Jump Cut Kurzkritiken

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Kurz gesagt

Von Ekkehard Knörer

Jim Jarmusch: Broken Flowers (USA 2005)

Von Frau zu Frau aus der Vergangenheit trägt Bill Murray sein Gesicht spazieren. Die Leere darin ist freilich auf nichts gestellt und von keiner glaubwürdigen Erfahrung gestützt. Ein belangloser Reigen der Klischees, bei dem hier mal und da mal eine hübsche Idee aufblitzt und eine schöne Musik anklingt. Die Ideen vom Verlieren im Leben bleiben ohne scharfen Umriss, die Figuren von Verlierern im Leben ohne Substanz und ohne Halt als aus der Luft gegriffene Behauptungen. Auch eine Art Ausverkauf.

Timur Bekmambetov: Wächter der Nacht (Russland 2005)

Jetzt hätte ich fast UdSSR geschrieben, bei der Herkunftslandangabe. Dabei ist das doch der Stolz des neuen Russland, wo man jetzt auch Fantasy kann und Spezialeffekte und zunächst macht das sogar Spaß wegen des Humors, der die Pomposität erst mal zu untergraben scheint. Irgendwie aber kriecht sie dann doch wieder hervor, die Pomposität, und fuhrwerkt ohne rechtes Ziel in einer Geschichte herum, die so allerlei von überall klaut und daraus ein Selbstbewusstsein bezieht, dem man zuletzt nur noch halb betäubt und halb gelähmt zusieht, obwohl das so schlimm alles nicht ist – es sei denn als Zukunft des russischen Kinos.

Jang Kang-ye: Tae Guk Ki (Korea 2003)

Musterexemplar des neuen koreanischen Blockbusters, der sehr viel lauter ist als gut. Nationalkriegsgeschichte als Brüderdrama, das sich viel darauf einbildet, vor keinem abgesäbelten Bein und keiner abgehackten Rübe das Kameraauge zu verschließen. Wie mancher Antikriegsfilm kennt dieser eine verdächtige Lust am Rasen der Waffen und der Krieger. An technischer Kompetenz herrscht, wie meist in Korea, kein Mangel. Der Erfolg aber ist erkauft mit beträchtlichem Mangel an Denkanstrengung.

Hong Sang-soo: Woman is the Future of Man (Korea 2004)

Zwei läppische Männer begegnen der Frau ein weiteres Mal, der sie früher schon nicht gut getan haben. Wieder tun sie ihr nicht gut. Hong Sang-soo macht daraus deutlicher als in den früheren Filmen eine Komödie, aber von Fröhlichkeit keine Spur. Es fängt alles nur bitterer an und geht bitterer aus als bisher. Wie stets ist das voll großartiger Details, von einer Frau an der Bushaltestelle zur Mise-en-abime der Lächerlichkeit der Möchtegernkünstler, denen kein Trick zu schade ist, eine Frau ins Bett zu kriegen. Natürlich scheitern sie, natürlich forciert Hong dabei nichts. Seine Schnitte sind sanft und tief wie vom Skalpell geführt.

Joel Schumacher: Phantom of the Opera (USA 2004)

Es gibt genau einen gelungenen Moment: Wenn mit großem Getöse die Gegenwart sich in farbige Vergangenheit auflöst. Aber auch da fährt Schumacher schon mit viel zu vielen Schnitten und Perspektivwechseln dazwischen. Als Regisseur hat er das Äquivalent jener Sprachstörung, die darin besteht, dass einer unaufhörlich quasselt, ohne irgendetwas Sinnvolles zu sagen. Das sieht nur auf den oberflächlichsten Blick nach einem Stil aus. Aber es macht einen krank – und in dieser Hinsicht ist es der Musik von Andrew Lloyd Webber wieder kongenial. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass es vom moral-ästhetisch Verrotteten, das das Kino bereithält, in diesem Film mehr gibt als in den meisten.

Negresco (Klaus Lemke, D 1967)

Großes Kino in Handarbeit: schöne Frauen (sich räkelnd), teure Autos (kurvend), die Cote d'Azur (sonnig) und am Ende hat der spätere Fassbinder-Produzent Peter Berling  (sein Erstling) auch noch den Hubschrauber besorgt, für ein fabelhaft unfurioses Finale. Den Krimiplot um eine Erpressung, einen Fotografen, gestohlene Bilder und schwer durchschaubare Pläne gab es dafür second hand umsonst. Es lassen sich die Chuzpe bewundern, der nicht ganz unfreiwillige Dilettantismus bestaunen, mit denen Lemke sein deutlich untermotorisiertes Starlet-Vehikel (Ira von Fürstenberg, Eva Renzi) die eine oder andere Runde auf dem Parcours des europäischen Film-Jetset drehen lässt. Als mit den bescheidenen Mitteln, die zur Verfügung standen, nachgebauter Traum vom großen Kino verliert "Negresco" nie den gewissen Charme des Proletarischen. Auf eher vertrackte Weise demonstriert der Film, dass er das, was er nie sein könnte, trotzdem auch gar nicht sein will, dass es ja eine Lüge wäre, die Klasse, um die es hier geht, nicht zu verfehlen, und dass natürlich gerade die Produktionen, die die Klasse haben, die "Negresco" so selbstbewusst verfehlt, im Kern verlogen sind.

Pulp (Mike Hodges, GB 1972)

Mike Hodges ist ein wirklich eigensinniger Regisseur, der sich stets merkwürdige Dinge vornimmt. Vom höchst präzisen und deprimierenden "Get Carter" bis zum undurchsichtigen "Croupier", die "Flash Gordon"-Verfilmung nicht zu vergessen oder "Black Rainbow", in dem Rosanna Arquette ein Medium spielt. Dies hier ist die lustvolle De- und Remontage des Pulp-Genres, in dem Hodges sich offenkundig bestens auskennt. Der Plot, den er in zerlegender Absicht nicht Ernst nimmt, dreht sich um einen gealterten Hollywood-Star und Mafiosi-Darsteller (Mickey Rooney, großartigerweise), der sich nach Europa zurückgezogen hat und um einen Pulp-Autor (Michael Caine, großartigerweise), der als Ghostwriter dessen Biografie schreiben soll. Allerhand Leichen und schöne Frauen kommen dazwischen. All das wird von Caine staubtrocken kommentiert, à la Richard Prather, von dem das alles durchaus stammen könnte - nur dass der die Komik aus dem Inneren des Genres entwickelt, während Hodges sich diesem von außen nähert, ohne Respekt, wenn auch mit jener Liebe, die sich nicht unbedingt im Detail, sehr wohl aber im Ganzen zeigt, das nicht mehr ist als ein Witz, aber ein sehr kluger.

Majboor (Ravi Tandon, Indien 1974)

Amitabh Bachchan spielt Ravi Khanna, einen perfekten Sohn und Bruder, der im Reisebüro denen, die sie sich leisten können, die Tickets in die weite Welt verkauft. Auch einem älteren Herrn mit einem später wichtig werdenen Klunker am Finger, der kurz darauf ums Leben kommt. Der damit verbundenen Erpressung verdächtig ist Ravi. Bald darauf fällt ihm mitten auf der Straße ein Aquarium aus den Händen. Er ist natürlich unschuldig, aber todkrank: Hirntumor. Der ausgesetzten Belohnung halber (für die Familie) denunziert er sich anonym - es ist ja nun egal - als Täter, wird gefasst und zum Tode verurteilt. Bevor er an den Strang gerät, kommt es jedoch zur Operation in letzter Minute und zur Heilung. Nun muss er seine Unschuld beweisen und er tut dies, wie Dr. Kimble, auf der Flucht. Die Spur führt zu einem Kleinkriminellen namens Michael und weiter in die nähere Verwandtschaft des Opfers. Ein Werk aus dem sehr zivilen Nebenstrang der "Angry Young Man"-Phase Bachchans, das so kompetent gemacht wie sehr vorhersehbar ausgefallen ist. Schön das interior design in Eastmancolor.

Mission Kashmir (Vinhu Vinod Chopra, Indien 2000)

Slicker Politthriller in der Mani-Ratnam-Nachfolge. Mann in kaschmirischen Polizeidiensten tötet Eltern und Schwester eines Kindes, das er darauf an Sohnes Statt annimmt. Als der Junge die Vorgeschichte begreift, schwört er ewige Rache und kehrt zehn Jahre später als islamistischer Terrorist zurück, in Diensten eines wahrhaft finsteren, mit Stirntuch und Kajal bewehrten Burschen. Eine Liebesgeschichte kommt dazu und wird sogleich in den Terrorismus-Plot hineingenommen. Vieles wird unnötig dick aufgetragen (ein mit Kajal geschriebenes Drehbuch), gerade die aber auch gar nichts auslassende Verquickung von Privatem und Politischem ist sehr unerquicklich. Als Schaumkrönchen auf dem Kitsch schwimmt die auch nicht unterbetonte Botschaft religiöser Toleranz - womit sich freilich verträgt, dass der Polizist ohne Skrupel wehrlose Islamisten totschießen darf. Wahrhaft erstaunlich ist allerdings genau eine Szene, in der höchst beschwingt die Unschuldigste von allen zu Tode kommt. Das geht heftig gegen den Strich des Erwartbaren. Vom Rest wird man das, allen Schauwerten zum Trotz, nicht sagen können.

Dawn of the Dead (Zak Snyder, USA 2004)

Sehr schön der Moment, wenn im Simultan-Kommentar der Regisseur des Films feststellt: "Schon seltsam, jetzt sitzen wir hier, morgen startet der Film in den Kinos. Keiner weiß, was daraus wird. Wenn wir Pech haben, werden ein paar Leute die DVD sehen und uns hier hören und denken: Mann, die reden da und glauben auch noch, dass ihr Film was taugt." Tatsächlich aber taugt er was und die Kritik und das Publikum haben das auch so gesehen. Man weiß, was Zombiefilme im Register des Kulturkritischen zu bedeuten haben - genau darauf legt der Film aber keinen gesteigerten Wert. Die größere Kunst ist es heute ja, diese Plots straight durchzuziehen, ohne die alten Klischees nur zu reproduzieren. Das gelingt, nicht zuletzt dank Indie-Ikone Sarah Polley, deren Entschlossenheit, an diesen Film und die Geschichte um eine Handvoll Überlebende, die sich in einer Mall verschanzen, zu glauben, ansteckend ist. Das Großartigste ist im übrigen das Ende, das den bitteren Fortgang in Video-Bild- und Abspannfetzen zerhäckselt.

Kurz gesagt 2

The Hitch-Hiker (Ida Lupino, USA 1952)

Der glückliche Fall, in dem die Beschränktheit der Mittel zur Reduktion aufs Wesentliche führt. Zwei Männer werden von einem dritten gekidnappt. Dieser Dritte ist ein Mörder und Räuber, der mit Freude am Sadismus das Recht des Stärkeren verficht. Auf wenig mehr als diese Konstellation lässt der Film sich ein, die Verfolgung durch die Polizei gib der Flucht Struktur, gewinnt aber kaum eigenes Gewicht. In der mexikanischen Wüste verdichten sich die Beziehungen zu Blicken eher als Dialogen - unheimlich das Auge des Kidnappers, das auch im Schlaf sich nicht schließt. Film-Noir-Existenzialismus, der weniger Worte bedarf, weil alles, was zu sagen wäre, in die Narration und die Präzision, mit der die Kamera Figuren, Landschaft und Beziehungen in Szene setzt, verlegt ist.

Do bigha Zarim (Bimal Roy, Indien 1953)

Der Stil, der Ton der Filme von Ritwik Gathak und Satyajit Ray sind hier schon angedeutet. Der Neorealismus ist ein unverkennbarer Einfluss in dieser Geschichte um eine Familie, die darum kämpft, ihren Grund und Boden nicht an einen rücksichtslosen Kapitalisten zu verlieren. Vater und Sohn machen sich, auf der Suche nach Arbeit und Geld, auf nach Kalkutta, von ihren Fährnissen in der Großstadt erzählt Roy - und viel davon hat er von Rossellini und de Sica gelernt. Auch im Plot, der von kleinen großen Tragödien im Alltag erzählt, gibt es deutliche Anklänge. Für indische Verhältnisse sehr ungewöhnlich ist der gedämpfte Ton; die Gesangsszenen fügen sich nahtlos ins elegante Understatement der Szenerie. Was hier sanft ineinandergeht, wird Ghatak später in seinem in manchen Motiven ähnlichen Meisterwerk "Der verborgene Stern" harsch auseinander reißen und gegeneinander setzen.

The Romantic Englishwoman (Joseph Losey, GB ..)

Die Geschichte eines Parasiten. Helmut Berger nistet sich ein, im Haus, in der Ehe des Schriftstellers Louis Fielding und keiner kann sagen, wie es genau zugeht. Begonnen hat alles in Baden-Baden, die Ehefrau (Glenda Jackson) auf der Flucht zu sich selbst und was im Lift geschah, wird zum Kern einer Konstellation, auf den alle, die Bilder auch, immer wieder zurückkommen. Draufgepfropft auf diesen mitunter faszinierenden Kern sind Thriller-Andeutungen, Selbstreflexives à la "French Lieutenants's Lover" (Drehbuch hier wie da: Tom Stoppard). Zuspitzungen ins Absurde finden statt, dazwischen kommen Figuren ins Bild, die ihm wenig hinzuzufügen haben. Etwas ratlos steht man vor einem Film, der kunstvoll Lücken lässt, hinter denen man aber zuletzt keine Tiefen vermutet, Untiefen eher.

Carrie (Brian De Palma, USA 1977)

Brian De Palma, obwohl er keine Scheu vor Äußerlichkeiten kennt, treibt die Geschichte einer Teenagerin, die aus den Fängen religöser Prüderie gerettet werden muss, so lange ins Innere einer leicht unheimlichen High-School-Erzählung, dass der spökenkiekerische Spuk in den Momenten, auf die er zurückgedrängt ist, beinahe überflüssig erscheint. Fremdkörper im Ton sind Szenen klamaukiger Komik und zuletzt erfolgt als höchst beeindruckender Schaueffekt doch noch der Ausbruch reinen Horrors. Man möchte es nicht missen, so großartig ist es. Wer das Bruchlose sucht, hat hier kein Glück. Die Brüche aber und die Mehrzahl der Bruchstücke selbst entwickeln ganz eigene Reize.

Koi Mil Gaya (Rakesh Roshan, Indien 2004)

Wichtige Motive sind von "E.T." inspiriert und wenn ein Fahrrad nachts durch die Luft fliegt, dann sehen die Macher das selber so. Dennoch bleibt in der indischen Version kein Stein auf dem anderen, nicht nur, weil der blaue Außerirdische, kaum ist er von freundlichen Menschen gefunden, zum Song & Dance gebeten wird und mit dem Kopf zu wippen beginnt. Mehr noch als bei Spielberg wird hier jedoch die Geschichte des Finders viel eher als die des Gefundenen erzählt. Rohit heißt der Held und im Körper eines Mannes (Hrithik Roshan ist wirklich nicht wiederzuerkennen) sitzt der Geist eines Kindes. Wie er erst die Liebe findet, dann den Außerirdischen, dann wundersame Geistes- und Körperkräfte, das geht immerzu sehr zu Herzen und ein Basketballspiel, bei dem - with a little help from the alien - Knirpse über sich hinauswachsen, macht unendlich viel mehr Spaß als die aufwändigsten Harry-Potter-Besenflugspektakel.

3-Iron (Kim Ki-Duk, Südkorea 2004)

Wie stets gilt die Vermutung, dass Kim Ki-Duk nicht weiß, was er tut. Jedenfalls möchte man gar nicht wissen, was er zu tun glaubt. Seine große Stärke aber besteht wiederum darin, dass er weder sich noch uns Erklärungen auftischt. Was geschieht, bleibt rätselhaft und aus den Rätseln macht Kim leere Bilder eher als solche, in denen er etwas wie Bedeutung versteckte. Dies hier umso nachdrücklicher, als das Liebespaar, das in Wohnungen einbricht, um Kaputtes ganz zu machen und sich ansonsten häuslich einzurichten für den Moment, schweigt und schweigt. Golfbälle und Schläger treten auf als Leitmotive, man nimmt es hin. Der Mann wird zum Geist, einfach so, und erst am Schluss, als alles sich in einer ménage à trois einrichtet, wie es sie so auch noch nicht gab, fallen zwischen den Liebenden drei Worte. Geschlechterpolitisch bewegt sich das wie oft bei Kim am Rand des Indiskutablen, lesbar im besten Falle als (misogyne) Männerfantasie von einer Frauenfantasie.

Meet the Fockers (Jay Roach, USA 2004)

Munteres Scherzsammelsurium mit heftigeren Ausschlägen vor allem im Zotenbereich. Leicht anpolitisiert, indem hier die amerikanische Rechte (Robert de Niro) - allerdings weniger neokonservativ als alte Paranoia-Fraktion - und ein floridianisches Spät-Hippietum (Dustin Hoffman, Barbra Streisand), aufeinander gehetzt werden wie Hund und Katze. Die Gags werden gefeiert, wie sie fallen, die selbstverständlich unterforderten Stars müssen nur das Gesicht hinhalten. Auf dem Spiel steht im Grunde nichts, übers Klischee trägt das Klischee den Sieg davon. Im direkten Vergleich der Focker-liberalen Versöhnungs- mit der Team-America-rechten Vernichtungsvision muss die Linke nun allerdings sogar im Bereich der sexuell-fäkalen Transgression eine herbe Schlappe einstecken.

Kurz gesagt 3

Abel Ferrara: The Gladiator (USA 1986)

Ein Fernsehfilm von Abel Ferrara und man sieht beides: Die generische, nicht Ferrarasche Kunstlosigkeit der Bilder und das schiere Böse, ohne dessen Auftauchen in der Ferrara-Welt nichts geht. Das Böse ist hier ein Auto, das – ähnlich wie in Spielbergs "Duell" – aus dem Nichts und im Grunde ohne Grund andere Autos bedrängt. Es ist schwarz, den Fahrer sieht man nicht, jedenfalls nie so, dass man etwas erkennt, und für eine kurze Serie von Einstellungen lohnt sich der ganze Film. Ferrara filmt die Schnauze dieses Autos, aus verschiedenen Winkeln, den Spoiler, die Scheinwerfer, die Flanke und selten hat er das Böse so suggestiv ins Bild gerückt: die Schnauze zittert und bebt, ein Gleiten durch die Schwärze der Nacht, ein Tourneurscher Leopard, aber seiner vermeintlichen Unbelebtheit wegen nur noch urtümlich drohender, das reine Affektbild, ein Grauen, das sich nicht einer Drohung verdankt, sondern der urtümlichen Drohlichkeit dieses Bilds. Der Plot formuliert daraus eine Rache- und Vigilante-, und zuletzt, nur bedingt Ferrara-typisch, eine Erlösungsgeschichte. Auf Spannungsinszenierungen verzichtet Ferrara, fast möchte man sagen, ausdrücklich, er betont in der Schlichtheit der Anlage eher das Repetitive, aus allen Erklärungskontexten sich immerzu Ausfällende der Konfrontationen.

Anurag Bose: Murder (Indien 2004)

Indischer Erotikthriller, bei dem die erotischen Momente so weit gehen, wie man eben noch für möglich hielte (also nicht sehr weit) und die Thriller-Momente geradezu ausdrücklich den Anschluss an Hollywood suchen. Erzählt wird die Geschichte einer Wiederverheiratung unter widrigen Umständen. Ein indisches Ehepaar in Bangkok, er trauert der bei einem Unfall ums Leben gekommenen Ehefrau nach, die er durch deren jüngere Schwester ersetzt hat. Ihr läuft die Liebe aus einem früheren Leben über den Weg, der Mann, der, weil er sie gegen einen anderen allzu brutal verteidigt hatte, ins Gefängnis musste. Sie erweist sich als zum Ehebruch verführbar und erst über dem Mord am Liebhaber, den dann beide – Ehemann und Ehefrau – gestehen, erkennen sie einander und ihre Liebe. Es mangelt nicht an Slickness der Inszenierung, nicht an überraschenden Wendungen, aber auch nicht an einer Bleischwere, die das Hanebüchene und bei allem Gekonnten doch sehr Gewollte der Anlage wie der Ausführung sehr fühlbar macht.

Pier Paolo Pasolini: Porcile (Italien 1969)

Alles beginnt mit einer Einstellung voller Schweine. Der Schweinestall des Titels. Von hier laufen die Bilder auseinander, ohne auf der Ebene der doppelten Diegese je zueinander zu finden. Im einen Fall kämpfen sich in vage mittelalterlich anmutende Gewänder und Helme gekleidete wilde Männer, die von Schmetterlingen bis Menschenfleisch keine Speise verschmähen, durch die mutmaßlich sizilianische Wüste. Sie werden verfolgt und zur Strecke gebracht von Männern der Kirche. Derjenige, den man zuerst sieht, der Protagonist dieses Erzählstrangs, wird nicht abschwören: Ich habe Menschen gefressen, ich habe es genossen, wiederholt er ein- ums andere Mal. Im anderen Fall sind wir in einem Schloss und einem Schlossgarten. Es soll Bad Godesberg sein. Ein deutscher Nachkriegsindustrieller mit Hitlerbärtchen kennt keine Reue und schließt sich mit dem Konkurrenten, der ein gesichtsoperierter Judenmörder ist, zusammen. Der Sohn ist Jean-Pierre Léaud und wird von Anne Wiazemski agitiert (beide italienisch synchronisiert), die als Linke zwischendurch zum Protest an der Berliner Mauer verschwindet. Er kratzt sich am Kopf, sie sagen immer wieder "tralala", dann fällt er ins Koma und als er wieder erwacht, geht er, wie üblich, in den Schweinestall, um Unsägliches zu tun. Diesmal aber fressen ihn die Schweine, restlos. Das schwankt zwischen montypythonesker Groteske, Godardscher Revolutionsfilmerei und dem komplett Erratischen. Mannigfaltige Perversionen feiern fröhliche Urständ. Zum geschlossenen Ganzen findet das nie. Wie sollte es auch.

Amit Saxena: Jism (Indien 2004)

Ein für indische Verhältnisse wiederum sehr freizügiger film noir, der aber trotz gelegentlicher Anleihen bei 9 ½ Wochen (Eiswürfel!) die entschieden bessere Figur macht als Murder, mit dem er sich master mind Mahesh Bhatt und den Kameramann Fuwad Khan teilt. Der Plot ist vertraut, es handelt sich schlicht um die indische Variante von James M. Cains Double Indemnity. Auch wenn alles für an Hollywood geschulte Nerven etwas langsam in Gang kommt, überzeugt es atmosphärisch durchaus. Grandios eine Sequenz früh im Film, wenn der Mann wie das Begehren selbst ein ganzes Haus ins Rütteln zu bringen scheint. Leider überzeugt der fatale Drift des Plots insgesamt mehr als die femme fatale selbst, die allzu hölzern durchs Bild stakst und vor allem viel Bauch zeigen darf. Übrigens wird so leidenschaftliche geküsst, wie ich es noch in keinem indischen Film gesehen habe.

Walter Hill: Southern Comfort (USA 1981)

Unter den Krypto-Vietnamfilmen vielleicht der finsterste. Mit großartigen Dialogen und lächerlichen Platzpatronen bewaffnet, schickt Hill eine Truppe von neun Reservisten zu einer Übung in den Dschungel von Louisiana. Es gelingt ihnen durch mehr als eine Dummheit, die hinterwäldlerischen Bewohner der Sümpfe gegen sich aufzubringen. Sie verirren sich und einer nach dem anderen werden sie aus dem Hinterhalt getötet. Es gibt Anklänge an "Deliverance", aber im Vordergrund steht die kristallklare Vietnam-Allegorie. In deren Dienste  gestellt die sehr präzise Typisierung der Figuren: Sie könnten genauso gut die Namen Bosheit, Dummheit, Überforderung, Umsicht, Rechthaberei, Vorsicht oder Irrsinn tragen. Das Buch erspart ihnen nichts und hält sich, was Schönheit angeht, an die Natur. Spannung bezieht "Southern Comfort" nicht aus Überraschungen, sondern aus der Unerbittlichkeit, mit der geschieht, was geschehen muss. Bösartig das Ende, bei dem auch mit der Ankunft in einer fröhlichen Cajun-Gemeinschaft längst nicht alles vorüber ist. Verdammt nah am Meisterwerk.

George Lucas: Star Wars III – Revenge of the Sith (USA 2005)

Schwerer Fall von Küchenpsychologie im Weltraum: Wie einer zum Schurken wird. Dass alle Darsteller schlecht aussehen, haben sie nicht nur dem Drehbuch zu verdanken und George Lucas' weithin berühmter Dialogkunst. Vielmehr stehen hier einzelne Kämpfe und Schlachten mit dem schleichenden Fortgang der Handlung im Niemandsland der digitalen Nachbearbeitung in dermaßen statischem Verhältnis, dass die Zeit selbst während der Kämpfe stillzustehen scheint. Mehr noch als die ersten beiden Prequel-Teile zerfällt dieser Film in seine Bestandteile: Die lächerliche Erklärung der Vader-Werdung. Die Schauspielkunst, von der alle Beteiligten offenbar glauben, das könne die CGI auch noch miterledigen. Die Kämpfe, denen es eklatant an Rhythmus, Perspektive und erst recht Eleganz fehlt. Die naive Politparabel. Die Musik, die wie immer verdoppelnd rumst und sonst gar nichts tut. Die Kamera, die zwar um die Kämpfenden herumfuhrwerkt, von Schwerelosigkeit aber Zentner weit entfernt bleibt. Überhaupt ist, der Tragödie wegen, auf die es so verzweifelt wie hoffnungslos hinauswill, alles noch einmal bleischwerer als zuvor. Bleiben nur die spielerischen Blenden als gelegentliche Hinweise auf die Leichtigkeit, von der einst mehr als nur ein paar Spurenelemente vorhanden waren.

Kurz gesagt 4

Clint Eastwood: Blood Work (USA 2002)

Kompetent gemachter Krimi, interessant aber vor allem im Rahmen des Eastwood-Oeuvres. Was ihn fasziniert haben dürfte, ist der kranke Held, der sich auch inmitten wirklich abstruser Verwicklungen als Inbegriff des Professionals erweist. Der FBI-Profiler Terry McCaleb verliert im Dienst sein Herz, sehr buchstäblich. Aus dem neuen, das er erhält, wird ein Fall als Anamnese in nun auch eigener Sache. Die Tote, der er sein Leben verdankt, wurde ermordet und keine Wendung ist dem Buch – nach Vorlage von Michael Connelly – zu krude, um die Verstrickungen zwischen dem Herzen, dem Mörder und McCaleb auf die Spitze zu treiben. Und auf vertrackte Weise ist dieser Fall nicht zu lösen, denn der Tod, der nicht rückgängig zu machen ist, erweist sich als Bedingung des Weiterlebens. Die Marionette bleibt hier, obgleich sie die Fäden, an denen sie geführt wird, durchschneidet, doch Marionette. Daraus aber macht Eastwood keine Tragödie, vielmehr ist das ohnehin der Rahmen seines professionalistischen Weltbilds: An dem Ort, an dem einer sich findet, muss er das beste machen aus dem, was er hat. Und das Herz nehmen, das kommt, egal, wer es ihm zuspielt.

Pen-Ek Ratanaruang: Last Life in the Universe (Thailand 2003)

Asiatisches Kunstkino, das in Gesten der Imitation asiatischen Kunstkinos erstarrt und den neuen japanischen Brutalfilm gleich noch mitverspeisen will. Oder: Was geschieht, wenn einer, der in verschiedenen Filmsprachen nichts zu sagen hat, Wong Kar-Wei und Takashi Miike kreuzt. Mit Hilfe von Christopher Doyle kommen dabei Bilder heraus, die nach etwas aussehen. Das täuscht. Es ist nichts dahinter, aber für Momente leerer Schönheit geht der Plot über Leichen. Der Wechsel des Tonfalls, der mehr als einmal sich ereignet, ist Ausweis der Beliebigkeit, mit der hier Versatzstück an Versatzstück gereiht wird. Miike-Zitat und verdrehte Liebesgeschichte, der junge Mann, der, wie einst Harold, sich immerzu umbringen will, die tote Schwester, die ohne ersichtlichen Grund an die Stelle der Lebenden tritt, im Bild. Hier ein bisschen digital-magischer Realismus, dort ein kleines Blutbad. An diesem Film ist alles falsch, auf höchst virtuose Weise.

Brian de Palma: Sisters (USA 1972)

Brillante Psycho-Variation, mit allem schizophrenen Drum und musikalischen Dran: Bernard Herrman wurde in London aufgetrieben und fabriziert die Musik, die wir von ihm kennen. Sisters ist wohl der erste Ausweis von de Palmas Hitchcock-Obsession. Die Kunst, die hier von Können kommt, darf man bewundern und wahrscheinlich hat alles seine filmgeschichtliche Richtigkeit. Wo bei Hitchcock die Obsessionen sich noch der katholisch verkorksten Seele verdankten, da wird de Palma von der gleichfalls perversen Lust an der Wiederholung des Meisters getrieben. Die Perversion liegt offen zutage und ist sozusagen das objektive Korrelat ihrer selbst. Das ist aber auch der Kern des Problems: Wo bei Hitchcock namenloser Schrecken nach formalem Ausdruck verlangt, da rekonstruiert de Palma diese Ausdrucks-Strukturen nach den Regeln der Kunst. Das Problem ist nicht, dass er weniger virtuos wäre als Hitchcock. Das Problem ist, dass er weniger pervers ist. Man merkt es auch an der forcierten Komik, die eine Idee ist, keine Notwendigkeit.

Peter und Bob Farrelly: Shallow Hal (USA  2001)

Die Farrellys sind in ihrer Bescheidenheit groß. Sie forcieren nichts und suchen immer den direkten Weg. Sie pflücken aber, anders als es in Komödien die Regel ist, die Scherze am Wegesrand und stürmen nicht querfeldein. Denn der direkte Weg führt nicht zum Scherz, sondern zu Botschaften und Werten, die simpel sind und nichts anderes sein wollen. In der Einfachheit der Mittel, im Verzicht auf den Effekt, den das Billige macht, sind ihre Filme ohne Falsch. Und natürlich täuscht die Einfachheit, denn die Farrellys verlieren noch im Gröbsten weder Takt noch Feingefühl. Sie schlagen sich bedingungslos auf die Seite der Schwachen und diagnostizieren Verkommenheiten, indem sie erzählen, wie es sein sollte inmitten der Welt, wie sie ist. Shallow Hal ist so nicht weniger als ein Bildungsroman, der den Weg des oberflächlichen Hal in die Tiefe nachzeichnet und den Zuschauer genau so lange am Herzen herumführt, bis er zu sehen lernt wie Hal selbst.

Martin Scorsese: The Aviator (USA 2004)

So leer, so tot wie kein anderer Scorsese-Film. Ausgerechnet an einem Phänomen des Irrsinns und des Exzesses wie Howard Hughes erstarrt die Virtuosität Martin Scoreses zu einer Form von Kunsthandwerk, die sich wie eine Rückbesinnung auf Papas, wenn nicht Opas Kino ausnimmt. In jedem Bild steckt der Wille zum Gelungenen, aber auch die Angst vor dem Wagnis irgendeiner Behauptung. Ins goldene Licht des Beginns getaucht hat simple Psychologie einen verheerenden Auftritt und mit den enervierenden Mimikrybemühungen Cate Blanchetts an der Hepburn-Legende findet der Schrecken noch kein Ende. Natürlich ist das Buch einfach uninspiriert und das Biopic ein Genre, dem man schon mit der wüsten Entschlossenheit eines Ken Russell zu Leibe rücken muss, damit es einen Muckser tut. Aber doch und doch ist dieser Film auch ein Bankrott der Regie, eine Studie in formvollendetem Akademismus.

Alejandro Jodorowsky: Santa Sangre (Italien, Mexiko 1989)

Jodorowsky ist ein Meister des Grand Guignol und der Travestie. Ein Heiligenkult um ein Mädchen mit abgehackten Armen und im Zirkusrund Amok laufendes Begehren: daraus entfaltet sich eine Tragikomödie der Perversionen. Was gelegentlich in eine Serie von fantastischen Bildeinfällen zu zerfallen droht, halten zuletzt Motivwiederholungen- und variationen in grandioser Manier zusammen. Das Blut aus dem Rüssel des Elefanten, die virtuose Armlosigkeit, der Messerwurf, das Blut, das heilige Blut. Jodorowsky bedient sich aus dem Reservoir des Katholischen, plündert Sakrament um Sakrament. Es ist ihm jedoch nie um Profanierung zu tun, um eine Entheiligung, sondern im Gegenteil um die perverse, travestierende Umschöpfung des Sakraments. Plump und doch atemberaubend steigt die Seele als Gans aus dem Grab. Die Urszene liegt in der Eucharistie von Tod Brownings "Freaks" ("We will make her one of us"), dem "Santa Sangre" durchweg nahe steht. Fast schon beglückend ist es zu beobachten, wie im entscheidenden Moment immer der schmutzige Gedanke und der Splatter über den Hang zum pittoresken Bildeinfall und zur folkloristischen Musikuntermalung triumphieren.

Kurz gesagt 5

Onir: My Brother Nikhil (Indien 2005)

Quasidokumentarisch der Rahmen der Erzählung: Die Schwester, die Eltern, der Geliebte erinnern sich an Nikhil, der an Aids gestorben ist. Ein Schwimmstar der Region, beliebt, bekannt und aus Angst und Verachtung gemieden, sobald seine Erkrankung bekannt wird. Sein Vater verstößt ihn, der Geliebte nimmt ihn zu sich, die Schwester hält zu ihm. Ein im Rahmen der Bollywood-Parameter wirklich nüchternes Drama, das auf die Ausbeutung von Emotionen verzichtet. Mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit wird die schwule Liebesgeschichte dargestellt, Aussagen über den Weg der Ansteckung vermeidet der Film ausdrücklich: weil es egal ist. Von etwas merkwürdigen Day-for-Night-Aufnahmen und der weichgespülten Musik abgesehen, ein sehr angenehmes Topical.

Breck Eisner: Sahara (USA 2005)

Ein Abenteuerfilm ist, wenn sie nicht miteinander schlafen. Es wäre keine Zeit dafür, denn immerzu kommt etwas dazwischen, der WHO-Ärztin (Penelope Cruz) und dem abenteuerlustigen Schatzsucher (Matthew McConaughey). Die absurde, vor dem ziemlich großartigen Vorspann ins Bild gesetzte Prämisse bereitet auf das Realitätsregister, in dem sich "Sahara" bewegt, schon mal vor: In Afrika gestrandet sei, so die Vermutung, ein gepanzertes Südstaatler-Schiff – die "Texas" - aus dem amerikanischen Bürgerkrieg, das auf der Flucht mal eben den Atlantik überquert hat und auf nun ausgetrockneten Flüssen durch die Sahara schipperte. Auch eine Rolle spielen eine die Weltmeere gefährdende Giftquelle und ein schurkischer Präsident sowie sein geldgieriger Handlanger, die an der Ausbreitung des Giftes alles andere als unschuldig sind. Die schönste Szene ist die, in der die Helden den Raum finden, in dem sich nach den Regeln des Genres der Goldschatz befinden müsste: Hier ist es, ein feiner selbstironischer Zug, nur eine Giftmülldeponie. Weil es ein Abenteuerfilm ist, steht die Liebesgeschichte sehr im Hintergrund. Im Vordergrund, und das ist auch gut so, albern der Schatzsucher und sein Buddy sich von einer Lebensgefahr in die nächste.

Gary Fleder: The Impostor (USA 2005)

Problematisch an der Verfilmung von Philip K. Dick-Kurzgeschichten ist der viele Plot-Zwischenraum, der auf Spielfilmlänge bleibt: Gary Fleder ist nicht der erste, der ihn mit viel Flucht und Schießerei füllt. Den Dickschen Vorlagen, deren Action nie im Realen spielt, sondern in dessen möglichen Varianten, läuft das merklich zuwider. Besonders enervierend ist, dass Fleder keine Einstellung zu Ende denken kann und die wie stets bei Dick faszinierende Grundidee in allerlei effektsüchtige Einzelteile zerlegt, die mit dem Ganzen nichts zu tun haben. Die Idee ist nicht das erste mal die, dass ein Mann sich seiner Identität nicht sicher sein kann: Er wird verhaftet als einem menschlichen Vorbild täuschend nachgeahmtes trojanisches Pferd, in dessen Herzen eine Bombe schlummert. Einen Film lang kämpft er um den Beweis, für sich und seine Verfolger, dass er der ist, der er zu sein glaubt. Die Implikation dieser Denkanordnung expliziert sich am Ende, das wenigstens ist Fleders bestens besetztem Machwerk (Gary Sinise, Madeleine Stowe) zugute zu halten, mit durchschlagender Konsequenz.

Tod Browning: The Show (USA 1927)

Cock Robin, der Zauberer, liebt Salome, die zwischen ihm und den Besitzansprüchen des schurkischen Griechen hin- und hergerissen ist. Cock Robin wiederum hat es auf das Geld einer ungarischen Landpomeranze abgesehen, deren Vater der Grieche aus einem Hinterhalt erledigt. Das Geld, die Frau: das Begehren der Männer prallt aufeinander. Und zwar vor Zuschauern, deren männlicher Teil ausdrücklich, aber chancenlos mitbegehrt. Browning macht seinen Figuren eine Szene nach der anderen, die Kamera nimmt das Show-Geschehen nie ohne Publikum in den Blick. Ein tödlicher Übersprung von der Bühne zum Betrachter ereignet sich, der Leguan, die gefährlichste Attraktion, springt einem Zuschauer an den Hals, der das nicht überlebt. Aber auch auf der Bühne selbst ist im Tanz der Salome ein keineswegs nur fiktives Leben in Gefahr. Am Ende sortieren sich – von einem melodramatischen Tochter-Sohn-Vater Nebenplot unterstützt – die Dinge nach moralischer Art und lakonisch lautet die letzte Schrifttafel: The Show goes on.

Tod Browning: West of Zanzibar (USA 1928)

Wieder eine Zaubershow, wieder Eifersucht: Phroso, der Zauberer, verliert seine Frau an den Nebenbuhler. Sie schlagen sich, Phroso fällt vom Geländer und ist querschnittsgelähmt, ein Freak, der sich fortan auf seinen Händen voranbewegt. Bald darauf wird die Frau tot aufgefunden in einer Kirche, sie hat ein Kind geboren und am Ende dieser wild bewegten ersten zehn Minuten bereitet uns die nächste Schrifttafel auf Wilderes vor: 18 Jahre später, Sansibar. Phroso, als Dead-Legs, sucht finsterste Rache am Nebenbuhler, der mit Elfenbeinexport gutes Geld verdient. Von den Schwarzen, die in allerlei ritualistischem Aberglauben und Abwehrtanz gefangen scheinen, wird Phroso als Zauberer verehrt – keine schlechte Karriere -, während er sich mit abgewrackten Weißen umgibt, die die Rache in Szene setzen sollen. Freilich hat er sich in einem entscheidenden Punkt getäuscht, der ihm zum Verhängnis wird. Nur mit der Wiederholung der Zaubershow, in der jetzt die Tochter durch die Rückwand des Sarges verschwindet, lässt die Unschuld sich retten; an Phroso halten die Schwarzen, in ihren Beerdigungsritualen durch den Zaubertrick ("no believe") düpiert, sich schadlos.

Arnaud Desplechin: La Sentinelle (F 1992)

Ein Familienroman der deliranteren Art. Im Leben, genauer gesagt im Gepäck des Pariser Botschafter-Sohnes und angehenden Pathologen Mathias taucht nach der Rückkehr aus Bonn sehr unerwartet ein nach den Regeln der Kunst einbalsamierter Kopf aus Russland auf. Mit ihm und seiner Bedeutung wird Mathias fortan beschäftigt sein, schnippelnd im Labor, recherchierend im Archiv, geheimnisvolle französisch-russische Geheimverbindungen aufdeckend. Dieser wirklich durchgeknallte Einfall gibt der Milieustudie der eingebildeten Jeunesse Dorée, die "La Sentinelle" auch ist, einen Drall ins Absurde. Die Beziehungen – Freundschaft, Verwandtschaft, Konkurrenz, Eifersucht – werden vom unernsten Ernst der politischen Verwicklungen, die der Kopf mit sich bringt, überformt. Desplechin nutzt seinen Verfremdungseffekt als Werkzeug, um das Geschehen und die Dialoge unentwegt zuzuspitzen zu einer mal unterschwelligen, mal ausdrücklichen Aggressivität. Lesbar ist das alles letztlich nur als Weltpolitisches herbeifiebernde Größenfantasie einer zu Tode gelangweilten Jugend im vermeintlichen Posthistoire.

Stephen Chow: Kung Fu Hustle (HK 2004)

Der Plot als Ermöglichungsstruktur für Pointen, die nur nach Verrücktheitsgraden zu sortieren sind. "Kung Fu Hustle" ist der Martial-Arts-Film als Special-Effects-Film als Animationsfilm. Diesen Körpern ist alles möglich, Elasto-Fu, Wire-Fu, Effekt-Fu und Pointen-Fu. Eine Gegenstandswelt im Zustand der Transformierbarkeit, die mehr als den äußerlichsten Schein eines Zusammenhalts – des Plots, der Figuren, der Körper, der Orte – nicht benötigt. Entsprechend instabil, und das ist vielleicht die eigentliche Innovation, die sich in der Chowschen Verquickung von mou lei tau und Martial Arts ergibt, sind auch die Heldenfiguren, deren Heroismus strikt auftrittsförmig bleibt. Unvermittelt bleiben die Superkräfte des Auftritts und der sofortige Rückfall ins Unscheibare, der darauf folgt. Lesbar wird so aller Superheroismus als nichts weiter denn die schiere Selbstermächtigungsfantasie. Noch die sentimentale Liebesgeschichte macht kurz vor der Erfüllung halt und in Sachen Kampf und Fu geht es strukturell um nichts anders als das Wahrmachen der Antizipation: Ich werde ein Held gewesen sein. Es ist dies die Zeitform der Fantasie, die in der Regel übers ja durchaus nicht immer unbefriedigende bloße Antizipieren nicht hinauskommt. Den vom Genre geforderten Momenten "wirklicher" Kampfkunst ist so bereits in der Aktion und darstellungstechnisch in der mehr als ersichtlichen Virtualität der Effekte die Rückkehr zum Realitätsprinzip eingeschrieben.

Matt Dillon: City of Ghosts (USA 2004)

Das Bangkok des Films ist ein Ort, den man einzig auf Karten des Imaginären eingetragen findet. Er liegt, das wird man auch sagen können, als generalisiertes Exotikum nicht fern vom Klischee. Oder, anders: In jedem Bild, das man sieht, in jedem Satz, der gesagt wird, in jeder Wendung, die der Thrillerplot nimmt, ist das Klischee dieses Bildes, dieses Satzes, dieser Wendung präsent. Die Stärke des Films liegt darin, dass er das weiß. Es fehlt nie viel zum Umschlag in die Parodie und wenn man genau hinsieht (auf Affen achtet und Schlangen und überhaupt auf Gerard Depardieu), kann man erkennen, dass der Gehalt von Bildern, Sätzen und Wendungen eben genau auf jenem Punkt siedelt, an dem etwas umschlägt von da, wo es Ernst ist, dahin, wo der Ernst vergeht. Es ist dies genau der Punkt, an dem Schund sich selbst transzendiert und zu etwas Deliziösem wird. Genießbar wird darin die Schwebe zwischen dummem Ernst und dummer Parodie, obwohl gar nichts anderes präsent scheint als diese Skylla mit Charybdis ohne Wasser zwischendrin. Das schwebende Navigieren am Umschlagspunkt von Ernst in Parodie produziert aber jene Leichtigkeit der Gespenster, die in Filmen wie diesen umgehen. Es ist etwas Sublimes darin, das sich jedem, der nur sieht, was zu sehen ist, auf immer entzieht.

Steven Spielberg: Krieg der Welten (USA 2005)

Der Film ist groß als Wahrnehmungskino. Die Bilder zu Beginn, wenn die Körper unscharf ins Licht übergehen, ganz so, als sei der Blick gerade erst erwacht und könne, überrumpelt vom Unbegreiflichen, nicht wirklich erwachen. Die Vereinzelungen des Blicks auf verirrte Gegenstände, das Scheitern der Syntheseleistung der Wahrnehmung wie des Denkens im Angesicht des Außerordentlichen. Ein Hin und Her zwischen Fesselung des Blicks und gewaltsamem Losreißen. Eine kleine Phänomenologie weniger des Schreckens und Entsetzens als der Faszination des Entsetzens, der sich entziehen muss, wer überleben will. Die grundstürzendste Erfahrung, dass der Boden sich auftut unter den Füßen, dass nichts und nirgends bleibt als Ort der Sicherheit. Der Rest des Films ist dann (nicht unähnlich "Saving Private Ryan") Bearbeitung dieses großartigen Beginns. Spielbergs Kino der Angst immer als das einer Hegung, die sich die Unhegbarkeit mancher Ängste nicht eingesteht, obwohl gerade dies die am tiefsten liegende – und nur knapp unter der Oberfläche des Films liegende - Angst sein dürfte, die Angst vor der Ohnmacht. Die Erfahrung der Ohnmacht will Spielberg nur als eine denken, die zur Selbstbemächtigung führt. Die Hegung und Heilung wird, auch im Krieg der Welten, privatisiert, nicht nur familial, nicht nur in der Einführung von Helden, die zu Helden nicht taugen, aber zu Helden werden (dem Alter nach erwachsene Kinder, die erwachsen werden, meist – auch hier - gespiegelt in Kindern, die in vielem erwachsener sind), auch technisch, in einer Bewegung des Abbremsens und Seinen-Platz-Findens, wenn auch selten mit einer so brutalen Bereinigung wie hier. Das bedrohliche Fremde im Eigenen muss hinter verschlossener Tür getötet werden und ich frage mich, ob das nun zynisch ist oder naiv: Erwachsen ist, wer töten kann, um zu überleben. Es bleiben ein guter Witz ("Diese Wesen kommen von ganz woanders her." "Europa?") und ein kurzer Besuch in der Geisterbahn (der brennende Zug). Immer dann, wenn Spielberg groß beginnt, ist die Enttäuschung am Ende umso ärger.

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