
noch schlimmere Demütigungen ertragen. Sie schläft, aus Gleichgültigkeit und wohl auch des
Geldes wegen, mit dem dicken und netten Charlie, während Marie, die hier ihre Prinzipien hat,
sich Fredo verweigert. Die Wahrheit ist, daß Marie von der Erlösung träumt, vom Märchen-
prinzen, der sie wegholt aus ihrer Welt. Dafür sieht sie nicht, was sie haben könnte. Sie ver-
liert Isa, als sie sich einen der übelsten Aufreißer der Stadt zum Prinzen zurechtträumt, wider
alle Vernunft und bessere Erkenntnis.

Dabei ist Isa ein wirklicher Engel, ein Mensch, der immer gibt und nichts zurück erwartet.
Täglich besucht sie ein Mädchen, das im Koma liegt, das sie gar nicht kennt. Sie liest ihr Ta-
gebuch und führt es weiter, übernimmt Verantwortung und rettet sie so. Dank will sie keinen.
Auch nicht von Marie, mit deren selbstzerstörerischer Torheit sie mehr Geduld hat, als diese
verdient. Zuletzt helfen auch Isas beste Wünsche nicht mehr. Marie war nicht zu helfen.

Der Film macht daraus kein pathetisches Ende. Das Leben geht weiter, Isa in der nächsten
Fabrik, die Kamera fährt an den arbeitenden Frauen vorüber, bleibt an einer hängen. Mit
diesem Bild endet der Film. Isa wird sich mit dieser Frau anfreunden, ihr Leben wird mal
wieder neu anfangen. Die Grundhaltung des Films ist lakonischer Existentialismus, aber er
wertet nicht und wenn er irgendwelche Botschaften hat, dann keine, die sich in Worten re-
sümieren ließen.

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seit dem 25.10.1998