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Musik: R.E.M.: Köln, 13.5.2001

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KONZERT

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Ein einmaliges Freikonzert mit R.E.M.

Roncalliplatz in Köln, 13. Mai 2001.

von Christof Herrmann

Wer hätte gedacht jemals vor dem Kölner Dom „Losing my religion" im Chor mit tausend anderen zu singen? R.E.M. live und umsonst auf dem Roncalliplatz in Köln. Was zunächst wie eine Zeitungsente klang, wurde schließlich zur Gewissheit. Die Gruppe aus Athens/Georgia spielte im Rahmen der Aktion "Gegen Gewalt an Schulen" ihr einziges Konzert in Deutschland, nicht jedoch - wie in den Medien mehrfach berichtet - das einzige in Europa, denn am 29. April traten sie kostenlos auf dem Trafalgar Square in London auf.

Fragt man nach dem Sinn solcher Freikonzerte, liegt dieser heutzutage alleine im ungetrübten Spaß der Fans. Die legendären Free Concerts Mitte bis Ende der 60er Jahre, wie beispielsweise die im „Golden Gate Park" oder im ehemaligen Kinosaal „Fillmore West" in San Francisco, waren noch von der Bestrebung geprägt, die Rockmusik von der Kommerzialisierung freizuhalten. Diese Zeiten sind spätestens seit dem verheerenden kostenlosen Auftritt der Rolling Stones auf der verwahrlosten Autorennbahn in Altamont, 80 Kilometer nordöstlich von Frisco, vorbei. An diesem 6. Dezember 1969 raste ein Auto in die Menge und tötete zwei Menschen, ertrank ein junger Mann im LSD-Rauch, wurde ein 18jähriger direkt vor der Bühne von einem als Ordner verpflichteten Hell's Angel erstochen. Die Stones stimmten gerade „Symphathy for the devil" an. Die Rockmusik hatte ihre Unschuld verloren. Das Geld bestimmte fortan das Geschehen.

So bekamen an diesem 13. Mai 2001 die 80.000 in Köln vom besagten Motto „Gegen Gewalt an Schulen" wenig bis gar nichts mit. Der Veranstalter brachte die Band umsonst nach Deutschland und hielt damit seine Aufgabe für erfüllt. So wunderte es nicht, dass der Sound während des Konzerts nicht der beste war. Zudem standen für die knapp 10.000 Menschen im ab dem frühen Nachmittag abgeriegelten Innenbereich weder Toiletten noch Getränkeverkauf zur Verfügung. Der guten Stimmung tat dies jedoch keinen Abbruch. Man saß in der Sonne, kiffte und beklatschte den Auftritt der Dub-Meister Seeed aus Berlin, man half sich gegenseitig mit Wasser und Bier aus, die Männer pinkelten gegen die Dommauer, die Frauen schützen sich beim Urinieren mit Stoffdecken gegen neugierige Blicke. Kurzes Woodstock Feeling beim Wasserlassen, ansonsten ging es wieder nur um das eine: der Hauptsponsor wollte für seine Providerdienste werben, R.E.M. für das neue Album Reveal. Um so mehr überraschte, dass Stipe und seine Mitstreiter trotz des höchstdotierten Plattenvertrages der Musikgeschichte im Nacken ihre frohen Botschaften wie „Summer's here" und „You gonna be a star" glaubwürdig unters Volk brachten.

Gegen 15.00 Uhr kamen Mike Mills und Peter Buck mit Joey Waronker, Ken Stringfellow und Scott McCaughey zum Soundcheck auf die Bühne. Erst nachdem Bassist Mills „Superman" – wie auch auf Life's Rich Pageant zu hören - gesungen hatte, kam Michael Stipe dazu und entschuldigte sich für seine Verspätung. Er war in Düsseldorf auf einer Ausstellung des niederländischen Fotografen Anton Corbijn gewesen, der 1992 für die Photographien zum Album Automatic For The People verantwortlich gewesen war.

Das eigentliche Konzert begann pünktlich um 21.00 Uhr. Michael Stipe wurde von frenetischem Jubel empfangen. Dass R.E.M. längst keine Collegerock- oder Independentband mehr sind, ist kein Geheimnis. Vielmehr haben sie sich mittlerweile zum Massenphänomen entwickelt. Dass dies durchaus seinen Reiz hat, liegt zum einen an Michael Stipe, der nach Jahren des Versteckens gelernt hat, als charismatischer Frontmann aufzutreten und zum anderen am riesigen Repertoire an hervorragenden Songs.

Bereits beim dritten Song hielt Michael Stipe die Fäden sicher in der Hand: Er versicherte mit „All The Way To Reno (You´re Gonna Be A Star)" den Lucky Losers vor der Bühne, dass genau sie für 90 Minuten die wahren Stars sind.

Der Rest des Abends lief getreu dem Motto: Nichts riskiert, alles gewonnen. R.E.M. verzichtete auf jegliche Experimente und Kinkerlitzchen. Auf der Setlist standen überwiegend Klassiker der 90er Jahre wie „Man on the moon". Sechs der 19 Lieder stammten vom zwei Tage später erscheinenden Album Reveal, was der Show jedoch keinen Abbruch tat. Ganz im Gegenteil fügten sich die aktuellen Stücke wie „The Lifting", „I'll take the rain" und die Hitsingle „Imitation of life" nahtlos ins Programm ein. Lediglich die wenigen Fans der ersten Tage mag es gestört haben, dass mit „Central Rain (I'm sorry)", „It´s The End Of The World As We Know It", „Cuyahoga" und „The One I Love" – allesamt in schnelleren Versionen gespielt als auf Platte - lediglich vier Klassiker aus den 80er Jahren zu hören waren. Der Großteil der Anwesenden war noch gar nicht geboren, als R.E.M. 1982 ihr Debüt-EP Chronic Town herausbrachten.

An diesem lauen Sommerabend zeigte sich einmal mehr, was das Faszinierende an R.E.M. ausmacht. Songs wie „She just wants to be", „What's the frequency, Kenneth?" oder „Find The River" übertragen spielend ihre stimmige Melodik auf das dankbare Publikum. Man ertappt sich beim Mitsingen und umarmt im Harmonierausch schon mal den nächsten verfügbaren Nebenmann.

Nach 90 Minuten endete der viel umjubelte Auftritt wie es kommen musste, mit einer knalligen Version von „It's the end of the world as we know it...". Mit so einem Ende konnten alle leben. Die 80.000 Glücklichen machten sich auf dem Heimweg. „...and I feel fine". Selten so gelächelt.

R.E.M.: Köln, 13.5.2001

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